GA-Serie "Mobil in der Region" Nutzen statt besitzen: Der Abschied vom eigenen Auto

Bonn/Rhein-Sieg-Kreis · Statt einen Wagen zu besitzen, teilen sich beim Carsharing immer mehr Fahrer eine Fahrzeugflotte – eine Idee, die zum Trend geworden ist. Während es auf dem Land an Kunden mangelt, fehlt es in Bonn an bezahlbaren Stellflächen

Als Norbert Schlüpen noch aktiver Pfarrer war, predigte er bereits den Verzicht auf das eigene Auto. Volkswirtschaftlich sei das Auto eine Sünde, zu hoch seien die Kosten für Herstellung und Verschrottung, sagt der 64-Jährige. Doch Schlüpen ist auch Pragmatiker, der mindestens einmal pro Woche Auto fährt. „Wir müssen uns schließlich fortbewegen, und diesen Widerspruch versuche ich auszuhalten“, sagt er. Der Bonner ist überzeugter Carsharer, der sich seit seiner Studienzeit das Auto mit anderen teilt. Die Idee hinter Carsharing lautet: Die Fahrer besitzen kein eigenes Auto mehr und nutzen stattdessen gemeinsame Fahrzeuge erst dann, wenn Alternativen wie Fahrrad, Fußweg, Bus und Bahn nicht infrage kommen.

Auf einem Hinterhof in der Bonner Südstadt fallen sechs rote Fahrzeuge des Bonner Unternehmens Stattauto ins Auge. Der Familientherapeut nutzt das Angebot für Fahrten zu Kunden, die außerhalb Bonns wohnen, ist aber auch schon bis nach Schweden damit gefahren. Schlüpens Wahl fällt heute auf einen Renault Kangoo. Zunächst muss Schlüpen das Fahrzeug buchen. Das kann er an seinem Computer oder Smartphone tun. Schlüpen wählt stattdessen die 24-Stunden-Hotline, denn es soll schnell gehen. Dann hält er eine Kundenkarte an den Bordcomputer des Fahrzeugs, um es zu entriegeln. Der Fahrzeugschlüssel befindet sich im Handschuhfach, die Fahrt kann beginnen.

In Bonn und dem Rhein-Sieg-Kreis bieten die Anbieter Cambio, Car2go, Flinkster, Drivy, Scouter und Stattauto Carsharing an. Im Kreisgebiet ist das Angebot aber noch ausgesprochen dünn ausgebaut. In Troisdorf und Siegburg bietet etwa Flinkster, ein Angebot der Deutschen Bahn, Fahrzeuge an den Bahnhöfen an. Für die Unternehmen ist das Geschäft abseits der Ballungsgebiete schwierig, weil hier die Dichte potenzieller Nutzer geringer ist, die Distanzen größer sind und der öffentliche Nahverkehr weniger gut ausgebaut ist.

In Bonn ist die Auswahl größer. Dort bietet das Bonner Unternehmen Stattauto seinen 600 Kunden 29 Autos an 14 Parkstationen an, davon jeweils eine in Siegburg und Brühl. Der Carsharer ist einer der ältesten in Deutschland, ihn gibt es seit 1992. Cambio betreibt in Bonn elf Stationen mit 30 Fahrzeugen und hat dort 830 Kunden. Scouter bietet 50 Fahrzeuge an und betreibt 21 Stationen in Bonn, hinzu kommt in der Süd- und Weststadt ein sogenanntes Carsharing-Quartier – Kunden können die Fahrzeuge innerhalb des Gebiets ohne Beschränkung auf feste Stellplätze abstellen. Free Floating heißt dieses Konzept, auf das Anbieter wie Car2go setzen. Allerdings entfällt so auch der Vorteil eines reservierten Stellplatzes und das Angebot der Freefloater ist meist deutlich teurer. Aus der Reihe fällt die Plattform Drivy, auf der Privatleute ihre Fahrzeuge in ganz Deutschland vermieten. Andernorts, wie in Hennef, erweitern Autohändler ihr Angebot um Carsharing.

„Diese Autos stehen die meiste Zeit nur herum“, sagt Carsharer Schlüpen kopfschüttelnd mit Blick auf Parkflächen in der Südstadt. Die Autos würden immer größer, die Innenstadt regelrecht verstopft.

„Mehr als die Hälfte der Autofahrer schaffen den eigenen Wagen ab oder verzichten auf einen Zweitwagen, nachdem sie Carsharing eine Weile genutzt haben“, sagt Willi Loose, Geschäftsführer des Bundesverbands Carsharing. Für ein Carsharing-Auto würden im Schnitt zehn Privatautos abgeschafft, und die Kunden würden öfter das Fahrrad oder den öffentlichen Nahverkehr nutzen, Carsharing sei eine Ergänzung des Angebots. Es entlaste den Stadtverkehr enorm und entschlacke die Innenstädte. „Carsharing lohnt sich, wenn jemand das Auto nicht täglich benötigt und den Hauptteil mit anderen Verkehrsmitteln zurücklegt“, so Loose. Für Pendler sei es nicht sinnvoll. Alle anderen würden sich aber beim Umstieg auf Carsharing die Kosten für Anschaffung, Unterhalt, Versicherung und Reparaturen sparen. In Städten sind die Anbieter vor allem auf Parkplätze angewiesen. Private Stellflächen sind meist teuer. Köln stellt Carsharern deshalb öffentlichen Raum zur Verfügung. Bonn tut das bislang nicht. Rechtlich sei das noch eine Grauzone, heißt es seitens der Verwaltung. Die Stadt arbeite an Konzepten für die Nordstadt, Plittersdorf und Venusberg, Platz für Carsharing werde aber frühstens Mitte 2017 eingeräumt.

„In Bonn wird das Thema noch sehr stiefmütterlich behandelt, wir haben uns sehr schwer getan, hier Fuß zu fassen“, kritisiert Tanya Bullmann von Cambio. Der Anbieter kooperiert seit 2015 mit der Uni Bonn. Das hat zusätzliche Stellflächen für Fahrzeuge eingebracht. Uni-Mitarbeiter und Studenten profitieren von einem Campustarif. „Für Studenten, die in der Stadt wohnen und ein schmales Budget haben, bietet Carsharing eine gute Ergänzung zu anderen Verkehrsmitteln“, sagt Uni-Sprecher Andreas Archut. Politikstudentin Nora Benz nutzt das Angebot zweimal die Woche, um zum Reiten nach Wachtberg zu fahren. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln sei das nicht möglich. Elf Euro bezahlt sie für die Hin- und Rückfahrt bei einer Ausleihdauer von drei Stunden. „Billiger als ein eigenes Auto ist das auf jeden Fall, und mir ist es das wert“, sagt die 20-Jährige.

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