Altersarmut wächst 4505 Personen im Rhein-Sieg-Kreis von Armut gefährdet

RHEIN-SIEG-KREIS · In den Seniorenwohnungen der Awo in Siegburg leben ältere Menschen mit geringer Rente. Von den 68 Bewohnern erhalten 30 Personen Grundsicherung im Alter.

Die Preise für eine Waffel oder einen Kaffee sind im Senioren-Café der Arbeiterwohlfahrt (Awo) Bonn/Rhein-Sieg überschaubar, nichts kostet mehr als einen Euro. Dennoch: „Selbst die 50 Cent für Kuchen sind für manche am Ende des Monats nicht mehr drin“, sagt Ute Stahl, Sozialarbeiterin bei der Awo.

Das Café wird für die Bewohner der Seniorenwohnungen der Awo an der Schumannstraße in Siegburg ausgerichtet. In den 54 Wohnungen leben ältere Menschen mit niedrigen Einkommen. Stahl ist für die Wohnungen zuständig und verantwortlich für die regelmäßigen Treffen der Senioren. Von Altersarmut seien hier viele betroffen und das bedeute meist auch Einsamkeit, so Stahl. „Bei einem so geringen Einkommen, ist ein Ausflug in ein Café in der Stadt nicht möglich.“

Anschaffungen sind kaum möglich

Von den 68 Bewohnern der Seniorenwohnungen erhalten 30 Personen Grundsicherung im Alter. In der Regel verfügen sie zwischen 700 und 900 Euro im Monat. Davon müssen sie die Warmmiete, Strom, Telefon, Lebensmittel, Hygieneartikel, Alltagsbedarf, Kleidung, Bustickets und und und bestreiten. Laut Weltgesundheitsorganisation liegt die Grenze, unterhalb derer man in Deutschland als armutsgefährdet gilt, bei 856 Euro.

„Sparen kann ich gut“, berichtet eine 68-Jährige Besucherin des Senioren-Cafés, doch die Einschränkungen durch ihre Altersarmut belasteten sie. „Ich kann dadurch nur nichts mehr spontan unternehmen“, sagt die Seniorin. Bald stehe für sie neues Hörgerät an. Das, was von der Krankenkasse bezahlt würde, passe ihr nicht. Um ein Gerät zu haben, was genau auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sei, müsse sie 380 Euro aufbringen. „Ich weiß noch gar nicht, wie ich das zahlen soll. Vielleicht muss ich auf das Hörgerät verzichten“, sagt die 68-Jährige. Zwei Mal im Monat geht sie zur Tafel. Die ist jedoch in Troisdorf. „Dafür muss ich mir insgesamt vier Bustickets kaufen. Diese Ausgaben darf man nicht vergessen“, sagt sie.

Arztbesuche scheitern an Busfahrkarten

Die anderen Senioren im Café berichten von ähnlichen Problemen mit den alltäglichen Ausgaben. Arztbesuche würden oft problematisch wegen der Kosten für die Busfahrten. Wenn man dann noch ein grünes Rezept bekomme, also eines, wo man des Medikament selbst bezahlen müsse, überlege man sich drei mal, ob man sich das leisten könne. Eine neue Brille sei auch ein großer problematischer Posten.

Eine 76-jährige Seniorin habe für ihre Gleitsichtbrille 350 Euro zahlen müssen, erzählt sie. Sie ist seit ihrem 38. Lebensjahr verwitwet. Seitdem habe sie immer auf 450-Euro-Basis als Putzhilfe gearbeitet und sich um ihren Sohn gekümmert. Nun bekommt sie Grundsicherung. Schicksale wie dieses sind im Rhein-Sieg-Kreis nicht selten.

Wie viele Personen genau von Altersarmut betroffen sind, lässt sich allerdings schwer beziffern. Nach aktueller Auswertung des Kreises sind aktuell 4505 Personen von Armut gefährdet. Dabei handelt es sich um Personen, die über ein monatliches Einkommen von weniger als 856 Euro verfügen und entsprechend soziale Leistungen beziehen (Hilfe zum Lebensunterhalt, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung). Gerade bei Fällen von Altersarmut müsse aber mit einer Dunkelziffer gerechnet, werden. Das teilte Anja Roth, Sprecherin der Kreisverwaltung, mit. So komme es vor, dass bestehender Sozialleistungsanspruch „aus Scham“ nicht beantragt werde, daher spreche man auch von „verschämter Altersarmut“. Das Problem dürfte in den nächsten Jahren noch zunehmen.

Altersarmut wächst

Eine Studie der Bertelsmann Stiftung von 2017 zeigt, dass bis 2036 für verschiedene Gruppen das Risiko steigt, im Alter arm zu werden. Am stärksten betroffen seien alleinstehende Frauen, Niedrigqualifizierte und Langzeitarbeitslose. Die geburtenstarken Jahrgänge der 1950er und 1960er Jahre gingen ab 2022 in Rente. Unter zukünftigen Rentnern dieser Generation steige das Altersarmutsrisiko bis 2036 auf 20 Prozent, so die Studie. 2015 lag das Risiko noch bei 16 Prozent. Damit wäre künftig jeder fünfte Neurentner von Altersarmut bedroht.

Laut Stahl betreffe Altersarmut meist die Witwen. Die kämen aus einer Zeit, in der man als Frau nicht gearbeitet, sondern die Kinder großgezogen habe. Auch unter den rund zehn Gästen im Senioren-Café ist diesmal nur ein Mann dabei. Die meisten Frauen unter den Gästen sind Witwen. Sie fühlen sich vom Staat alleine gelassen.

„Rentenerhöhungen kommen bei uns nicht an, die werden uns direkt von der Grundsicherung abgezogen“, sagt eine 85-jährige Seniorin. Sie hat sechs Kinder großgezogen. Die Seniorin wünscht sich, dass es Frauen, die wegen ihrer Kinder nicht arbeiten gehen konnten, im Alter besser geht. Die übrigen Besucher stimmen ihr zu.

Neben der Ausrichtung der Treffen im Senioren-Café organisiert Ute Stahl für die Senioren auch jährliche Ausflüge, die sie sich sonst nicht leisten könnten. Dieses Jahr fahren sie in die Eifel. Der Ausflug koste jeden Teilnehmer zehn Euro. Das sei nur durch eine großzügige Spende möglich gewesen. „Normalerweise müsste jeder 50 Euro zahlen. Dann hätte aber niemand mitkommen können“, so Stahl. Viele der Senioren wünschen sich, noch einmal ans Meer zu fahren, erzählen sie.

Doch das sei zu teuer und wieder nur mit einer Spende organisierbar, so Stahl.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort