Vorfall im ZUE in Sankt Augustin Veröffentlichtes Video zeigt ein verzerrtes Bild aus der Flüchtlingsunterkunft
Sankt Augustin · Ein Video aus der Zentralen Unterbringungseinrichtung für Flüchtlinge in Sankt Augustin macht in Sozialen Netzwerken die Runde. Gibt es tatsächlich Missstände, und wenn ja, welche?
Bilder von Müll, leeren Seifenspendern und Mitarbeitern ohne Schutzausrüstung aus der Zentralen Unterbringungseinrichtung (ZUE) des Landes in Sankt Augustin machen zurzeit in den Sozialen Medien die Runde. Ein Video endet mit den Worten: „Bitte verfolgt diese Katastrophe dort drinnen und helft uns, unsere Rechte zu bekommen.“ In der Landesunterkunft ist die Zahl der Corona-Infektionen nach Auswertung weiterer Test leicht angestiegen. Nach Angaben der zuständigen Bezirksregierung Köln sind bis Freitag insgesamt 162 Bewohner und 14 Mitarbeiter positiv auf Sars-CoV-2 getestet worden.
Die Personalsituation ist nach Auskunft der Bezirksregierung eng, „aber der Betrieb kann aufrecht gehalten werden“. Sowohl beim Sicherheitsdienst als auch beim Betreuungsdienstleister sind wie berichtet Personen in Quarantäne. „An der Personalaufstockung wird mit Hochdruck gearbeitet“, sagte Pressereferent Dennis Heidel.
Auf dem Gelände stehen seit Donnertag neue Bauzäune, der Außenbereich der Quarantänezone wurde erweitert. Im Gebäude wird ein weiterer Quarantäneflur eingerichtet. Auf GA-Anfrage bestätigte die Bezirksregierung, dass es am Donnerstagabend einen Vorfall in der Isolierstation gab. Ein aggressiver Mann, der schon vorher auffällig geworden war, wurde dabei von einem anderen Mann verletzt. Nach ärztlicher Behandlung befindet sich die auffällige Person nun in einem anderen isolierten Bereich und wird vom Sicherheitsdienst bewacht.
Seife und Desinfektionsmittel sind vorhanden
Die Bilder der ZUE aus dem Youtube-Video sind echt, sie sind aber zum Teil nicht aktuell oder zeigen nur einen Ausschnitt der Situation. Ein Beispiel: Im Video werden leere Seifenspender in einem Waschraum gezeigt. „Das Bildmaterial verfälscht die aktuelle Situation. Seifenspender werden zwar nicht mehr nachgefüllt, jedoch wird Seife am Infopoint ausgehändigt. Die Bewohner besitzen Desinfektionsmittel, dass auf Nachfrage umgehend nachgefüllt wird“, berichtete die Bezirksregierung auf GA-Anfrage.
In den Waschräumen wurde die Seife offenbar geklaut. Dass es ausreichend Desinfektionsmittel gibt, bestätigte auch Ali Dogan, Chef des Krisenstabs der Stadt Sankt Augustin. Er hatte sich am Donnertag via Facebook zu den „Teil- und Unwahrheiten“ im Internet geäußert und Behauptungen widerlegt. Zum Beispiel die, dass Familien auseinander gerissen würden. „Es gab mehrere Familien mit einigen positiven und einigen negativen Befunden“, so Dogan. Dann ziehe entweder die gesamte Familie in den Isolierbereich, oder sie entscheide freiwillig, sich zu trennen. Etwas anderes lässt der Infektionsschutz nicht zu.
Ziel der aktuellen Flüchtlingspolitik in NRW ist, den Kommunen möglichst nur anerkannte Flüchtlinge oder „Personen mit guter Bleibeperspektive zuzuweisen“. Dazu hat das Land die Aufenthaltszeit für die Bewohner in den Landeseinrichtungen verlängert, die vor 2015 auf drei Monate beschränkt war.
Schutzsuchende müssen sich in NRW zuerst bei der Landeserstaufnahmeeinrichtung in Bochum melden. Hier wird ihre Identität festgestellt, der Aufenthalt soll nur wenige Stunden dauern.
Von Bochum aus geht es in eine der sechs Erstaufnahmeeinrichtungen (EAE) des Landes wie, zum Beispiel in der Bonner Ermekeilkaserne. Hier werden die Menschen registriert, außerdem findet eine Gesundheitsuntersuchung statt. In der Erstaufnahme stellen die Menschen ihren Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Das soll in der Regel nach zehn Tagen abgeschlossen sein.
Nächste Station ist eine weitere Sammelunterkunft des Landes: die Zentrale Unterbringungseinrichtung (ZUE). Im Jahr 2019 hat die Landesregierung die Aufnahmekapazitäten von 25 000 auf 20 000 Plätze reduziert. In der Region gibt es zwei Standorte in ehemaligen Verwaltungsimmobilien in Sankt Augustin und Bad Godesberg. Die Menschen bleiben so lange in der ZUE, bis über ihren Asylantrag entschieden ist. Sie sind dort gemeldet, können sich aber frei bewegen (Ausnahme: die aktuelle Corona-Quarantäne). Es gibt Flüchtlinge, die zwischenzeitlich bei Freunden oder Familie unterkommen. So erklärt sich in der ZUE Sankt Augustin die Differenz zwischen den gemeldeten Bewohnern (489) und der aktuellen Belegung (rund 320).
Flüchtlinge mit Schutzstatus und in bestimmten Fällen auch mit einer Duldung werden den Kommunen zugewiesen. Sie könnten sich eine Wohnung suchen, landen angesichts des Wohnraummangels in der Region aber oft wieder in Gemeinschaftsunterkünften. Aktuell sucht zum Beispiel das Sozialamt der Stadt Troisdorf Wohnraum für 35 Familien und einige Einzelpersonen. Sie dürfen aus den städtischen Flüchtlingsunterkünften ausziehen, finden aber keine Mietwohnung. Einen Ortswechsel möchten Familien vor allem den Kindern, die seit Jahren in Troisdorf zur Schule gehen, nicht zumuten.
(Quellen: Land NRW, Flüchtlingsrat NRW, Stadt Troisdorf)
Eine andere Szene aus dem Video zeigt Mitarbeiter, die ohne Schutzausrüstung auf den Fluren unterwegs sind. „Das Betreuungspersonal bewegt sich in der Unterkunft grundsätzlich mit einem Mund-Nasen-Schutz (KN95) und einem Schutzkittel/Schutzanzug und Handschuhen. Bei Kontakt zu positiv getesteten Bewohnern werden zusätzlich ein Visier und Schuhüberzieher verwendet“, teilte die Bezirksregierung mit.
Müllentsorgung im ZUE ist ein Problem
Realistisch sind hingegen die Bilder von den Müllbergen im Hof. Laut Bezirksregierung gab es bereits Kontakt zur RSAG, um die Abholtermine zu verdichten oder zusätzliche Müllcontainer zu erhalten. Realistisch war auch das Bild von zahlreichen Handys, die an einer langen Steckerleiste aufgeladen werden. Was das Video nicht zeigt: Inzwischen haben die Bewohner Powerbanks bekommen, um ihre Handys im Zimmer aufzuladen. Strom gibt es dort aus Brandschutzgründen nicht, weil sich nicht kontrollieren lässt, ob jemand dort gefährliche Geräte wie einen Elektrogrill betreibt.
Was sollen die Bilder im Internet bewirken? „Die Bewohner sind unzufrieden mit der aktuellen Gesamtsituation und versuchen durch mediale Wirkung eine andere/bessere Unterbringung zu erwirken. Auch wird dadurch versucht, Zuweisungen in die Kommunen zu erwirken“, so die Bezirksregierung. Die Bilder zeigten vieles nicht, etwa auf Augenhöhe stattfindende Gespräche, „um trotz der Situation so gut es geht zu unterstützen“, oder Reinigungsarbeiten.
Ali Dogan, der mit den Mitarbeitern des Ordnungsdienstes schon seit Tagen in der Unterkunft im Einsatz ist, hält es für fahrlässig, Fotos oder Aussagen von Bewohnern im Internet zu verbreiten. Die Zusammenarbeit von Bezirksregierung, Betreiberfirma und Sicherheitsdienst mit der Stadt laufe hervorragend. Dogan: „Ich kann nur nochmals betonen, dass wir alle das erste Mal mit so einer Situation konfrontiert sind. Unter diesen Bedingungen schaffen wir fast Unmögliches.“
Am Freitag (Stand 17 Uhr) meldete der Kreis 1404 bestätigte Corona-Infektionen, davon gelten 1121 Personen als genesen. Als aktuelle Fälle werden 235 gewertet, in häuslicher Quarantäne befinden sich noch rund 500 Personen. Bislang sind 48 Menschen verstorben.
Der Sachstand in den Kommunen, aufgeteilt nach den bestätigten Corona-Infektionen insgesamt und den aktuellen Fällen: Alfter (bestätigt 60/aktuell 0), Bad Honnef (68/1), Bornheim (111/10), Eitorf (50/6), Hennef (80/5), Königswinter (108/4), Lohmar (74/3), Meckenheim (71/3), Much (21/1), Neunkirchen-Seelscheid (29/0), Niederkassel (48/2), Rheinbach (59/6), Ruppichteroth (11/0), Sankt Augustin (313/169), Siegburg (88/8), Swisttal (35/3), Troisdorf (111/4), Wachtberg (35/3) und Windeck (32/7).
Mitarbeiter der Flüchtlingsheim aus der Quarantäne geholt
Die beiden seien nicht direkt mit Infizierten in Kontakt gewesen, sagte am Freitag ein Sprecher der Bezirksregierung Köln. Für drei andere Mitarbeiter, deren Rückholung ebenfalls beantragt worden sei, habe das Gesundheitsamt keine Erlaubnis erteilt.
Insgesamt sind aktuell 166 Bewohner und 13 Mitarbeiter der Unterkunft in Sankt Augustin infiziert. Die Unterkunft bietet Platz für 600 Menschen, ist den Angaben zufolge derzeit aber nur mit 312 Personen belegt. In der vergangenen Woche war in der Landesunterkunft der erste Corona-Fall bekannt geworden. Das Gesundheitsamt hatte daraufhin Tests aller Bewohner und Mitarbeiter veranlasst und die Unterkunft unter Quarantäne gestellt.