GA-Spaziergang durch Sankt Augustin Schlösschen, Stübchen, Büdchen

SANKT AUGUSTIN · Sankt Augustin haftet seit jeher der Ruf einer Reißbrett-Stadt an, der Ruf des Künstlichen. Doch auch Sankt Augustin hat seine Geschichte - und seine Geschichten. Der GA hat sich auf die Suche gemacht - bei einem spontanen Stadtspaziergang von Birlinghoven nach Mülldorf.

Beim zweiten Stadtspaziergang durch Sankt Augustin hat es die GA-Redakteure Michael Lehnberg (M.) und Dominik Pieper ins Pleisbachtal verschlagen.

Beim zweiten Stadtspaziergang durch Sankt Augustin hat es die GA-Redakteure Michael Lehnberg (M.) und Dominik Pieper ins Pleisbachtal verschlagen.

Foto: Thomas Heinemann

Firmengelände - Zutritt verboten", steht auf dem Schild vor dem Wasserschlösschen in Birlinghoven. Das hindert uns aber nicht daran, dieses Kleinod näher zu betrachten. Nicht nur, weil es eines der schönsten Häuser in Sankt Augustin ist. Unser Kollege Thomas Heinemann hat uns erzählt, dass hier die Firma Leguano ihren Sitz hat, Hersteller von Barfußschuhen. Das macht uns neugierig, deshalb klingeln wir.

Barfuß oderWanderschuh?

Christina Anklam und Jenja Junkert gewähren Einlass und zeigen uns die sportlichen, flexiblen - tja, was ist das nun: noch Socken oder schon Schuhe? "Barfußschuhe sind Socken, die eine Sohle haben und sich jedem Fuß anpassen - gleich, wie er geformt ist", berichtet Christina Anklam. Wir dürfen welche anprobieren.

Leichten Schrittes laufen wir im Schlösschen auf und ab. Die Noppen quietschen auf dem blitzblanken Boden. Gewöhnungsbedürftig ist das Laufen schon, man spürt die kleinste Unebenheit. Die Schuhe sind drinnen wir draußen einsetzbar und sollen natürliche Bewegungsabläufe unterstützen. Kein schlechter Gedanke, wenn man bedenkt, wie sich manch einer in seinen Schuhen quält und Schäden davonträgt.

Genug gequietscht. Wir tauschen die Socken gegen unsere wuchtigen Wanderschuhe ein, bedanken uns bei Frau Anklam und Frau Junkert. Die Mittagssonne kommt zum Vorschein, als wir Birlinghoven durchqueren.

[kein Linktext vorhanden]Das Handy klingelt, als wir gerade am Lauterbach entlang gehen. Es ist Mülldorfs Ortsvorsteher Heinz-Peter Schumacher. "Ich habe gehört, dass Sie bei Ihrem Stadtspaziergang auch durch Mülldorf kommen. Ich lade Sie herzlich auf einen Kaffee ein. Wann gehen Sie denn?" fragt er. Doch wir sind schon unterwegs, und so kurzfristig klappt es nicht bei ihm. Schade - aber wir freuen uns über die nette Idee.

Streifzug durch Sankt Augustin
12 Bilder

Streifzug durch Sankt Augustin

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Der Birlinghovener Park mit Teich ist verwaist, wohl erst am Nachmittag werden die Eltern mit ihren Kindern kommen. Unser nächstes Ziel ist das Pleisbachtal, durch das früher die Kleinbahn tuckerte und das heute Wanderer, Spaziergänger, Walker, Radler und Jogger anlockt. Von Weitem sehen wir schon das Wanderstübchen. Das Ausflugslokal taucht zur rechten Zeit in der Landschaft auf, denn unsere Mägen knurren.

Pali, die Nummer 1

Karl-Heinz Weißenfeld hämmert gerade ein großes Banner an eine Wand im Innenhof. Es weist die Gäste darauf hin, dass jeden ersten Freitag im Monat im Biergarten Live-Musik mit Schlagerstars erklingt. Die Namen der Interpreten lösen indes Irritationen aus. Wir kennen keinen, was aber wohl daran liegt, dass unser Musikgeschmack in eine gänzlich andere Richtung geht. Von Roxy ist die Rede, von Lena Ferris, von Pali, dem "King of the Twist". Als solcher ist er die Nummer 1 - in Ungarn. Sie alle waren schon da, davon zeugen Autogrammkarten mit Widmung an der Wand. "Hier steppt absolut der Bär", erzählt Désirée Weißenfeld, die das Wanderstübchen in der dritten Saison betreibt. Man habe zwei Jahre gebraucht, um als Ausflugslokal angenommen zu werden. "Dafür haben wir hier auch viel und selbst umgebaut."

Die Familie hat viel Herzblut in das Landgasthaus gesteckt, das insgesamt bis zu 500 Leuten Platz bietet. Die Einrichtung ist rustikal und zeigt Liebe zum Detail. Alte Lederkoffer hängen an dem Vordach, und ein alter Wanderstock mit eingebautem Regenschirmchen steht vor der Tür. Darauf ein Schildchen von Röbel an der Müritz. Sogar ein Wohnzimmerrestaurant gibt es. Mittendrin: ein Arztschild. "Dr. med. Brockmann" steht drauf.

Nein, es ist nicht der beliebte Fernsehdoktor aus der "Praxis Bülowbogen", erfahren wir von Karl-Heinz Weißenfeld. "Das Wohnzimmer habe ich über persönliche Kontakte von einem Dr. Brockmann aus Recklinghausen bekommen. Dessen Sohn, der hier lebt, zählt zu unseren Stammgästen", berichtet er. Und der Sohn trinke nun sein Bierchen im elterlichen Wohnzimmer. Im Biergarten bestellen wir ein typisches Wandergericht: Bockwurst mit Pommes. Lecker! Wir machen uns gestärkt wieder auf den Weg.

Der führt durch die Felder Richtung Niederpleis. Vor uns in der Ferne erhebt sich die Abtei auf dem Michaelsberg in Siegburg. Es ist ein windiger Tag im Pleisbachtal, hin und wieder läuft ein Jogger an uns vorbei. Richtung Pleisbach röhren Bagger. Dort auf dem Spargelfeld laufen die letzten Arbeiten für die bereits fertiggestellte neue Brücke über den Pleisbach. Durch die noch lichten Bäume ist das Kulturdenkmal Niederpleiser Mühle zu sehen, die man nun über einen rund 300 Meter langen Weg auch vom Pleisbachtal aus ansteuern kann. 440.000 Euro hat das Brückenbauwerk aus Holz und Stahl gekostet. Es schließt den Weg durch das Landschaftsprojekt Grünes C ans Pleisbachtal an.

Zu Besuch bei einer Burgdame

Dafür verkaufte die Familie Nordhorn ein gutes Stück ihres Spargelfeldes. Auf den Wällen sehen wir die Folie mit der schwarzen Seite nach oben liegen. Ob es schon frischen Spargel gibt? Wir machen im Hofladen an der Burg Halt und treffen auf Verena Nordhorn. "Spargel braucht Wärme im Boden, das fängt jetzt erst an", sagt sie. Spargel sei umso besser, je gleichmäßiger das Wetter sei. In diesem Jahr komme der Spargel später als gewöhnlich, weil es bis in den April hinein noch Nachtfröste gegeben habe. Acht bis zehn Grad ist nachts die ideale Temperatur für das edle Gemüse. 15 bis 20 Grad sollten es tagsüber sein. "Gut war vor Kurzem der warme Regen", so Nordhorn. Am kommenden Mittwoch wird die Spargelsaison auf Burg Niederpleis eröffnet.

Angefangen haben die Nordhorns vor gut 30 Jahren mit Erdbeeren, später kam der Spargel hinzu. "Wir haben hier sandige Böden, und Spargel liebt sandige Böden", sagt Nordhorn. Wir verabschieden uns, ohne Gemüse. Und queren die lärmende Hauptstraße in Niederpleis. Schon wenige Meter später am Pleisbach wird es wieder ruhiger. An der Martinuskirchstraße sehen wir das "unfertige Haus", an dem ein privater Häuslebauer seit Jahrzehnten werkelt - oder eben nicht.

Seit dem 18. Jahrhundert verehren die Niederpleiser den Heiligen Antonius von Padua, dem zahlreiche Wunder zugeordnet werden. Ihm zu Ehren haben sie ein Wegekreuz gebaut an der Ecke Freie Busch-/Schulstraße. Jedes Jahr am 13. Juni gedenken sie mit einer Bußprozession des Tages im Jahr 1707, als sich Niederpleiser der Fürbitte des heiligen Antonius anvertraut hatten. Wenig später, so ist überliefert, war die Pest, die im Dorf gewütet hatte, verschwunden. Wir halten ein paar Minuten inne, bevor es weitergeht in Richtung Mülldorf über die Niederpleiser Straße. Bald taucht die Kulisse des Wohnparks auf.

Die Hochhäuser wirken streng, massiv, beinahe monolithisch. Über die städtebaulichen Vorstellungen der 60er und 70er Jahre rümpft man heute die Nase. Andererseits: Ungepflegt ist der Wohnpark nicht.

Zehn Salinos, bitte

Weiter geht es in den Mülldorfer Ortskern. Unser Ziel: das Büdchen an der Stadtbahnhaltestelle! Dort wollen wir uns mit Lakritz und Weingummis eindecken. Früher reichte eine Mark Taschengeld für zehn Salinos. Die ordern wir jetzt bei Gertrud Rodrigez, dazu kommen noch die Riesen-Colaflaschen. Was Saures? Nein, lieber die Fruchtgummischnüre. Und dann noch die ... - die Schlange hinter uns wird länger. Eine ältere Dame möchte nun endlich ihre Fernsehzeitschrift kaufen.

Der Kiosk, der von Edith Janovski betrieben wird, ist eine Institution in Mülldorf. Wie lange gibt es ihn eigentlich schon? Gertrud Rodrigez überlegt. "30 Jahre? Nein, das muss länger sein!" Ihr fällt der Mann von Mitte 50 ein, der schon als Siebenjähriger Süßigkeiten am Büdchen geholt habe. Sie zuckt mit den Schultern. "Uns gab es irgendwie schon immer!"

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