Interview mit Haushaltsexperten „Sankt Augustin lebt über seine Verhältnisse“

Sankt Augustin · Kommunale Haushalte sind seine Spezialität: Markus Berkenkopf ist beim Landesverband NRW des Bundes der Steuerzahler Referent für Haushalts- und Finanzpolitik. Matthias Hendorf sprach mit ihm über den Haushalt der Stadt Sankt Augustin.

Markus Berkenkopf ist Referent für Haushalts- und Finanzpolitik beim Bund der Steuerzahler.

Markus Berkenkopf ist Referent für Haushalts- und Finanzpolitik beim Bund der Steuerzahler.

Foto: Olaf Rayermann

Herr Berkenkopf, der Kämmerer der Stadt stuft die Finanzsituation als kritisch ein. Wie fällt Ihr Urteil aus?
Markus Berkenkopf: Diese Einschätzung teile ich. Das Defizit beträgt 2016 fast 21 Millionen Euro. Mit Blick auf den Gesamthaushalt ist das ein dickes Minus.

Der Kämmerer bemängelt, dass die Kommunen nicht über eine angemessene Finanzausstattung vom Land verfügen. Ein oft gehörtes Argument. Zurecht?
Berkenkopf: Auch wir sehen einen Reformbedarf für den kommunalen Finanzausgleich, das Land sollte den Kommunen etwas entgegenkommen.

Also ein berechtigtes Jammern.
Berkenkopf: Ja.

Aber?
Berkenkopf: Wir fordern trotzdem, dass die Kommunen die Konsolidierungsmaßnahmen umsetzen, um Steuerbelastungen für die Bürger zu vermeiden oder zumindest in Grenzen zu halten.

Das müssen Sie als Vertreter des Steuerzahlerbundes sagen.
Berkenkopf: Die Erhöhung der Steuer kann nur die Ultima Ratio sein. Aber wir meckern nicht nur, sondern bieten den Ratsfraktionen an, sie bei den Haushaltsberatungen zu unterstützen. Unser kostenloser Kommunalkompass enthält einige Hundert Sparvorschläge, die aus der Praxis stammen.

Ist das Drehen an der Steuerschraube zu kreativlos?
Berkenkopf: Ja, das alleine schon. Es gibt auch andere Möglichkeiten.

Welche?
Berkenkopf: In NRW gibt es Großstädte, die etwa im Kulturbereich kooperieren.

Und Städte wie Sankt Augustin?
Berkenkopf: Die Stadt könnte beispielsweise mit Siegburg oder Königswinter einen Bauhof betreiben oder gemeinsame Beschaffungen durchführen. Das muss natürlich praktikabel bleiben, ein gemeinsamer Schneeräumer für zwei Städte macht logischerweise keinen Sinn. Aber man wird auch nicht umhinkommen, Personal abzubauen, um den Haushalt zu sanieren. Dabei geht es nicht um Entlassungen, sondern darum zu schauen, ob eine Stelle tatsächlich nachbesetzt werden muss, wenn jemand in Rente geht.

Vielfach hört man, dass das Land den Kommunen viele Aufgaben zuweist, der sogenannte Kommunalisierungsgrad also höher ist als in anderen Bundesländern.
Berkenkopf: Wichtig ist, dass das Land das Konnexitätsprinzip beachtet. Heißt: Wer bestellt, bezahlt. Wenn das Land Aufgaben auf die Kommunen überträgt, muss es für die nötige Finanzausstattung sorgen.

Ist es eine Utopie, dass eine Stadt einen ausgeglichenen Haushalt hat?
Berkenkopf: Ein ausgeglichener Haushalt ist nicht utopisch. Es gibt diese Kommunen, aber es sind nicht viele. Verl ist ein Beispiel: Die Stadt hat in der Vergangenheit sparsam gewirtschaftet, auch ohne die Steuern zu sehr zu erhöhen.

Warum bekommen diese Städte das hin und viele andere nicht?
Berkenkopf: Weil sie sich Ziele setzen und konsequent verfolgen.

Einsparmaßnahmen sind nichts, was gut bei der Bevölkerung ankommt. Es scheint, als ob Kommunalpolitiker das scheuen.
Berkenkopf: Dafür sind sie aber gewählt worden. Es gehört für einen politischen Mandatsträger dazu, schmerzhafte Entscheidungen zu treffen, die der Allgemeinheit dienen. Den Bürgern ist doch bewusst, dass eine Stadt nicht alles Wünschenswerte leisten kann.

Im Neuen Kommunalen Finanzmanagement zählen etwa Ampeln oder Spielplätze als Eigenkapital, in der freien Wirtschaft ist das nicht so. Sind viele öffentliche Haushalte nach den Regeln der freien Wirtschaft also insolvent?
Berkenkopf: Die Haushalte sind defizitär, manche auch bereits überschuldet. Das geht schon in die Richtung. Eine Zahlungsunfähigkeit – also dass die Stadt Rechnungen nicht mehr bezahlen kann – ist mir im kommunalen Bereich aber nicht bekannt.

Das Eigenkapital der Stadt Sankt Augustin reduziert sich Stand jetzt von 147,7 Millionen Euro im Jahr 2009 auf 22 Millionen Euro im Jahr 2023. Was heißt das?
Berkenkopf: Man sieht, dass die Stadt über ihre Verhältnisse lebt.

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