GA-Serie "Unser Stadtteil" Moderner Wandel verdrängt in Mülldorf dörfliche Strukturen

Der Ortsvorsteher von Mülldorf, Heinz-Peter Schumacher, träumt von einem Dorfplatz an zentraler Stelle. Geht man mit ihm durch seinen Geburtsort, dann kommen Kindheits- und Jugenderinnerungen hoch wie Fußballspiele auf der Wiese vor der alten Sporthalle, sonntägliche Einkäufe von Kuchen mit Sahneschälchen bei der Bäckerei Krupp oder später sein zweites Zuhause in der Traditionsgaststätte "Hongsburg".

 Urbanes Flair verbreitet der Neubau der Sparkasse auf dem ehemaligen Möbel-Tacke-Areal an der Kreuzung zur Südstraße.

Urbanes Flair verbreitet der Neubau der Sparkasse auf dem ehemaligen Möbel-Tacke-Areal an der Kreuzung zur Südstraße.

Foto: Martina Welt

Im alten Kern Mülldorfs zwischen Meerstraße, Mendener Straße und Niederpleiser Straße gab es mehrere Kioske, die Ziegelei in direkter Nachbarschaft sorgte dafür, dass die immer montags frisch aufgehängte Wäsche schon mal schwarz von der Leine kam.

All das hat Schumacher in bester Erinnerung und dies sind nicht die einzigen Gründe, weshalb der 59-Jährige zwar mehrfach umgezogen ist, seinen Stadtteil jedoch nie verlassen hat. Heute bewohnt er das erste Haus an der Mendener Straße. "Ich passe auf, wer kommt oder geht".

Rund 8500 Schritte oder sechs Kilometer weit lief GA-Mitarbeiterin Martina Welt mit ihm, um den Ortsteil zu erkunden. In Mülldorf trifft die Beschaulichkeit der Vergangenheit besonders eklatant auf den Wandel in bewegten Zeiten. Neben Fachwerk- oder Backsteinhäusern stehen moderne Gebäude für die Sparkasse oder das Fitness-Studio mit Discounter. Und nicht zu vergessen die Fachhochschule, die in diesem Jahr ihren 20. Geburtstag feiert sowie das angrenzende Wohnquartier am Europaring.

Ob nun das Huma-Einkaufscenter zu Mülldorf oder zu Ort gehört, da sind sich die beiden Ortsvorsteher keineswegs einig. Klären kann das Eva Stocksiefen, die Pressesprecherin der Stadt. Während Fachhochschule und Sparkassengebäude zu Mülldorf zählen, gehöre Huma zu Sankt Augustin-Ort.

l Kapellenplatz: Zwei Kapellen gab es dort, wo heute nur noch der Name des Platzes an der ersten großen Kreuzung in Mülldorf an vergangene Zeiten erinnert. Auch die einstige Grundschule grenzt an den historischen Platz im Ort. In ihr befindet sich das kleinste Kino Deutschlands und vielleicht auch der Welt. "Ich glaube nur in China soll es noch ein Kino geben, das kleiner ist als unseres", erzählt Schumacher. Dank des resoluten Pfarrers Gottfried Salz wurde eine neue Kirche im Dorf gebaut, und das unter der Herrschaft der Nazis. Er erhielt eine Genehmigung und schaffte es, nach nur acht Monaten Bauzeit seine Kirche am 18. Dezember 1938 einzuweihen. Die Straße vor der Kirche ist später nach ihm benannt worden

l Verkehrsanbindung: Ein schlagendes Argument für Mülldorf als Wohnort, Firmen- und Wissenschaftsstandort ist die hervorragende Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr. Gleich zwei Haltestellen der S 66, die Siegburg über Sankt Augustin und Bonn bis nach Bad Honnef verbindet, sind für die Mülldorfer gut und bequem zu Fuß zu erreichen. Aber auch der zentrale Busbahnhof im Zentrum liegt günstig. Mit dem Auto sind mehrere Autobahnauffahrten rund um den Ortsteil schnell erreichbar, ganz gleich ob Richtung Lohmar, Hennef oder Bonn.

Dass ein Segen auch zum Fluch werden kann, dafür steht die im Berufsverkehr staugeplagte B 56. Die viel befahrene Bundesstraße zerschneidet den Ortsteil in zwei Hälften. Drei große Kreuzungen sorgen immer wieder für Staus und Verkehrsunfälle. Auch die Bahnüberquerungen sind mitunter mühsam, was sich mit der geplanten neuen Unterführung - der so genannten Ost-West-Spange - ändern soll.

  • Jugendarbeit: Das Jugendzentrum Matchbox und die angegliederte Mehrzweckhalle sind Herzensangelegenheiten des Ortsvorstehers Schumacher. Während das Jugendzentrum im einstigen Bürgermeisteramt Menden untergebracht ist und schon seit Jahren auf die Sanierung wartet, ist die Mehrzweckhalle 1989 gebaut worden und seitdem der Treffpunkt, um Tradition und Geselligkeit im Ort möglich zu machen. Auch der Abenteuerspielplatz sucht seinesgleichen und hat mit dazu beigetragen, die vielen Kinder aus den Hochhausbauten in der Nachbarschaft zu fördern. Seit 1992 besteht die Anlage, in der die Kinder zwischen sechs und 14 Jahren und an allen neuen Projekten beteiligt werden. Aktuell werden ein großes Insektenhaus errichtet und das Hochbeet bepflanzt und gepflegt. "Im Wasser matschen ist hier ebenso erlaubt wie das Klettern auf Bäume", erklärt Thomas Schwake, Leiter der Anlage. "Es gibt wenig vorgefertigtes Programm, denn hier sollen die Kinder selbst Ideen entwickeln und umsetzen."
  • Gärten der Nationen: Eines der neueren Projekte in Mülldorf sind die Gärten der Nationen. Hier darf auf 80 Parzellen alles angebaut werden, nur Zäune und Gartenhäuser sind tabu, um die Gemeinschaft und Integration zu fördern.
  • Entwicklung: So schnell wie die Entwicklung der modernen Infrastruktur und der neuen Viertel in Mülldorf voranschreitet, so bitter ist es, dass die alte Dorfstruktur Stück für Stück Abschied nimmt. Dort wo früher zwischen Dahms Kiosk und Hermann Ahrs Imbiss die Nachrichtenzentrale des Ortes war und wo sich mindestens fünf Tante-Emma-Läden befanden, sieht man nur noch geschlossene Ladenfronten. Von den einst neun Landwirten gibt es nur noch einen, den "Held vom Feld" Hans-Peter Keller an der Meerstraße. Auch die Eckkneipen sind verschwunden und Traditionswirtshäuser gibt es nur noch eines - "Alt Mülldorf". Die Aussicht auf einen Dorfplatz schwindet mehr und mehr. Überall dort, wo er hätte entstehen können, werden Baulücken mit modernen Häusern geschlossen. Der Maiclub, der vor 25 Jahren entstand, wird daher auch in Zukunft den Maibaum auf der Wiese hinter der Kirche aufstellen.

Zahlen & Fakten

  • Einwohner: 9193 Hauptwohnsitz, 296 Nebenwohnsitz.
  • Bildung: Es gibt sechs Kitas und eine Grundschule. Die Hochschule Bonn-Rhein-Sieg wurde vor 20 Jahren gegründet und hat heute ca. 7500 Studenten an drei Standorten.
  • Sonstiges: In Mülldorf gibt es rund 20 Vereine, einen betreuten Abenteuerspielplatz, das kleinste Kino Deutschlands, die Gärten der Nationen, den ältesten Löschzug und Jugendfeuerwehr in der Stadt.

Das meint die Redaktion

Für Mülldorf sprechen:

  • Kurze Wege zur S-Bahn-Linie 66
  • Beste Versorgung
  • Gute Angebote für Kinder und Jugendliche

Gegen Mülldorf sprechen:

  • B56 teilt den Ort in zwei Teile
  • Dorfstruktur zerfällt, Traditionsgaststätten schließen, Kioske gibt es nicht mehr, für einen Dorfplatz ist kein Platz
  • Architektonische Sünden der 70er Jahre (Ankerstraße) sind heute teils soziale Brennpunkte
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