Hoffnung auf Familiennachzug Iraker in Sankt Augustin bangt um seine Familie

Sankt Augustin · Der Iraker Nasser Abdulah Aabed hofft auf den Nachzug von Frau und Tochter. 2015 wurde der in Sankt Augustin lebende Familienvater in der Türkei auf der Flucht nach Deutschland von seiner Frau Yusra und Tochter Hajar getrennt.

 Hoffen auf Familiennachzug: Nasser Abdulah Aabed (r.), Sohn Omar und Helferin Heike Sorge.

Hoffen auf Familiennachzug: Nasser Abdulah Aabed (r.), Sohn Omar und Helferin Heike Sorge.

Foto: MEIKE BÖSCHEMEYER

Die Folternarben an Nassers Bein und seinem Kopf sind mittlerweile verheilt, doch eine Wunde will sich bis heute einfach nicht schließen. „Wie kann ein Mann ohne seine Familie leben?“, fragt der 57-Jährige.

Nasser Abdulah Aabed ist verzweifelt. 2015 wurde er in der Türkei auf der Flucht nach Deutschland von seiner Frau Yusra und Tochter Hajar (17) getrennt. Bis vergangenen Donnerstag hoffte er, die Bundesregierung würde ihren Kurs bei der Regelung für Familiennachzug ändern – vergeblich. Sein Sohn Omar, bei dem Nasser in Sankt Augustin lebt, teilte ihm die Nachricht über die Entscheidung mit. „Er war schockiert“, sagt Omar. „Seine Gedanken drehen sich nur um seine Familie. Die Angst bestimmt alles. Es gibt Tage, an denen weint der Vater einfach nur. Er hat keinen Antrieb, irgendetwas Neues anzufangen.“

Die Flucht der Familie beginnt 2003. Nach dem Einmarsch der USA und dem Sturz des Diktators Saddam Hussein werden Vater Nasser und sein Sohn Omar, die verwandtschaftliche Beziehungen zu dem alten Regime hatten, mehrfach verhaftet, verhört und gefoltert. Über Jordanien führt die Flucht der Familie zunächst nach Syrien, wo sie in der Nähe von Damaskus ein neues Leben aufbauen wollen. Doch der Krieg holt die Familie ein. Wieder ist sie gezwungen zu flüchten und ihr altes Leben zurückzulassen.

Ihr Ziel diesmal: ein Land, in dem die Töchter von Omar und Nasser in Sicherheit aufwachsen können – Deutschland. Über die Balkanroute macht sich zuerst Omar in Richtung Westen auf. Ihm gelingt nicht nur die Flucht, sondern später auch, seine Frau und seine Kinder nach Deutschland nachzuholen. Nasser will es ihm nachtun. „Wir wussten, dass die Balkanroute gefährlich ist. Deshalb wollte ich alleine vorgehen“, sagt Nasser. Was er damals nicht ahnen konnte: Die Bundesregierung setzte 2016 den Familiennachzug für Flüchtlinge mit eingeschränktem, sogenannten subsidiären Schutzstatus aus. In der vergangenen Woche verlängerte der Bundestag mit Stimmen der CDU/CSU und SPD die Regelung bis Ende Juli 2018.

Flüchtlingshelferin unterstützt den Iraker

Was es bedeutet, die Familie nach Monaten des Wartens endlich wiederzusehen, hat Ashraf Matar erfahren. In seinem Heimatland Syrien beteiligte sich der heute 34-Jährige an den Protesten des sogenannten Arabischen Frühlings gegen die Regierung des Diktators Assad. Innerhalb weniger Tage wurde Ashraf vom erfolgreichen Architekten zum Feind des Regimes und schließlich zum Flüchtling. Rund eineinhalb Jahre lebte er von seiner Frau und seiner Tochter getrennt, bis sie schließlich Anfang 2017 ihr Visum beantragen und nachreisen konnten. „Ich kann in Worten nicht beschreiben, was ich damals gedacht habe, als ich sie wieder in die Arme nehmen durfte. Ich fühlte Ruhe, endlich Ruhe“, sagt Ashraf.

In Deutschland kämpft er nun dafür, dass dies auch anderen Flüchtlingen gelingt. Er engagiert sich bei der Initiative „Rettet Syriens Familien“, startete eine Petition, organisierte Kundgebungen und Mahnwachen. „Die Angst um die Familie, die ständig da ist, absorbiert die junge Generation, die hier ist. Sie erschwert alle Fortschritte, zum Beispiel beim Lernen der Sprache“, so Ashraf.

Unterstützung erhält er von Flüchtlingshelferin Heike Sorge, die ihn seit seiner Ankunft in Sankt Augustin kennt. Mittlerweile haben Ashraf und ihre Familie das dritte Weihnachten gemeinsam gefeiert. „Omar und Ashraf sind wie meine Brüder“, sagt Sorge. Sie teilt die Angst um Omars Mutter und Schwester und auch um Vater Nasser, den die aktuelle Situation auch gesundheitlich immer stärker angreift. Nach dem Willen von CDU/CSU und SPD sollen ab August bis zu 1000 Personen pro Monat nachziehen dürfen, zuzüglich sogenannter Härtefälle.

Für Nasser und und Omar ist das jedoch nicht mehr als ein Fünkchen Hoffnung. „Es ist völlig unklar, ob es wirklich 1000 pro Monat werden. Und die bisher bewilligten Härtefälle waren verschwindend gering“,so Sorge. „Wir sind unendlich dankbar, und die ganze Welt weiß, was Deutschland für Flüchtlinge getan hat, aber mit der aktuellen Regelung wird neues Unrecht geschaffen“, sagt Ashraf.

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