Schatz für Heimatforscher Geschichte der Sankt Augustiner Familien

Sankt Augustin · Die Geschichte einer Stadt wird von den Menschen und Familien geprägt, die in ihr leben. Für das Stadtarchiv hat Waltraud Boß sich die Familien einmal genau angeschaut.

Sechs Jahre lang und in weit über Tausend Arbeitsstunden hat sich Waltraud Boß durch Berge an alten Geburts-, Heirats- und Sterberegister gegraben und auch die bald 30 Jahre alten Familienbücher von Wilhelm Schumacher und Franz Stelljes für die alten Kirchspiele in Sankt Augustin durchforstet.

Eine Aufgabe, die wie geschaffen war für die an Familienforschung interessierte, langjährige Betriebsprüferin beim Sankt Augustiner Finanzamt. Neben einer akribischen Recherche war auch eine umfassende, datenschutzfeste Aufarbeitung von Namenslisten und Datenbergen notwendig. Herausgekommen ist das neue 1413 Seiten starke und vom Rheinlandia-Verlag in drei Bänden gefasste „Ortsfamilienbuch Sankt Augustin“, das Auskunft über Namen, Familien und Verwandtschaften für die Zeit von 1652 bis 1986 gibt.

Das Werk erzählt aber auch viel Stadtgeschichte, wie bei der Vorstellung in den Räumen der Stadtbücherei deutlich wurde. „Es war für mich keine Arbeit, sondern eine wahre Freude. Ich habe es wirklich gern gemacht und habe auch schon ein weiteres Projekt in Arbeit“, sagte Waltraud Boß, die vor zwölf Jahren auf der Suche nach der eigenen Familiengeschichte vom Virus der Familienforschung infiziert wurde.

Ein wahrer Wissensschatz

Mit ihren Recherchen öffnete sich der Autorin ein wahrer Wissensschatz: „Man erkennt über die Zeit den Wandel an den Berufen, etwa als die industrielle Revolution einsetzte – von den Wanderarbeitern, Landwirten, Fischern und Korbmachern hin zu Fabrikarbeitern.“ Der damalige Fachkräftebedarf brachte Zuzug in die Region, sagte Boß. „Bis dahin war hier alles streng katholisch, und Vornamen wie Johann, Wilhelm, Heinrich, Christina, Katharina und Maria waren üblich. Mit dem Zuzug kamen auch Protestanten und die haben neue Vornamen mitgebracht.“

Mit dem Fortschritt verbesserten sich die Lebensumstände allmählich, die Kindersterblichkeit sank langsam. Nicht selten haben nur ein oder zwei Geschwister überlebt. Rekordhalter war eine Familie mit 21 Kindern, von denen zehn das Erwachsenenalter nicht erlebten. Auch der Facharbeiterzuzug im 20. Jahrhundert ist in den Archiven der Ämter festgehalten worden. So sind die Namen von vier italienischen Familien, die sich damals in Sankt Augustin niederließen, bis heute bundesweit nur in dieser Region zu finden, hat die Autorin recherchiert.

Auch die Familiennamen „Panzenell“ und „Hinterkeuser“ – zu letztgenannter Familie hat Boß private Wurzeln – lassen sich nach Sankt Augustin zurückverfolgen. „Alle Hinterkeuser in Deutschland haben hier ihre Wurzeln. Ein Teil hat sich abgespalten nach Urbach und hieß fortan 'Hinterkausen'. Ein anderer Teil ging nach Lohmar als 'Hennekeuser'“. Solche Namensänderungen waren keine Seltenheit, auch, weil Namen im Amt so erfasst wurden wie man sie aussprach. „In einem Eintrag ist von einer Schallöde die Rede – die Familie hatte einen sächsischen Akzent, es war ziemlich sicher eine Charlotte.“

Tragische Ereignisse

Neben heiteren und spannenden Familiengeschichten zeugt das Ortsfamilienbuch auch von tragischen Ereignissen. 1827 kamen bei einem Fährunglück in Menden aufgrund eines „unkundigen Fährmanns“, so die Aufzeichnungen, neun Personen im Alter von 13 bis 27 Jahren ums Leben. 1948 ertranken bei einem weiteren Fährunglück in Meindorf drei Schüler und ein Lehrer in der Sieg. Auch der damals noch junge Flugbetrieb in Hangelar forderte seinen Tribut. 1926 wurden bei einem Unfall ein 30-jähriger Pilot aus Lüdenscheid sowie ein 31-jähriger Polizist aus Elberfeld getötet.

Die Recherche brachte aber auch Licht ins dunkelste Kapitel der Stadtgeschichte, wie Waltraud Boß berichtete: „Um 1942 muss es an der Richthofenstraße ein kleines Lager gegeben haben. Von August bis November sind dort in kurzer Zeit gleich mehrere junge Männer aus Polen an Herzschwäche gestorben – das ist sehr ungewöhnlich.“ Eine Schreckenszeit, deren Spuren insbesondere in den damaligen politischen Strukturen des Amtes Menden ein anderer Autor derzeit aufarbeitet, kündigte Stadtarchivar Michael Korn eine weitere Veröffentlichung des Stadtarchivs für das Frühjahr 2018 an.

Das dreibändige Ortsfamilienbuch ist für 30 Euro im Stadtarchiv, Markt 1, und im Buchhandel erhältlich.

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