Interview mit Marcus Lübken Der EVG-Geschäftsführer über die Energieversorgung in der Region

Sankt Augustin · Seit 2008 hat die Stadt Sankt Augustin eine Energieversorgungsgesellschaft (EVG). Wo ihre Aufgaben liegen, wie sie sich bei der Energieversorgung in der Region positioniert - darüber sprach mit EVG-Geschäftsführer Marcus Lübken Michael Lehnberg.

Noch hat die EVG keine eigenen Netze, weil man sich nicht mit Rhenag/RWE einigen konnte. Was macht die Gesellschaft eigentlich?
Marcus Lübken: Mit der Entscheidung des Rates vom April 2012 und dem Abschluss aller erforderlichen vertraglichen Vereinbarungen ist die EVG nun Besitzerin wie auch wirtschaftliche Eigentümerin sowohl des Strom- als auch des Gasnetzes in Sankt Augustin, zudem auch Konzessionsinhaberin für die Wegenutzungsrechte im Strom- und im Gasbereich. Das heißt: Konkret ist die EVG an allen Investitionsentscheidungen über die Erneuerung oder Erweiterung beider Netze beteiligt und koordiniert für die Netzbetreiber Rhenag und Westnetz alle Baumaßnahmen in diesem Zusammenhang. Dazu errichten wir zur Zeit ein komplettes Nahwärmenetz inklusive Blockheizkraftwerk für alle 135 Wohneinheiten im Neubaugebiet Fasanenweg an der Meindorfer Straße und stehen in Verhandlungen über die Errichtung oder den Erwerb weiterer Nahwärmenetze. Wir erbringen Dienstleistungen für Investoren, die in Sankt Augustin größere Vorhaben realisieren wollen. Schließlich beliefern wir seit Beginn des Jahres mehr als 400 Abnahmestellen der Stadt Sankt Augustin mit Ökostrom.

Bis 2016 läuft noch der Pachtvertrag mit der Rhenag/RWE. Bis wann müssen Sie eine Entscheidung treffen, um 2017 mit eigenen Stadtwerken starten zu können?
Lübken: Bereits jetzt bauen wir einzelne Geschäftsfelder des integrierten Stadtwerkes im Hinblick auf 2017 auf. Die von 2008 bis 2011 verfolgte Strategie, diesen Aufbau erst nach kompletter Netzübernahme vorzunehmen, haben wir verworfen. Wann genau eine weitere Grundsatzentscheidung des Rates erforderlich ist, kann jetzt noch nicht konkret festgelegt werden. In einer Strategiediskussion im Hinblick auf 2017 befinden wir uns bereits jetzt. Dies will aber mit unseren Bonner Partnern eng abgestimmt werden.

Welche Vorteile hätten eigene Stadtwerke aus Sicht der Bürger und der Stadt?
Lübken: Die Vorteile liegen klar auf der Hand: ein lokaler Versorger, der in der Stadt für die Stadt und die Energieversorgung als rein kommunaler Partner zur Verfügung steht. Produkte und Dienstleistungen werden hinsichtlich Ausgestaltung und Qualität auf die lokalen Wünsche abgestimmt. Die Leistungserbringung wird in Sankt Augustin gesteuert. Auch bei der Koordination von lokalen Baumaßnahmen im öffentlichen Straßenraum wird das erkennbar. Nicht zuletzt bleibt ein großer Teil der Wertschöpfung und der erwirtschafteten Ergebnisse in der Stadt.

Hätte die EVG eigentlich Einfluss auf die Strom- und Gaspreise?
Lübken: Die aktuelle bundesweite Diskussion um die Energiepreise macht deutlich, dass eine Vielzahl unterschiedlicher, überwiegend nicht von der EVG zu beeinflussender Preiselemente den Endpreis für den Kunden bestimmen. Neben den staatlichen Abgaben, Umlagen und Steuern sind dies: die durch die Regulierungsbehörden vorgegebenen Netznutzungsentgelte, die sich im Wesentlichen aus den Börsenpreisen ergebenden Strombeschaffungskosten, die Eigenkosten der EVG sowie die Ergebniserwartung der EVG-Gesellschafter. Insofern hat die EVG einen, allerdings begrenzten, Einfluss auf die Strom- und Gaspreise. Moderne Energiedienstleistungen definieren sich längst nicht mehr nur über den Preis. Bei der Ausgestaltung der hierzu gehörenden wesentlichen Parameter wie Produktgestaltung, örtliche Präsenz, kundenfreundliche Vertragsbedingungen, -laufzeiten, Stromqualität wie Öko-Strom Anteil oder das Beratungsangebot ist der Einfluss der EVG deutlich größer. Genau hier erfolgt auch die Differenzierung zu den anderen Anbietern.

Wie stellt sich denn derzeit die Partnerschaft mit den Stadtwerken Bonn dar?
Lübken: Die SWB ist mit 45 Prozent Gesellschafterin der EVG und als Geschäftsbesorger unser Knowhow- und Ressourcenpartner. Wir arbeiten sehr eng mit der SWB-Tochter EGM bei der Verwirklichung von Contractingprojekten zusammen und greifen auf die Erfahrungen der SWB-Energie- und Wasser (EnW) zurück.

Sind die Differenzen wegen der von Bonn gewünschten Vertragsanpassungen ausgeräumt?
Lübken: Vertragsanpassungen stehen seit der Entscheidung des Rates vom April nicht mehr im Raum. Alle jetzt abgeschlossenen Verträge haben die Zustimmung aller Gremien, sowohl in Bonn wie auch in Sankt Augustin gefunden.

Gibt es eine neue Entwicklung in Sachen Netzübernahme?
Lübken: Wir haben eine Reihe von Fragen im Zusammenhang mit einer künftigen Netzübernahme bereits gelöst. Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur konkreten Festlegung, wie der Wert eines Netzes und damit der Kaufpreis ermittelt werden, steht noch aus.

Die SPD etwa hat immer wieder gefordert, Klage einzureichen, um an die Netze zu kommen. Warum lehnen Sie das ab?
Lübken: Der Rat hat sich vorerst dagegen entschieden, weil dieser Weg zum jetzigen Zeitpunkt weder wirtschaftlich noch zielführend ist. Durch die Pachtlösung hat sich der Rat alle Optionen offen gelassen, in welcher Form er die Netzübernahme gestalten möchte.

Wenn Sie die Netze haben, wollen sie dann auch einen Kundenvertrieb aufbauen?
Lübken: Natürlich gehört zu einem integrierten Stadtwerk auch ein Strom- und Gasvertrieb, wobei grundsätzlich festzustellen ist, dass kein zwingender oder unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Netzerwerb und dem Vertrieb besteht. In den Nahwärmevertrieb sowie in den Stromvertrieb sind die ersten Schritte gemacht. Für die Belieferung von Privatkunden liegen Pläne vor, jedoch sind hierfür die wirtschaftlichen und technischen Rahmenbedingungen noch nicht vorhanden, die notwendig sind, um Kunden im Wettbewerb zu gewinnen.

Zur Person

Marcus Lübken ist seit 2008 Beigeordneter der Stadt Sankt Augustin. Seit Juli 2011 bekleidet der Jurist nebenberuflich das Amt des Geschäftsführers der Energieversorgungsgesellschaft Sankt Augustin (EVG). Er teilt sich den Posten mit Peter Weckenbrock von den Stadtwerken Bonn. Lübken ist 39 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Kinder. Er lebt mit seiner Familie in Niederpleis.

Die EVG

Die Energieversorgungsgesellschaft Sankt Augustin ist 2008 mit dem Ziel gegründet worden, eigene Stadtwerke aufzubauen. Sie ist eine hundertprozentige Tochter der Wasserversorgungsgesellschaft. 45 Prozent der Anteile an der EVG hält die Beteiligungsgesellschaft der Stadtwerke Bonn. Die EVG setzte im Jahr 2012 rund 1,4 Millionen Euro um und tätigte Investitionen in Höhe von 143.000 Euro.

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