GA-Serie "40 Jahre Stadt Sankt Augustin" Architekturprofessor Werling zum Sankt Augustiner Stadtzentrum

Sankt Augustin · Das Sankt Augustiner Zentrum ist in den 70er Jahren aus dem Boden gestampft worden. Stehen dort austauschbare Klötze oder die Denkmäler von morgen? Archirekturprofessor Michael Werling erklärt den Gedanken, der hinter der Planung stand.

Kaum eine andere Stadt in Deutschland stand in den späten 1960er Jahren für einen städtebaulich so rasanten Wandel wie Sankt Augustin. Dort, wo über 150 Jahre lang rund 20 Mülldorfer Familien als Haupt- und Nebenerwerbslandwirte hatten Rüben, Kartoffeln und Getreide wachsen lassen, schossen innerhalb von nur zehn Jahren gut ein Dutzend großes Gebäude mit rund 20 000 Quadratmetern Nutzfläche aus dem Boden, die fortan das Zentrum der zukünftigen Stadt Sankt Augustin bilden sollten.

Ein Zentrum mit Gebäuden, auf das die Sankt Augustiner auch heute noch stolz sein dürften, sagt der Bergisch Gladbacher Architekturprofessor Michael Werling: „Man hat sich dabei wirklich etwas gedacht, man war zur damaligen Zeit sehr innovativ unterwegs.“

1970 wurde aus dem Acker "urbanes Kerngebiet"

Den inoffiziellen Startschuss für die Zentrumsentwicklung der 1969 gebildeten Gemeinde Sankt Augustin gab die Kinderklinik, die am Rand der ehemaligen Kiesgruben Keller und Freckwinkel entstand. Sie gab in Form und Größe einen ersten Ausblick auf das, was der damalige SPD-Ortsvereinsvorsitzende Erhard Forndran 1969 formuliert hatte: „Zwischen Bonn und Siegburg soll es künftig kein Dorf mehr geben.“ Es ging Schlag auf Schlag.

Kurz vor Weihnachten 1970 folgte die Ausweisung der Ackerflächen als urbanes Kerngebiet, im März 1971 der erste städtebauliche Wettbewerb, der den großen Wurf wagte: Vorgesehen waren 30 000 Quadratmeter für Wohnungen, 40 000 Quadratmeter für Handel sowie 11 200 Quadratmeter für Gastronomie, Hotels, Banken und Dienstleister.

Planung auf der grünen Wiese

Die Pläne auf der grünen Wiese brachten Ärger mit Nachbarkommunen, Behörden und Kammern, die die Pläne als zu groß kassierten. 1972 begann der eigens gegründete Zentrumsausschuss des Rates, den Siegerentwurf des Kölner Architekturbüros Klüser im Detail auszuarbeiten: Zwei Warenhäuser, ein Einkaufszentrum, ein Rat- und ein Cityhaus, ein 4000 Quadratmeter großes Wellenbad sowie Wohngebäude mit 97 729 Quadratmeter Wohnflächen waren geplant.

Das Rathaus sollte 17 Geschosse haben. Die Pläne wurden jedoch schon bald modifiziert, mangels Investor, aber auch weil die Konrad-Adenauer-Stiftung und die Handelsgruppe Suma (später Huma) vor der Tür standen. Damit nahm das Zentrum in seiner heutigen Form Gestalt an. Zwischen Stiftung und Einkaufszentrum wurde das Rathaus geplant, alle drei Bauten entstanden zwischen 1975 und 1977.

"So schlecht ist der Bau ja nicht"

Das Einkaufszentrum ist inzwischen einem Neubau gewichen. Manch einer hätte sich auch für das Rathaus die Abrissbirne gewünscht. „So dramatisch sehe ich das nicht“, sagt Michael Werling, der im Rahmen des Denkmalpflegeplans die bauliche Entwicklung der Stadt untersucht hat. „So schlecht ist der Bau ja nicht.“ Ob die Gebäudeensemble erhaltenswert oder gar denkmalverdächtig sei, sollten Denkmalprüfer in zehn oder zwanzig Jahren klären, so Werling: „Die Epoche der 1970er Jahre ist noch nicht so wirklich abgeschlossen.“

Große Vorbilder

Dabei sei die Handschrift jener Zeit unverkennbar, sagt der Architekturexperte beim Blick aufs Rathausumfeld: „Die Bandarchitektur mit Brüstungs- und Fensterbändern, gebrochenen Kanten, manchmal sogar Rundungen –- das ist ein Rationalismus und Funktionalismus, den die Schüler von weltberühmter Architekten wie Le Corbusier oder Richard Neutra damals betrieben haben.“ Man wollte gerade nicht „quadratisch, praktisch, gut“ bauen, erklärt Werling: „Das Rathaus sollte sich dem Platz öffnen.

Zusammen mit dem zweigeschossigem Seitenflügel mit Musikschule und Bücherei umfasst es den Platz und lädt den Besucher ein, hineinzukommen – das ist kein liebloser Verwaltungsklotz, sondern transportiert eine einladende Botschaft. Fast möchte man an Berninis Kolonaden am Petersdom oder den Piazza del Campo, den Marktplatz von Siena, denken.“ Professor Werling ist sich sicher: „Die heutige Architektur des Zentrums ist eine gute. Etwas Neues wäre fürs Stadtzentrum nicht unbedingt besser, dessen muss man sich bewusst sein.“

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