Serie "Ich sehe was, was du nicht siehst" So sieht es im Pleistalwerk in Sankt Augustin aus

Sankt Augustin · In unserer Serie "Ich sehe was, was du nicht siehst..." nehmen wir Leser mit an Orte, an die sie sonst nicht kommen. Diesmal geht es ins alte Pleistalwerk in Sankt Augustin-Birlinghoven.

 Das alte Pleistalwerk.

Das alte Pleistalwerk.

Foto: Holger Arndt

Die dicken Backsteinmauern der verlassenen alten Fabrik sind überwuchert von Moos und Schlingpflanzen. Mitten in der Idylle des Pleistals steht die Ruine des nach ihm benannte Pleistalwerks und beherbergt wie in einer Zeitkapsel ein Stück regionale Industriegeschichte: Das Pleistalwerk, 1841 entstanden als "Zeche Plato", war eine Ziegelei in Birlinghoven, heute ein Stadtteil Sankt Augustins.

Einst wurden hier feuerfeste Steine, Ziegel und Tonröhren produziert, fast 250 Mitarbeiter hatte die Fabrik zu Hochzeiten. Nachdem das ursprüngliche Ofenhaus 1902 durch ein Feuer zerstört worden war, wurde der dreigeschossige Backsteinbau gebaut, der noch heute am Birlinghovener Waldrand steht - und immer weiter verfällt.

Wo früher Arbeiter Ton zu Entwässerungsröhren für Häuser und Straßen pressten, erobert sich heute die Natur ihren Raum zurück: Bäume sind umgestürzt und haben Wände und Decken eingerissen, Sprösslinge schießen aus früheren Fensteröffnungen.

1926 erwarben Heinrich Startz und seine Frau die Fabrik und nannten es fortan Pleistalwerk. Startz baute ein neues Ofenhaus, in dem Klinkersteine produziert wurden. Als die Tongrube auf dem Gelände 1928 erschöpft war, wurde der Grundstoff unter anderem aus dem nahe gelegenen Oberpleis mit der Bröltalbahn angeliefert. Ans Gleis angeschlossen war das Werk bereits seit 1922. 1930 stellte man ganz auf die Steinzeugröhrenproduktion um. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Nachfrage nach den Röhren hoch. Aus Birlinghoven wurde bis nach Italien und Frankreich verkauft. Das Pleistalwerk brummte.

Einblicke in das Pleistalwerk in Sankt Augustin

Heute lauern in dem düsteren dreistöckigen Gebäude zahlreiche Löcher im Boden, tragende Mauern drohen einzustürzen. Graffiti-Sprayer toben sich an den Wänden aus. Der Boden ist übersät mit leeren Farbdosen, Plastiktüten und Glasscherben. Bäume wachsen in den Mauerfugen und lassen die alten Steine bröckeln. Wo früher Maschinen standen, hat sich in Löchern im Boden dunkel schimmerndes Brackwasser gesammelt.

Das Ende der Steinzeugröhrenproduktion bedeutete auch das Ende des Pleistalwerks. Als in den 1970er Jahren Kunststoffröhren die Produkte aus Ton verdrängten, war das der Anfang vom Ende des Pleistalwerks. Die Familie stellte die Produktion ein, verkaufte die Maschinen. Der Verfall war rapide. Ganze Mauern und fast alle Eisenteile wurden von Dieben abgetragen und mitgenommen, berichtet Heinrich Geerling, Sohn des letzten Fabrikbesitzers Gerhard Geerling. In den 90er Jahren verkaufte die Familie den Standort.

Noch heute erinnern Keramiktafeln an den Mauern und ehemals als Blumentöpfe genutzte Tonröhren an bessere Zeiten. „Als Kinder sind wir mit den hölzernen Handwagen zum Transport der Röhren über das Firmengelände gefahren“, sagt Geerling. Den Weiher neben dem Werk, aus dessen schwarzem Wasser heute verfaulte Baumstämme ragen, habe die Dorfjugend als Badesee genutzt.

Was soll aus diesem Zeugnis der Industriegeschichte werden, wie der Verfall aufgehalten werden? Der heutige Besitzer aus Köln kümmert sich nicht um die Anlage. Heinrich Geerling hat den Verein Umweltbildungszentrum Pleistalwerk e.V. gegründet und will auf dem Gelände des Pleistalwerks eine Nachnutzung initiieren. Der Verein will die Liegenschaften für Umwelt- und andere Projekte herrichten und die finanzielle Ausstattung dafür organisieren. Der Naturparkplan Siebengebirge führt den Standort als mögliches Eingangsportal zum Naturpark Siebengebirge mit inhaltlichen Schwerpunkten wie beispielsweise die Darstellung der historischen regionalen Tonindustrie auf.

Und es hat auch bereits konkrete Projekte gegeben: Schüler der Sankt Augustiner Schulen präsentierten 2017 ihre Projekte rund um die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen auf dem alten Fabrikgelände. Im Frühjahr 2018 soll die "Junge Bühne für nachhaltige Entwicklung 2019" dort stattfinden.

Die Serie " Ich sehe was, was du nicht siehst..." gewährt Lesern Eindrücke von Orten, an die sie sonst nicht kommen. In dieser Folge geht es ins Pleistalwerk in Sankt Augustin.

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