Forschung für den Arbeitsschutz Institut in Sankt Augustin macht den Arbeitsalltag sicherer

Sankt Augustin · Lärm, Gase, Sonnenbestrahlung: Wie sich solche Belastungen im Job auf die Gesundheit auswirken und wie man die Menschen schützen kann, erforscht die Einrichtung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Für den GA öffneten sich Labortüren.

 Im Vollschallschluckraum des Instituts für Arbeitsschutz in Sankt Augustin gibt es keinen Hall.

Im Vollschallschluckraum des Instituts für Arbeitsschutz in Sankt Augustin gibt es keinen Hall.

Foto: Hannah Schmitt

Es ist, als läge hinter jeder Schwelle eine eigene Welt. Mit jeder Tür eröffnen sich im Institut für Arbeitsschutz (IFA) der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung neue Forschungsprojekte und Prüflabore – vom Atemschutz bis zur Robotik. Das Ziel: den Menschen das Arbeitsleben zu erleichtern und den Gesundheitsschutz zu verbessern.

Rund 260 Mitarbeiter untersuchen am Standort in Sankt Augustin die Ursachen von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, entwickeln praktische Hilfen für mehr Sicherheit oder analysieren chemische Arbeitsstoffe. Auftraggeber sind in mehr als 80 Prozent der Fälle die Unfallkassen und gewerblichen Berufsgenossenschaften. Für den General-Anzeiger hat das IFA einige Türen geöffnet.

Tür 1: Lärm

Fast unwirklich erscheint der Raum, der hinter der gut anderthalb Meter dicken Tür liegt. Dicke Kunststoffkeile ragen von den Wänden und der Decke, der Boden schwingt bei jedem Schritt mit. Er besteht aus einem festen Netz, ähnlich einem Trampolin, darunter verbergen sich weitere Schaumstoffkeile. Das Bedürfnis zu hüpfen stellt sich unweigerlich ein – dafür ist der Raum allerdings nicht gedacht.

„Wir stehen in einem Vollschallschluckraum“, erklärt Florian Schelle, Referatsleiter Lärm. „Hier gibt es keinen Hall.“ Und auch keine Fremdgeräusche. „Die Umgebung hier ist völlig unnatürlich, es gibt in der Natur kein Pendant dazu“, ergänzt der Referatsleiter. Am ehesten ließe er sich noch mit der Spitze eines wahnsinnig hohen Berges vergleichen, allerdings nur ohne Wind und weitere Geräusche. Und wofür wird der Raum genutzt? „Um Schallpegelmessgeräte zu prüfen“, sagt Schelle. Das mache das IFA rund 600 Mal im Jahr für die Unfallversicherungsträger.

Doch das ist nur eine Aufgabe des Referats Lärm. Mit mehr als 6000 Fällen im Jahr sei Lärmschwerhörigkeit die häufigste Berufskrankheit, so Schelle. Etwa fünf Millionen Beschäftigte arbeiteten in Lärmbereichen. „Wir bieten viele Präventionsdienstleistungen an, prüfen Gehörschutz und beraten.“ Dabei gehe es aktuell auch um den Lärm, der zwar keine Hörschäden mit sich bringe, aber Stress auslösen und so die Leistungsfähigkeit mindern könne.

Zwei Forschungsprojekte im Einzelhandel und zur Büroakustik beschäftigen sich damit, denn „man weiß in dem Bereich noch nicht so wahnsinnig viel“, sagt Schelle. „Wir werden zum Beispiel bei einer Modekette, im Möbelhandel und in Lebensmittelmärkten Messungen machen.“ Dort gebe es mit dem permanenten Piepen der Kasse, den Gesprächen anderer Kunden eine ständige Geräuschkulisse. Bis Mitte 2019 laufen die Projekte.

Eine weitere Probandenstudie läuft zum Thema Ultraschall. Er werde immer häufiger eingesetzt, sei aber noch nicht messbar, sagt Schelle. Deshalb entwickelt das IFA in einem EU-Projekt ein Gerät und ein Verfahren, um Ultraschall zu messen. Florian Schelle: „Darauf hat man lange nicht geschaut, weil man ihn nicht hören kann.“

Tür 2: Maschinen und Anlagen

Kaum sitzt die schwarze Brille auf der Nase, ändert sich die Realität. Wir stehen nicht mehr einfach nur in einem großen Metallkorb vor einer Projektionsfläche, sondern sind plötzlich mittendrin in einer Lagerhalle. Im Labor für virtuelle Realität (VR) geht es um die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine – und wie sie verbessert werden kann. Etwa an Hubarbeitsbühnen, bei denen es laut Diplomingenieur Andy Lungfiel häufig zu tödlichen Unfällen aufgrund von Quetschungen kommt.

Über Simulationen können potenziell gefährliche Untersuchungen gemacht und neue Techniken ausprobiert werden, ohne den Menschen zu gefährden. Oder auch Anlagen inspiziert werden, die noch gar nicht existieren. Zum Beispiel eine Schleuse, die noch nicht gebaut ist. So könne bereits während der Planung nach Sicherheitsdefiziten geschaut werden, ergänzt Ina Neitzner, Referatsleiterin Wissenschaftliche Kooperationen. „Und diese dann vielleicht auch direkt verhindert werden.“

Tür 3: Robotik

Im Gegensatz zum VR-Labor wirkt er irgendwie unscheinbar, der Roboterarm, der sich in einem großen Büro hinter der nächsten Tür verbirgt. Er ist kaum größer als ein Menschenarm – dabei aber ein wichtiges Beispiel dafür, wie die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter sicher funktionieren kann und wie Kollisionen verhindert werden können. Die Industrie wolle inzwischen immer häufiger Roboter haben, die nicht mehr mit Absperrungen abgesichert sein sollen, erzählt Michael Huelke, Referatsleiter Neue Technologien Mensch und Technik.

„Der Roboterarm reagiert auf Kontakt und bleibt stehen, wenn ich im Wege stehe.“ Dabei sei ein wichtiges Thema, wie eine solche Kollision zu bewerten ist. Die Mitarbeiter befassten sich mit der Frage: Wie stark oder schmerzhaft darf der Zusammenstoß sein? Dazu hat das IFA ein Messgerät entwickelt sowie in einem Projekt an Versuchsteilnehmern gemessen, wo die Grenze für den beginnenden Schmerz liegt. „Man möchte höchstens einen leichten Druck empfinden“, sagt Huelke. Die Werte fließen in eine internationale Norm, nach der sich die Hersteller dann richten müssen.

Tür 4: Atemschutz

Atemschutzmaske reiht sich auf einem schmalen Tisch an Atemschutzmaske. Sie zeigen gleich, worum es sich in diesem Raum dreht: die persönliche Schutzausrüstung gegen chemische und biologische Einwirkungen. „Wir beraten die Berufsgenossenschaften bei der Auswahl von Atemschutz, begleiten die Entwicklung von Normen und Prüfszenarien und zertifizieren Produkte“, erklärt Maria Schwan, Sachgebietsleiterin und Fachzertifiziererin Atemschutz. Die Mitarbeiter prüfen etwa, wie durchlässig oder feuerfest eine Atemschutzmaske ist. Oder wie dicht sie im Gesicht sitzt.

Letzteres zum Beispiel mit einem speziellen Test am Menschen, der sogenannten Leckage-Prüfung. Dafür steht im Labor eine Kammer bereit, in der Kochsalz zerstäubt wird. „Wir messen die Konzentration in der Kammer und unter der Maske“, sagt Schwan. Und zwar unter „mittelschweren“ Arbeitsbedingungen.

Das heißt: Die Testperson muss laufen, den Kopf drehen und wenden oder auch sprechen. „Das alles kann Einfluss auf die Dichtheit haben.“ Auch ein Bart wirkt sich aus, die Tester müssen deshalb glatt rasiert sein. Anhand der Messwerte rechnen die Mitarbeiter aus, ob die Maske besteht. Bis zu 20 Prüfungen muss eine Atemschutzmaske überstehen bevor sie das Zertifikat des IFA erhält. Und nur mit Zertifikat darf ein Produkt auf den Markt kommen. „Wir stellen um die 150 Zertifikate pro Jahr aus“, sagt Schwan. Übrigens: Trägt ein Produkt der persönlichen Schutzausrüstung das CE Zeichen mit der Nummer 0121, bedeutet das, es ist in Sankt Augustin geprüft worden.

Tür 5: Strahlung

Das Gesicht auf dem Bildschirm ist in ein tiefes Lila getaucht. Was aussieht wie ein monochromer Farbfilter ist tatsächlich das Bild einer Ultraviolett-Kamera. Das hat es in sich: Das UV-Licht zeigt Sonnenschäden bereits, wenn sie von außen noch gar nicht zu sehen sind. Und macht damit ganz eindrücklich deutlich, wie wichtig und auch wirksam der richtige Sonnenschutz ist. Denn die Sonnencreme erscheint im Bild als dichte schwarze Fläche.

Die ultraviolette Strahlung ist eines der großen Sachgebiete, mit denen sich das Referat Strahlung befasst. Etwa bei Menschen, die viel im Freien arbeiten. „Es gibt rund drei Millionen Outdoorworker in Deutschland“, erklärt Stephan Westerhausen, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Referat Strahlung. 2015 sei der weiße Hautkrebs als Berufskrankheit anerkannt worden. „Damit brauchen wir Möglichkeiten, reproduzierbar zu bestimmen, was davon auf den Beruf zurückzuführen ist.“

Herausgekommen ist eine groß angelegte Studie, um herauszufinden, welche Berufe wie stark sonnenbelastet sind – und was dagegen getan werden kann. Etwa 1000 Teilnehmer aus 200 Berufen beteiligten sich bislang, vom Dachdecker bis zum Pipelinebauer. Von April bis Oktober trugen sie während der Arbeitszeit ein Messgerät am Oberarm, etwa so groß wie ein dickeres Smartphone, das die Strahlung aufzeichnete.

Das Ergebnis: Pipelinebauer bekommen die meiste Sonne ab. Aber es gibt auch innerhalb der Berufe Unterschiede. Etwa ob ein Postbote zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs ist. „Mit dem Rad bekommt er 50 Prozent mehr Strahlung ab“, sagt Westerhausen. „Das kann man nicht am Computer messen, das muss man praktisch rausfinden.“

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