Forschung auf dem Campus Der Brexit als Twitterwirbel

Sankt Augustin · Hochschule Bonn-Rhein-Sieg zeigt bei ihrem Frühjahrsempfang in Sankt Augustin, wie sie Wissenschaft mit der Praxis verbindet. In Sankt Augustin zieht sich das mit rund 8,7 Millionen Euro geförderte Projekt „Campus to world“ wie ein roter Faden durchs Programm.

 Professor André Hinkenjann zeigt in der Hochschule, wie eine Brexitdebatte in Twitternachrichten aussieht.

Professor André Hinkenjann zeigt in der Hochschule, wie eine Brexitdebatte in Twitternachrichten aussieht.

Foto: Holger Arndt

Das Bild, das sich über 25 hochauflösende Displays erstreckt, könnte aus einer Sternwarte stammen. Die vielen leuchtenden Verbindungen und die hellen Punkte zeigen jedoch einen wahren Datensturm während einer Brexit-Debatte in London. Professor André Hinkenjann von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg hat die Twitteraktivitäten dazu visualisiert. Dabei sticht nicht Theresa May, sondern Grünenpolitikerin Caroline Lucas am hellsten mit ihren Tweets hervor.

Mit „Visual Computing“ lassen sich nicht nur komplexe Zusammenhänge sichtbar machen, sondern auch Ängste therapieren. Hinkenjann führte vor, wie Probanden mit Hilfe einer Datenbrille, Geräuschen und Düften in eine virtuelle Welt eintauchen. Angst vor Höhe oder vor Menschenansammlungen in der U-Bahn lässt sich so gezielt auslösen und behandeln.

Aus der Forschung in die Praxis: Das ist der Anspruch der Hochschule für angewandte Wissenschaften. Beim Frühjahrsempfang auf dem Campus Sankt Augustin zog sich das mit rund 8,7 Millionen Euro geförderte Projekt „Campus to world“ wie ein roter Faden durchs Programm. Die Gäste aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft erfuhren beim Rundgang durch die Hörsäle und Labors, wie man Bodenorganismen schützt oder Produkte ökologisch optimiert. Professor Norbert Jung gab einen Einblick in Biometrie-Forschung. An Flughäfen sind bereits Punktsensoren, die in Sankt Augustin entwickelt wurden, im Einsatz.

Aktuell arbeitet Jungs Team an neuen Fingerabdruckscannern und an einer Technik, die verfremdete Gesichter erkennt. So soll verhindert werden, dass jemand eine Personenkontrolle überwindet, in dem er eine andere Identität vortäuscht oder sein Aussehen verändert. Die Gummimasken, die Jung zur Anschauung mitgebracht hat, kann das biometrische System sofort vom echten Professor unterscheiden. „Alleine die Kamera kostet 20.000 Euro. Für die praktische Anwendung wäre das System noch zu teuer“, erklärte er.

Viele andere Innovationen aus der Hochschule haben längst zu Unternehmensgründungen geführt. Wirtschaftsförderer Hermann Tengler hob in Vertretung des Landrats die große Anziehungskraft der Hochschule mit ihren 9000 Studierenden hervor, was auch dem Fachkräftemangel im Rhein-Sieg-Kreis entgegenwirke. Sankt Augustins Bürgermeister Klaus Schumacher verglich die Ideen der Forscher mit Blumenzwiebeln, die jetzt überall in der Stadt aufgehen.

Hochschulpräsident Hartmut Ihne machte deutlich, dass auch Nützliches wie die Digitalisierung zwei Seiten hat. „Wie weit wollen wir gehen? Es sind neue Herrschaftsinstrumente zur Überwachung und Manipulation von Menschen entstanden“, warnte er. Verantwortung der Wissenschaft – das heißt für ihn auch, die Gesellschaft zu begleiten, etwa ganz praktisch durch ein neues Hochschulbüro im ländlichen Neunkirchen (siehe Text unten). Auch Europa sei eine Aufgabe der Hochschulen: „Es geht um die Wahrung unserer Freiheit und Lebenswürde.“ Der Brexit sei eine große Dummheit. Auch wenn das Twitterbild dazu so galaktisch aussieht.

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