"Mord ohne Leiche" Belastungszeugin wird stundenlang gehört

Eitorf/Bonn · Am elften Prozesstag hört das Gericht die Frau, der Dirk D. die Tötung seiner Frau Sandra in Eitorf gestand. Doch ist das Geständnis wahr?

 Suchaktion: Im November 2012 durchkämmte die Polizei die Landschaft bei Eitorf, um die Leiche von Sandra D. zu finden.

Suchaktion: Im November 2012 durchkämmte die Polizei die Landschaft bei Eitorf, um die Leiche von Sandra D. zu finden.

Foto: Axel Vogel

Wie soll ein Gericht die Wahrheit herausfinden, wenn sich die Hauptbelastungszeugin von ständig wechselnden Bauchgefühlen leitet lässt? Es ist der elfte Prozesstag im Fall des sogenannten Mordes ohne Leiche vor dem Bonner Landgericht, und die Frau im Zeugenstand macht es der 1. Großen Strafkammer nicht leicht. Auf der Anklagebank, wenige Meter von der Zeugin entfernt, sitzt der 43-jährige Dirk D. aus Eitorf, der seine Frau Sandra am 8. September getötet und ihre Leiche so erfolgreich entsorgt haben soll, dass sie bis heute nicht gefunden wurde. Daran änderte auch die nochmalige Suche kürzlich in einem Fischteich in Eitorf nichts.

Der Frau im Zeugenstand gestand Dirk D. 2014 die Tötung in grausigen Details. Doch genau dieses Geständnis ist nun der Dreh- und Angelpunkt des Verfahrens, denn Dirk D. widerrief es und beteuerte später: Das alles habe er nur erfunden, um diese Frau, in die er sich verliebt hatte, halten zu können. Sie habe das alles hören wollen.

Dennoch wurde der 43-Jährige 2014 vom Bonner Schwurgericht wegen Totschlags zu elf Jahren Haft verurteilt – vor allem aufgrund dieses Geständnisses. Der Bundesgerichtshof aber hob das Urteil auf und bemängelte, dass das Gericht die Aussage der Belastungszeugin nicht kritisch genug analysiert habe. Diesen Fehler will die 1. Große Bonner Strafkammer im zweiten Anlauf nun erkennbar nicht machen und nimmt die 42-jährige Zeugin stundenlang kritisch unter die Lupe, weist sie immer wieder auf Widersprüche hin und lässt ihr keine Ungereimtheit durchgehen. Doch die 42-Jährige lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.

Für das Gericht ist nicht die Frage relevant, ob Dirk D. ihr die Tat gestand, sondern warum und vor allem, wie es dazu kam. Denn die Zeugin, die Sandra D. zehn Jahre zuvor angeblich sehr gut kannte, begann nach Bekanntwerden von deren Verschwinden eine intensive Internetrecherche, kontaktierte über die Seite „All Mystery“ alle möglichen ihr bis dahin fremden Bekannten von Sandra D., um die Wahrheit herauszufinden, wie sie erklärt. Und zu diesem Zwecke habe sie „testen“ müssen, ob die Menschen ehrlich waren.

Und dann machte sie sich an Dirk D. heran, um auch ihn zu testen, denn im Netz kursierte, dass er der Mörder war.

Doch dann änderte die 42-Jährige ihre Meinung: Sie verliebte sich in den Mann, wie sie erklärt. Alles eine Sache des Bauchgefühls, auf das sie immer höre, sagt sie. Deshalb sei ihr später in dem Haus von Dirk D. auch ganz schlecht geworden, weil ihr Bauch ihr gesagt habe, dass „hier etwas Schlimmes passiert“ sei. Einer der Richter hält ihr vor: „Wie kamen Sie denn darauf? Sie hielten ihn doch inzwischen für unschuldig. Wenn mir schlecht wird, denke ich, ich habe etwas Falsches gegessen.“ Doch die Zeugin bleibt dabei: Sie sei eben sensibel und spirituell veranlagt.

Warum sie überhaupt angefangen habe, in dem Fall zu ermitteln, will das Gericht wissen. Sie habe ihn für unschuldig gehalten und ihm helfen wollen, weil die Polizei sich auf ihn eingeschossen habe, erklärt sie. „Und da wollten Sie einen Justizirrtum verhindern?“ fragt Kammervorsitzender Hinrich de Vries. Inzwischen ist die 42-Jährige von Dirk D.'s Schuld überzeugt und gibt aus Angst auch ihre Adresse nicht preis. Dirk D. lässt die Zeugin nicht aus den Augen.

Um der Wahrheit in diesem Fall näherzukommen, hat das Gericht die auf Aussagepsychologie spezialisierte Sachverständige Professor Renate Volbert in den Prozess geholt. Ihr Gutachten bezieht sich auf die Frage, warum Menschen falsche Geständnisse ablegen. Auf die Hilfe eines Mediums, das sich kürzlich der Polizei andiente, will das Gericht verzichten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort