Kirche und Gesellschaft im Umbruch Superintendentin und Kreisdechant rufen zu Toleranz auf

Bonn · Die evangelische Superintendentin und der katholische Kreisdechant haben viele gemeinsame Themen an Sieg und Rhein: schrumpfende Gemeinden und Hetze im Internet, aber auch die gut funktionierende Ökumene. Mit Almut van Niekerk und Hans-Josef Lahr sprach Bettina Köhl.

Im Gespräch: Zu den Themen Soziale Medien, Umgang mit Hass und Hetze, politische Positionierung von Kirche und mehr äußern sich im Haus der Kirche an der Siegburger Zeughausstraße Kreisdechant Hans-Josef Lahr und Superintendentin Almut van Niekerk.

Im Gespräch: Zu den Themen Soziale Medien, Umgang mit Hass und Hetze, politische Positionierung von Kirche und mehr äußern sich im Haus der Kirche an der Siegburger Zeughausstraße Kreisdechant Hans-Josef Lahr und Superintendentin Almut van Niekerk.

Foto: Ingo Eisner

Sie sitzen beide im selben Boot, oder? In den Kirchen wird alles ein bisschen kleiner. Wie würden Sie Ihre aktuelle Situation beschreiben?

Hans-Josef Lahr: Als Pfarrer und als Kreisdechant merke ich, dass wir in einem Umbruch sind, in der Kirche und in der Gesellschaft. Es ist im Moment eine spannende Zeit, die uns vor große Herausforderungen stellt, auch weil leider der Glauben in der Gesellschaft schwindet.

Almut van Niekerk: Es ist die Erkenntnis gewachsen, dass wir tatsächlich viele gemeinsame Themen haben. Dass wir heute hier zusammen sitzen, ist keine Notgemeinschaft. Es ist viel glaubwürdiger, wenn wir das, was wir vermitteln möchten, gemeinsam tun.

Lahr: Die Menschen, mit denen wir zu tun haben, sind ja auch nicht nach Konfessionen getrennt. Man trifft auch bei Taufen, Trauungen und Beerdigungen immer Menschen, die eine andere Konfession oder Religion haben.

Van Niekerk: Es gibt eine Zugehörigkeit per Wohnort zu einer Kirchengemeinde, und dann nehmen sich die Leute die Freiheit zu sagen, ich gehe auch mal in eine andere Kirchengemeinde, etwa weil mir da der Gottesdienst gefällt. Bei den Steylern in Sankt Augustin merkt man das sehr stark. Die haben so etwas Einendes, da treffen sich Menschen aller Konfessionen.

Van Niekerk: Wenn ich nichts Konkretes dazu sage, wird mir pastorales Gerede vorgeworfen, wenn ich mich gesellschaftsrelevant äußere, dann ist das manchen wieder zu politisch. Es gab Anfang des Jahres einen sehr wütenden Leserbrief im General-Anzeiger: Der Präses hatte gesagt, dass wir nicht zulassen können, dass die Menschen im Mittelmeer absaufen. Darauf hat dieser Mitchrist geschrieben, dass er dem Präses das Recht abspricht, auch für ihn zu sprechen, weil es ihm zu politisch war. Wenn wir aber etwas aus der Bibel lernen, dann das: Bei Jesus gab es keine Wohlfühlgeistlichkeit, wo lauter Nettigkeiten gesagt wurden. Es ging knallhart um das Hier und Jetzt. Das Recht nehme ich mir auch.

Lahr: Man muss zu Fragen der Zeit direkt werden. Der Glaube darf nicht neben dem Leben der Menschen stehen, sondern muss Teil des Alltäglichen sein. Beim Thema Flüchtlinge hat die Kirche ganz klare Signale gesetzt. Wo etwas im Widerspruch zum Evangelium steht, haben wir die Aufgabe, unsere Stimme zu erheben.

Van Niekerk: Ja. Jeder Anlass, der sich bietet, wird zu einem pseudohistorischen Rundumschlag mit Hexenverbrennungen und Kreuzzügen benutzt. Wenn wir in unserem Glauben Partei ergreifen, dann möchte ich mir nicht immer gleich den Stempel „links-grün-versifft“ dafür geben lassen. Ich rede nicht wie eine Parteipolitikerin. Barmherzigkeit ist für mich wichtig, und gerade der Umgang im Internet ist maximal unbarmherzig.

Lahr: Wir müssen diese Begriffe in den Gemeinden mit Leben füllen, damit es Orte gibt, an denen das auch wirklich gelebt und praktiziert wird. Es heißt im Johannesbrief: „An ihren Taten sollt ihr sie erkennen.“ Wir sind die Mittler, um die Menschen an den Glauben zu binden. Man muss aber aufpassen, dass das nicht zu stark an einer Person festgemacht wird.

Lahr: Es ist wichtig, Schwerpunkte zu legen, zum Beispiel die Weitergabe des Glaubens an die jungen Menschen und die Präsenz auf den Plätzen des öffentlichen Lebens. Wir haben genug Angebote in der Pfarrei. Jeder in der Gemeinde muss selbst zum Träger des Evangeliums werden. Je größer und komplexer die Strukturen werden, desto weniger Zeit ist für das Menschliche. Wir dürfen aber vor lauter Verwaltungsaufgaben die Menschen nicht aus dem Blick verlieren.

Van Niekerk: In der DNA der evangelischen Kirche besteht die Leitung der Gemeinde aus Ehrenamtlichen. Das wirkt dem Trend, alles an einer Person aufzuhängen, entgegen. Wir legen Wert auf Team-Leitung. Aufgabe von Pfarrerinnen und Pfarrern ist Seelsorge, Gottesdienste, Konfirmandenunterricht.

Lahr: Ich glaube, dass man mit dem Kirchturm vor Ort Heimat verbindet. Die Kirche ist hier eine der letzten Instanzen, das müssen wir ernst nehmen.

Van Niekerk: Kirche in der Kirchengemeinde, das ist wunderbar. Es gibt noch andere Orte, an denen Kirche sehr stark ist, zum Beispiel an den Berufskollegs. In den Religionsklassen sind alle vertreten, wir schaffen einen Ort der Begegnung. Wo treffen heute sonst Muslime und Christen aufeinander, um über Religion zu reden. In den Schule entstehen für mich neue Gemeindeorte. Auch digitale Orte können ein Weg sein, um in Kontakt zu treten und in Zukunft Kirche zu sein.

Van Niekerk: Ich glaube, wir werden auf jeden Fall nicht alle Gebäude halten können. Ich bin ein großer Fan der Idee ökumenisch genutzter Gemeindehäuser oder Kirchen.

Lahr: Da sind auch Engagement und Phantasie derjenigen gefordert, die vor Ort sind. Wenn es darum geht, ein Gebäude zu erhalten, können Kräfte frei werden.

Was sind für Sie die aktuellen Themen in einer Zeit, die wieder unsicherer zu werden scheint?

Lahr: Das Thema Frieden ist für mich im Augenblick ein ganz großes Thema. Sie sprachen eben die Hetze im Internet an. Dass der Ton rauer geworden ist, merkt man auch im Umgang mit dem Nächsten. Christ ist man nie für sich alleine, sondern gerade auch für andere. Das ist eine Frage, die auch außerhalb der Kirchen diskutiert wird: Wie schaffen wir den Zusammenhalt?

Van Niekerk: Ich glaube, das Thema Frieden muss uns enorm beschäftigen. Wenn Abrüstungsverträge gekündigt werden, löst das Angst aus. Wir müssen als Kirche aber auch Ort für Zuversicht sein. Wir hüten die Träume und Visionen über das Zusammenleben von Menschen.

Van Niekerk: Jeder und jede muss klarer und präziser zu seiner Überzeugung stehen. Ich kann nur dazu ermutigen, selber den Mund aufzumachen.

Lahr: Und ich ergänze, dass wir als Christen noch deutlicher gegen die Hetze und das Ich-bezogene Denken aufstehen müssen, damit Hass, Gewalt, Angst, Terror und Hetze keinen Platz in unserer Gesellschaft finden – und da ist jeder und jede gefragt!

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