Gespräch am Wochenende Kommunikationsberaterin Sylvia Löhken über Intro- und Extrovertierte

Sie fühlen sich in großen Runden unwohl, gelten als wenig kommunikativ und gehen deshalb oft unter. Die Rede ist von introvertierten oder "leisen" Menschen, wie Kommunikationsexpertin Sylvia Löhken sie nennt. Doch auch die Leisen haben starke Seiten. Darüber sprach Hannah Schmitt mit Sylvia Löhken.

 Steht häufig auf der Bühne: Sylvia Löhken.

Steht häufig auf der Bühne: Sylvia Löhken.

Foto: Thorsten Wolf

Gehören Sie eher zu den leisen oder den lauten Menschen?
Sylvia Löhken: Ich bin ganz klar introvertiert, obwohl man es bei mir - wie bei vielen Introvertierten - nicht auf den ersten Blick erkennt. Ich gehe gerne mit Menschen um, meine Domäne ist das gesprochene Wort. Ich gehöre also zu den sozial zugänglichen Introvertierten. Hundert Prozent introvertiert oder extrovertiert gibt es auch nicht. Der Psychologe C.C. Jung, der die Begriffe geprägt hat, hat behauptet, wenn jemand nur das eine wäre, würde er in einer psychiatrischen Anstalt landen.

Was ist denn der Unterschied zwischen Intro- und Extrovertierten?
Löhken: Introvertiert heißt immer nach innen gewandt, extrovertiert hingegen nach außen gerichtet. Introvertierte haben mehr Aktivität in der Großhirnrinde und sind deshalb schnell überstimuliert. Sie fühlen sich nicht so wohl in großen Runden. Auch wenn wir nach außen inaktiv erscheinen, laufen wir auf Hochtouren, denken nach, machen uns Sorgen. Wir überlegen auch gerne, bevor wir reden. Extrovertierte haben dagegen mehr Andockstellen für Sinneseindrücke und brauchen die Reize von außen, um sich lebendig zu fühlen. Ein weiterer Unterschied: Introvertierte sind mehr sicherheitsorientiert, Extrovertierte eher belohnungsorientiert. Sie gehen auch schon mal ein Risiko ein, weil etwas Attraktives winkt.

Und wie ist die Verteilung in der Bevölkerung?
Löhken: 30 bis 50 Prozent der Bevölkerung sind introvertiert. Wir sprechen also nicht von einer Minderheit.

Man hat den Eindruck, wer laut für sich trommelt, kommt auch weiter. Warum ist unsere Gesellschaft eher auf Extrovertierte ausgerichtet?
Löhken: Ich glaube, es ist sozial verständlich, dass die, die lauter sind, auch leichter gehört werden. Der Erfahrung nach sind es aber nicht immer die, die sich durchsetzen. Das sind oft die eher leisen Menschen. Wenn Sie sich die Machtpositionen angucken, dann gibt es viele leise Menschen, die erfolgreich sind. Diese Woche haben sich zum Beispiel Barack Obama und Angela Merkel getroffen. Das sind zwei leise Spitzenpolitiker mit sehr viel Einfluss. Man kann auf laute und leise Art erfolgreich sein, die Kunst besteht darin, auf seine Art, also authentisch, zu handeln. Das ist für Leise oft schwierig, weil sie denken, sie müssten es so machen wie die Lauten.

Wie ist denn die "leise Art"?
Löhken: Es ist eine Art, die die Stärken Introvertierter betont. Zum Beispiel die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen. Das vergessen Extrovertierte oft, weil sie so auf sich selbst bedacht sind. Oder auch gut zuhören zu können, auf Substanz aus zu sein und beharrlich an einer Sache zu arbeiten. Wenn Extrovertierten die Puste ausgeht, weil die Belohnung fehlt, dann fangen Introvertierte erst an. Introvertierte sind oft über Jahre hinweg erfolgreich, zum Beispiel der Musiker Bob Dylan.

Warum haben dann Introvertierte gefühlt ein schlechteres Image als Extrovertierte?
Löhken: Ist das so? Also wenn ich im Flugzeug sitze, bin ich froh, wenn ich einen introvertierten sicherheitsorientierten Piloten habe. Auch in der Verwaltung, im Wissenschafts- oder auch im Finanzbereich stellen erfolgreiche Intros die Mehrheit. Es kommt uns immer nur so vor, als ob Extrovertierte die Nase vorn haben.

Wie können denn Introvertierte stärker auf sich aufmerksam machen?
Löhken: Sie können zum Beispiel ein Erfolgstagebuch führen, um zu zeigen, was sie geleistet haben. Der zweite Schritt ist dafür zu sorgen, dass die richtigen Menschen von der Leistung erfahren. Introvertierte können nicht erwarten, dass jeder sieht, was sie gemacht haben. Dafür ist jeder zu sehr mit sich beschäftigt. Auch Introvertierte müssen Kontakte pflegen. Vielleicht nicht in großer Runde, sondern mit ein oder zwei Leuten.

Ist Introversion angeboren?
Löhken: Die Disposition ist angeboren, das kann man schon bei Babys erkennen. Die Gehirne sind aber bei Geburt nicht fertig entwickelt, die Umgebung hat auch Einfluss. Nehmen wir Japan als Beispiel für eine introvertierte Kultur; ich habe dort drei Jahre gearbeitet und kenne das Land ein wenig. Da gilt es als angenehm, wenn man beim Gespräch mal den Mund hält. Mein Mann empfand das als Amerikaner als eher peinlich. Und ich selbst auch. Es sind also auch soziale Normen, die uns prägen. Ein Introvertierter wächst in Japan anders auf als im extrovertierten Amerika. Hinzu kommt aber auch das, was uns wichtig ist. Angela Merkel hat sich als Introvertierte für eine Karriere in der Politik entschieden. Wozu ich mich bewusst entscheide, das prägt mich auch.

Ich kann also als Introvertierter auch entscheiden, extrovertierter zu werden?
Löhken: Absolut - solange wir über Situationen reden und nicht über eine Persönlichkeitsveränderung. Wenn ich auf der Bühne stehe, dann extrovertiere ich. Aber ich weiß, dass ich danach dringend eine Auszeit brauche. Ich bin wie ein Akku, der danach wieder auftanken muss. Extrovertierte ziehen hingegen die Energie aus dem Dialog. Sie sind wie ein Windrad.

Sind Sie eher intro- oder extrovertiert? Machen Sie den Selbsttest.

Zur Person
Sylvia Löhken ist 48 Jahre alt und lebt und arbeitet in Bonn. Sie ist Sach- und Fachbuchautorin, Sprachwissenschaftlerin, Dozentin und Vortragsrednerin. Ihren Schwerpunkt legt sie auf die Themen Introversion und Extroversion. Dazu hält sie auch zwei Seminare im Alanus Werkhaus, Johannishof, in Alfter. Am 5. und 6. Juli geht es um "Leise und laut: Intro- und extrovertierte Menschen in Beruf und Alltag" (Anmeldeschluss: 26. Juni) und am 6. und 7. September um das Thema "Offenes Ohr für leise Menschen: Führungsstrategien für intro- und extrovertierte Menschen" (Anmeldeschluss: 16. August). Die Seminare laufen jeweils freitags von 14 bis 17 Uhr und samstags von 9 bis 17 Uhr. Anmeldung: werkhaus@alanus.edu, 02222/93211713.

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