Nach 99 Jahren Traditionsunternehmen verlässt Königswinterer Altstadt

Königswinter · Nach 99 Jahren endet in der Königswinterer Altstadt eine Ära: Das Unternehmen Zera zieht mit 120 Mitarbeitern nach Oberpleis. Der Umzug ist eine logistische Herausforderung

Schon ausgeräumt: Lediglich ein paar Steckdosen hängen noch an der Decke der ehemaligen Produktionshallen in der Altstadt.

Schon ausgeräumt: Lediglich ein paar Steckdosen hängen noch an der Decke der ehemaligen Produktionshallen in der Altstadt.

Foto: Benjamin Westhoff

Frank Adams hat die Ruhe weg. Er steht zwischen gepackten Kisten und Paletten, bewegt sich mit zügigem Schritt von den Lagerräumen in den Versand, vom Vertrieb in die Fertigung, vom Keller ins Dachgeschoss und wieder zurück. Zwischendurch klingelt immer wieder sein Handy. "Ja, Joachim, das kommt noch", sagt er in den Hörer. "Eins nach dem anderen." Umzugsstress ist nicht Adams Sache. "In der Ruhe liegt die Kraft", sagt er. Dabei gehört der

61-jährige Produktionsleiter des Königswinterer Unternehmens Zera zu denjenigen, die derzeit einen der wohl größten Umzüge in der Stadt organisieren: Nach 99 Jahren endet am kommenden Mittwoch die Geschichte der Zera am Standort Hauptstraße in der Altstadt. Um nahtlos am neuen Standort Humboldtstraße in Oberpleis fortgesetzt zu werden.

Vor rund drei Jahren fiel die Entscheidung, den Firmensitz der 1920 gegründeten Zähler-Eich- und Reparatur-Anstalt - kurz: Zera - in einen Neubau nach Oberpleis zu verlegen. 99 Jahre war das Unternehmen, heute Weltmarktführer in der Herstellung von hoch spezialisierten Mess- und Prüftechnik, in der Altstadt zwischen Haupt-, Keller- und Klotzstraße ansässig. Rund 5000 Quadratmeter Verwaltungs- und Produktionsfläche für die rund 120 Mitarbeiter verteilten sich dort auf insgesamt sechs Gebäude und viele Etagen. Lange Wege, Schwierigkeiten bei den Produktionsabläufen und der Lagerung waren die Folge. "Der Standort in der Altstadt wäre ein ewiger Kompromiss geblieben", sagt Zera-Geschäftsführer Horst Joachim Wächter. Die Entscheidung für den rund sieben Millionen Euro teuren Neubau in Oberpleis fiel 2017, der offizielle Baustart folgte im Juni 2018, der Umzugstermin: jetzt.

"Die schwierigste Frage war ja: Was schmeißen wir weg?", sagt Wächter. Auch im Umzugsgetümmel trägt der 54-Jährige Jackett und wirkt entspannt. "Das ist hier wie bei jedem Umzug. Allerdings sammelt sich in 99 Jahren dann doch schon so einiges an." Letztlich, so schätzt Produktionsleiter Adams, seien zwischen 70 und 100 Tonnen Material entsorgt, rund 3000 Aktenordner in ein Zwischenlager, weitere 1000 bereits zum neuen Domizil gebracht worden.

 Entspanntes Trio (v. l.): Geschäftsführer Horst Joachim Wächter, Jens Jacobs vom Umzugsdienstleister und Produktionschef Frank Adams.

Entspanntes Trio (v. l.): Geschäftsführer Horst Joachim Wächter, Jens Jacobs vom Umzugsdienstleister und Produktionschef Frank Adams.

Foto: Benjamin Westhoff

Im Juni habe die heiße Phase der Umzugsvorbereitungen begonnen. "Wir haben einen genauen Plan erarbeitet, wann welcher Mitarbeiter, wann welche Maschine bis hin zu den Feuerlöschern und den Seifenspendern umziehen", sagt Wächter. "Die Kunden, die Stadt und die Nachbarn sind informiert worden. Insgesamt umfasst der Umzugsplan 180 Punkte." Fertigung und Lager hatten am Freitag ihren letzten Tag in der Altstadt, der Umzug von Verwaltung und Versand folgt bis nächsten Mittwoch. "Dann gehen hier die Lichter aus", sagt Wächter. Allerdings noch nicht ganz: Bis Ende Oktober wird noch aufgeräumt, zum 1. November dann das alte Zera-Gelände besenrein übergeben.

Am Freitag vor einer Woche rollten die ersten Umzugswagen an. Fünf sind es insgesamt, die seitdem zwischen Altstadt und Oberpleis pendeln. "Normalerweise hätten wir einen Sattelschlepper eingesetzt", sagt Teamleiter Jens Jacobs, der für den Dienstleister Schenker den Zera-Umzug abwickelt. "Aber hier in der Altstadt ist alles so eng, dass das nicht infrage kam." Das Schwierigste sei tatsächlich der Transport der Sondermaschinen gleich zu Beginn gewesen, so Jacobs. Fünf sind es insgesamt, die von Fachfirmen so hätten abgebaut werden müssen, dass sie durch die Türen passten. "Hier ist alles so verwinkelt, dazu- und neugebaut worden, dass wir sie nicht anders hätten herausschaffen können", erklärt Adams. Bislang liege alles im Zeitplan, größere Katastrophen seien ausgeblieben. "Allerdings ist einmal der Kaffee ausgegangen", sagt Jacobs und grinst.

 Auf gepackten Kisten sitzen auch bereits die Mitarbeiter der Verwaltung. Sie ziehen ab Montag in den Neubau nach Oberpleis.

Auf gepackten Kisten sitzen auch bereits die Mitarbeiter der Verwaltung. Sie ziehen ab Montag in den Neubau nach Oberpleis.

Foto: Benjamin Westhoff

Bei allem Umzugswirrwarr sei die Stimmung unter den Mitarbeitern schon besonders, hat Wächter beobachtet. "Viele sind seit 30, 40 Jahren hier. Da fällt so ein Umzug nicht leicht." Jakob Tappert aus der Technik, seit 18 Jahren bei der Zera beschäftigt, sieht das ähnlich. "In den ersten Tagen brauchte ich einen Kompass, um mich hier zurechtzufinden", erinnert er sich. Den wird er mutmaßlich in Oberpleis nicht brauchen.

Viele gehen mit einem lachenden und einem weinenden Auge, sagt auch Jana Rapisarda, stellvertretende Einkaufsleiterin und seit 20 Jahren Zera-Mitarbeiterin. Sie hat in einer eigenen Arbeitsgruppe die Inneneinrichtung des Neubaus in Oberpleis geplant. Rund ein Jahr hat es gedauert, den alten Mobiliarbestand zu erfassen, auszuwählen, was mitgeht und was dableibt. "Hier wegzugehen ist ein komisches Gefühl", sagt sie. "Aber ich freue mich auf das neue Domizil." Ihre Kollegin Julia Hinz aus der kaufmännischen Verwaltung sieht das ähnlich: "Am meisten vermissen werde ich die Nähe zum Rhein."

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