Zeitzeugengespräch im CJD Königswinter Über die Grenze ist längst Gras gewachsen

KÖNIGSWINTER · Zeitzeuge Manfred von Reumont berichtet in der Jugenddorf Christophorusschule von seinen Erlebnissen an der deutsch-deutschen Mauer.

 Eindrucksvolle Geschichtslektion: Manfred von Reumont bei seinem Vortrag vor Schülern im CJD.

Eindrucksvolle Geschichtslektion: Manfred von Reumont bei seinem Vortrag vor Schülern im CJD.

Foto: Frank Homann

„Nein, ich brauchte glücklicherweise nie zu schießen. Aber ich hätte es getan, wenn ich damit einem Flüchtenden Feuerschutz hätte geben können.“ Manfred von Reumont stand an der Westseite der 1394 Kilometer langen innerdeutschen Grenze und sprach nun vor Schülern der Jahrgangsstufen 9 und 12 der Jugenddorf Christophorusschule (CJD) über seine Erfahrungen.

Vor jungen Menschen also, die Mauer und Stacheldraht nur aus Filmen kennen. Die Lehrerinnen Stephanie Manz und Beate Fiebig-Thiele hatten den ehemaligen Bundesgrenzschützer eingeladen. Fione Dörr (17) meinte nach der eindrucksvollen Geschichtslektion: „Ich wusste, dass es nicht lustig war an der Grenze.“ Aber so radikal, so extrem habe sie es sich nicht vorgestellt, so Betül Solmus (17).

Manfred von Reumont erlebte nach seinem Eintritt in den Bundesgrenzschutz (BGS) 1959 den Ausbau der Sperranlagen an verschiedenen BGS-Standorten zum „Eisernen Vorhang“ und erhielt tiefe Einblicke in das SED-Regime. Der Niederkasseler berichtete vom Leben im Zonenrandgebiet West und der Sperrzone Ost, von Grenzzwischenfällen, Fluchttragödien, von Überläufern und Stasi-Erpressungen. „Der Bundesgrenzschutz hatte eine Funktion als 'polizeilicher Puffer' zwischen Nato und Warschauer Pakt. Wir sollten Scharmützel bereinigen.“

Was machte er auf Streife, wenn ein angeschossener Flüchtling zu verbluten drohte? „Ein Beamter legte seine Jacke nieder, robbte sich zu dem Verwundeten, um ihm zu helfen. Die anderen begaben sich in die Schusslinie.“ Er erzählte von zwei kurz hintereinander getürmten Grenzern. Als sie sich auf dem Flur des BGS-Gebäudes sahen, „brachen sie in einen Heul- und Schreikrampf aus“. Von Reumond: „Drüben hatten sie Angst voreinander.“

Filmmaterial vom Grenzstreifen

Der Zeitzeuge hatte auch Filmmaterial mitgebracht. So sahen die Schüler einen Ausschnitt aus der „Aktuellen Kamera“ des DDR-Fernsehens. Darin ging es um den Fall Rudi Arnstadt. Der Hauptmann der Nationalen Volksarmee (NVA) der Grenze bei Wiesenfeld in der Rhön erschossen worden. Dort bauten im August 1962 NVA-Pioniere neue Grenzsperren auf.

Ein Grenzer hatte die Gelegenheit bereits zur Flucht genutzt, ein zweiter folgte ihm am 9. August. „Fünf Tage später gab es eine wilde Schießerei mit einem Toten.“ Arnstadt schoss auf einen Westgrenzer. Dessen Kamerad Hans Plüschke feuerte aus der Hüfte einen Deutschuss auf Arnstadt, der an den Verletzungen verstarb.

In der DDR hieß es: „…unseren Hass schleudern wir den Mördern ins Gesicht mit dem heiligen Schwur: Die Mörder werden ihrer Strafe nicht entgehen.“ Am 15. März 1998 wurde Hans Plüschke in seinem Taxi, zehn Kilometer von Wiesenfeld entfernt, erschossen. An gleicher Stelle war Arnstadt getroffen worden. Erst kurz zuvor hatte sich Plüschke erstmals öffentlich zu dem Vorfall geäußert. Manfred von Reumont: „Herbert Böckel, der ein Buch darüber geschrieben hat, sagt: 'Das war Rache.' Eine Fememord der Stasi nach 36 Jahren.“ Von Reumont verlor einen Freund

Zum Schluss zeigte der Referent Bilder der Grenze von heute. „Durch die Natur ist die Grenze längst überwachsen. Ist aber auch im menschlichen Bereich Gras über die Sache gewachsen? Wann und wie entsteht persönliche Schuld? Müssen Grenzen sein?“

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