„Das Wichtigste ist der Patientenwille“ Podiumsgäste diskutieren in Königswinter über Sterbehilfe

Niederdollendorf · Das Thema Sterbehilfe ist umstritten. Nicht umsonst steht eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum assistierten Suizid bevor. Und auch die Podiumsgäste im evangelischen Gemeindezentrum in Niederdollendorf, darunter Ex-EKD-Ratsvorsitzender Nikolaus Schneider und seine Frau Anne, waren unterschiedlicher Meinung.

 Voll besetzt sind die Reihen im Gemeindezentrum bei der Diskussion über die Sterbehilfe.

Voll besetzt sind die Reihen im Gemeindezentrum bei der Diskussion über die Sterbehilfe.

Foto: Frank Homann

Es sind Fragen, die niemand ohne weiteres mit Ja oder Nein beantworten kann: Darf ein Mensch angesichts einer unheilbaren Krankheit und großen Leidens sein Leben selbstbestimmt beenden? Vor allem aber, soll es erlaubt sein, ihm dabei zu helfen? Und kann das Aufgabe des Staates sein?

Wie sehr dieses Thema die Menschen bewegt, zeigte eine Diskussionsveranstaltung am Samstagabend in Niederdollendorf. Rund 100 Zuhörer waren „Am Achten um acht“, so der Titel der Gesprächsreihe, in das evangelische Gemeindezentrum gekommen, um sich zu dem Thema auszutauschen.

Auf dem Podium: Nikolaus Schneider, ehemaliger Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland und EKD-Ratsvorsitzender, seine Frau Anne Schneider, Jurist und Sozialethiker Professor Hartmut Kreß und Palliativmedizinerin Irmgard Frickenschmidt.

Großes Interesse an der Gesprächsrunde

Dass die Resonanz bei dem Thema groß sein würde, damit hatten die Organisatoren der ökumenischen Gesprächsreihe gerechnet. „Im Team sammeln wir Ideen zu Themen, die theologisch, religiös und dabei von gesellschaftlicher Relevanz sind“, so Annette Windel. „Wir suchen nach passenden Referenten, die mit einem Impulsreferat zum Thema hinführen, aber auch zum Dialog auffordern und ihn leiten.“

So soll es jedem Anwesenden ermöglicht werden, seinen eigenen Standpunkt zu finden oder zu reflektieren. Viele Gespräche sind seit 2014 bereits geführt worden, über das Lachen in der Religion zum Beispiel, über den Islam oder über Konfessionalisierung – und nun auch über das schwierige Thema Sterbehilfe.

Das Thema ist aktuell: Am 28. Februar wird das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zum assistierten Suizid fällen und damit auch die Frage beantworten, ob unheilbar kranke Menschen einen Anspruch auf Zugang zu Medikamenten zur Selbsttötung haben.

Komplizierte Rechtslage

Wie kompliziert die derzeitige Rechtslage ist, erörterte Jurist Kreß. So sei die Selbsttötung nicht strafbar und die Beihilfe dazu auch nicht, zumindest solange sie nicht geschäftsmäßig ist. Die sogenannte „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ ist seit 2015 verboten – festgeschrieben in Paragraph 217 des Strafgesetzbuchs.

Doch was genau heißt geschäftsmäßig? „Geschäftsmäßig bedeutet, dass eine Handlung zweimal oder mehrmals erfolgt“, so Kreß. Eine organisierte Sterbehilfe in Deutschland soll so verhindert werden. Seiner Ansicht nach wurde durch das Gesetz aber keine Rechtssicherheit geschaffen, sondern Rechtsunklarheit erzeugt.

Für die Möglichkeit eines assistierten Suizids plädierte Anne Schneider: „Ich möchte, dass das Gesetz geändert wird.“ Die Theologin hat nicht nur ihre Tochter durch Leukämie verloren, sondern ist vor einigen Jahren auch selbst an Krebs erkrankt. „Ich habe von Gott die Befähigung erhalten, mein Leben selber zu gestalten, und zum Leben gehört auch das Sterben dazu.“ Sie glaube und lebe in dem Gefühl, dass es richtig ist, auch über den Sterbeprozess selber zu entscheiden.

Anne Schneider kritisiert die Kirche

Die ablehnende Haltung der Kirche zur Sterbehilfe ist für sie unverständlich: „Für mich ist die Theologie in der Voraufklärung stecken geblieben.“ Schlimm sei es, dass es für Sterbewillige in Deutschland keine Rechtssicherheit gebe, sodass Menschen in die Schweiz reisen müssten, um sterben zu dürfen.

Eine ganz andere Position vertritt ihr Mann Nikolaus Schneider: Als Repräsentant der evangelischen Kirche hatte er schon 2015 gegen eine Liberalisierung der Sterbehilfe plädiert. Der Paragraph 217 wolle verhindern, dass Ärzte das Sterben zu ihrer Sache machen und damit werben „Hier sterben sie gut“, so Schneider. „Natürlich hat niemand das Recht, jemandem zu verwehren, sterben zu wollen.“

Die Würde des Menschen sei auch im Prozess des Sterbens zu wahren und der eigene Wille zu respektieren. „Die entscheidende Frage ist doch: Kann ein Mensch, der sich selber töten will, vom Staat Hilfe einfordern? Ich bin sehr zurückhaltend darin, dass die Gesellschaft verpflichtet wird, Spritzen zur Verfügung zu stellen.“ Viel wichtiger sei es, dass sterbenskranke Menschen palliativ begleitet werden.

Das bestätigte Medizinerin Frickenschmidt. In der Palliativmedizin gebe es bereits viele Handlungsoptionen, um Patienten zu helfen: „Ich habe nicht das Gefühl, dass ich als Ärztin kein Handwerkszeug habe, um den Menschen zu helfen“ – auch das eigene Leben zu beenden, wenn er selber diese Entscheidung getroffen habe.

Sie glaubt allerdings nicht, dass man Angst vor einem Missbrauch durch eine Lockerung der Sterbehilfe haben muss. „Das Wichtigste ist der Wille des Patienten.“ Den Zuhörern gaben alle Referenten mit auf den Weg, sich Gedanken über das Sterben zu machen und mit den Angehörigen darüber zu reden.

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