Erich-Kästner-Abend in Oberpleis Einblick in das Seelenleben

OBERPLEIS · Berlin am 17. Januar 1944: 3000 Bücher, acht Anzüge, zwei Schreibmaschinen, das neue Plümo, die Schachtel mit den exakt gefalteten Taschentüchern und die von der Mama so sorgfältig gebügelten Oberhemden – „alles weg.“ Es war eine bedrückende Bilanz, die Erich Kästner am Ende dieses Tages zog.

 Machten den Menschen Kästner und seine Zeit lebendig: Antje und Martin Schneider im evangelischen Gemeindehaus Oberpleis.

Machten den Menschen Kästner und seine Zeit lebendig: Antje und Martin Schneider im evangelischen Gemeindehaus Oberpleis.

Foto: Frank Homann

Es war der Tag, an dem seine Wohnung in Berlin durch Bombenangriffe völlig zerstört wurde. „Hinterher ist einem seltsam leicht zumute. Nicht an irdische Dinge hänge dein Herz“, schrieb der Autor, der durch seine Kinderbuchklassiker berühmt wurde. Weniger bekannt sind indes die Schriften und Gedichte, die Kästner für Erwachsene verfasst hat, und mit denen er kritisch, aber zugleich augenzwinkernd das Zeitgeschehen kommentierte. Sie standen im Mittelpunkt des Bistro-Abends im evangelischen Gemeindehaus in Oberpleis.

Antje und Martin Schneider, beide selbst Autoren und Interpreten literarisch-musikalischer Programme, trugen ausgewählte Texte aus Kästners Zeit in Berlin vor – Texte, die nicht nur Einblick in das gesellschaftliche Leben, sondern auch in das Seelenleben des Autors gaben. Wunderbar treffend wurde die Lesung von Gabriele Müller am Klavier musikalisch kommentiert. Pfarrer Heiko Schmitz freute sich über den großen Zuspruch, den die Veranstaltung hatte: Die Erich-Kästner-Fangemeinde war so groß, dass sogar noch zusätzliche Stühle herbeigeschafft werden mussten: „Das ehrt Erich Kästner im Nachhinein, aber auch die, die diesen Abend vorbereitet haben.“

Das Zitat Kästners „Aber unterkriegen lassen? Niemals!“, das zugleich Motto der Veranstaltung war, „passt irgendwie auch in unsere Zeit“, so Schmitz. „Ich finde es wichtig, Leute zu hören, die vor 70 Jahren ihr persönliches Standing zu den Umbrüchen ihrer Zeit gefunden haben.“

Dabei erweist sich vieles, was Kästner einst geschrieben hat, als immer noch zutreffend. So zum Beispiel sein Hymnus auf die Bankiers: „Der kann sich freuen, der die nicht kennt! Ihr fragt noch immer: Wen? Sie borgen sich Geld für fünf Prozent und leihen es weiter zu zehn. Ihr Appetit ist bodenlos. Sie fressen Gott und die Welt. Sie säen nicht. Sie ernten bloß. Und schwängern ihr eignes Geld.“ Verse, die für zustimmendes Schmunzeln beim Publikum sorgten.

Die vorgetragenen Texte erzählten zudem nicht nur von der Kriegszeit, sondern nahmen die Zuhörer auch mit auf eine Reise ins Berlin der 1920er und 30er Jahre. Viele Zeilen stimmten nachdenklich, wie zum Beispiel der Brief eines Selbstmörders, der zuerst gerettet wurde und sich dann aus dem vierten Stock zu Tode stürzte: „Man muss nicht leben, wenn man nicht leben darf.“ Oder die Schilderung des Jahrmarkts im Berliner Nordpark, die den Blick öffnet für die Not und Armut vieler Menschen dieser Zeit – einer Zeit, in der ein Päckchen Butter ein Hauptgewinn war.

Antje und Martin Schneider gelang es, die Zuhörer mitten ins Geschehen zu versetzen. Fast hatte man den Eindruck, mit in der Menge zu stehen, das Klappern des Glücksrads zu hören und voller Hoffnung auf das große Los zu warten.

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