Klaus Breuer wohnte mit seiner Mutter in den Felshöhlen des Siebengebirges Ein Leben in und mit den Ofenkaulen

OBERKASSEL/KÖNIGSWINTER · Der Februar 1945 bleibt Klaus Breuer dauerhaft in Erinnerung. Damals floh der fast Sechsjährige mit seiner Mutter und etwa 40 weiteren Frauen und Kindern in eine Ofenkaule des Siebengebirges. Sechs Wochen hausten die Kriegsflüchtlinge mehr schlecht als recht in den Steinhöhlen - bis US-Soldaten die Deutsche Wehrmacht in Richtung Westerwald zurückgedrängt hatten.

 Die Temperatur in den Ofenkaulen lag bei acht Grad Celsius. 40 Menschen wohnten dort mit Klaus Breuer unter der Erde.

Die Temperatur in den Ofenkaulen lag bei acht Grad Celsius. 40 Menschen wohnten dort mit Klaus Breuer unter der Erde.

Foto: Nationalmuseum Washington

Helene Breuer war eine besorgte Mutter. Der Zweite Weltkrieg näherte sich seinem Ende. Die Alliierten nahmen von der linken Rheinseite Königswinter und Oberkassel unter Beschuss. Die Eroberung der rechten Rheinseite war nur noch eine Frage von wenigen Wochen. Die couragierte Frau ängstigte der zunehmende Fliegeralarm. Sie schloss sich deshalb mit ihrem Sohn dem Flüchtlingsstrom in die sieben Berge an.

In den Stollen des Ofenkaulbergs angekommen, schlugen die geflohenen Mütter mit ihren Kindern und zwei älteren Männern Metallbetten auf. "Ich teilte mir mein Bett mit zwei, manchmal drei Kindern", erinnert sich Klaus Breuer. Aufgehängte Zeltbahnen verhinderten, dass die Schlafgelegenheiten durch das heruntertropfende Wasser durchnässt wurden. Wegen der Rauchentwicklung des Holzfeuers mussten die Flüchtlinge vor der Ofenkaule kochen - was nicht ungefährlich war, weil der aufsteigende Rauch das Versteck hätte verraten können. "Die Ofenkaule war drei bis vier Meter hoch. Weit verzweigte Gänge führten ins Innere des Bergs. Die Temperaturen lagen bei unter acht Grad Celsius, was mir als Kind als unangenehm kühl vorkam", erzählt Klaus Breuer.

Vor den Höhlen befanden sich die selbst gegrabenen Toiletten. Wasser wurde aus dem nahen Bach geholt. "Morgens zwischen 8 und 10 Uhr herrschte meistens Feuerruhe. Diese Zeit nutzten die Frauen, um hinunter nach Königswinter zu gehen und dort Lebensmittel zu holen", weiß Klaus Breuer noch.

Einmal gelang es den beiden älteren Männern, vom Wintermühlenhof ein Rind zu beschaffen. "Das übrige Vieh war wohl entsprechend der Wehrmachtstaktik 'Verbrannte Erde' abtransportiert worden", vermutet der heute 73-Jährige. Das Rind wurde geschlachtet, und das Fleisch verbesserte die Nahrungssituation.

"Tagsüber fegten wir Kinder - 20 an der Zahl - den Boden in der Ofenkaule mit Reisigbündeln. Danach bauten wir mit Steinen Burgen und Türme", berichtet Breuer. Die Not machte erfinderisch: Die Kinder lernten früh, aus Haselnussästen Flöten, Stöcke und Spielzeug zu schnitzen. Der Artilleriebeschuss der US-Armee nahm zu und ließ die Flüchtlinge nicht mehr in ihre Häuser nach Königswinter und Oberkassel zurückkehren. "Die deutsche Artillerie feuerte aus dem Wald über uns in Richtung Bad Godesberg.

Das Feuer wurde heftig von der linken Rheinseite beantwortet. Ein Geschoss schlug genau vor unserer Höhle ein und ich sehe heute noch den rotweißen Feuerblitz und das schwarze Loch vor meinen Augen", erinnert sich Breuer.

Am 6. März 1945 wurde die Rheinbrücke in Bonn gesprengt, um den Alliierten das Überqueren des Rheins zu versagen. Ein Tag später fiel die Rheinbrücke bei Remagen unversehrt in amerikanische Hand. "Wegen der zähen Verteidigung des Siebengebirgsraums - von der Adolf-Hitler-Schule der Drachenburg feuerten unter anderem Jugendliche auf die von Rhöndorf vordringenden US-Amerikaner - dauerte es noch fast zwei Wochen, bis die amerikanischen Soldaten am 20. März 1945 Beuel eingenommen haben", sagt Breuer.

Vier Tage vorher fiel bereits Königswinter in die Hand des Kriegsgegners. "Amerikanische Soldaten kamen in unsere Höhle und fragten, ob hier deutsche Soldaten seien. Ich sah damals die ersten farbigen Menschen", so Breuer heute. Am 20. März zog der Junge mit seiner Mutter wieder in das Haus in der Winzerstraße ein. Dort erlebten sie am 8. Mai 1945 die Kapitulation des nationalsozialistischen Regimes.

Gefragt, ob ihn diese Erinnerungen heute noch belasten, antwortet Klaus Breuer: "Nein. Ich habe mit diesem Kapitel schon lange abgeschlossen. Ich verdränge es nicht absichtlich, es ist einfach nicht mehr lebendig. Für uns Kinder waren die damaligen Kriegsereignisse auch nicht so Furcht erregenden wie für unsere Eltern."

Und dennoch lassen ihn die Ofenkaulen auch heute noch nicht los. Als zweiter Vorsitzender des Verschönerungsvereins für das Siebengebirge (VVS) hat Breuer immer wieder mit dem mehrstöckigen, labyrinthartigen Höhlensystem zu tun. Grund: Im Inneren des ehemaligen Steinabbaus hausen 12 von 22 in Deutschland lebenden Fledermausarten.

Und Klaus Breuer verwaltet einen von drei Schlüsseln der Stollentore. "Alle 15 Eingänge sind verschlossen, weil ein Betreten der Ofenkaulen wegen der Einsturzgefahr lebensgefährlich ist", erklärt Klaus Breuer, der seit 1977 in Oberkassel in der Simonstraße wohnt.

Zur Person

Klaus Breuer ist Jahrgang 1939. Er wohnt mit seiner Ehefrau in Oberkassel. Sein Vater Peter Breuer war Stadtdirektor von Königswinter. Nach ihm ist das Stadion am Rand der Altstadt benannt. Klaus Breuer ist von Beruf Lehrer. Bis 2003 leitete in das Oelberg-Gymnasium in Oberpleis.

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