70-jährige Helga Ebel-Gerlach Bad Honneferin entwickelt App zur Vernetzung

Bad Honnef · Die 70-jährige Helga Ebel-Gerlach hat mit Freunden eine App entwickelt, die Ehrenamtliche und Organisationen vernetzt. Anlass für die Idee war die Flüchtlingshilfe vor drei Jahren.

 Helga Ebel-Gerlach zeigt die App, die sie entwickelt hat.

Helga Ebel-Gerlach zeigt die App, die sie entwickelt hat.

Foto: Frank Homann

Rückblick: Ende 2015, die Stadt braucht Hilfe. Die Flüchtlingskrise hat auch das Rheinland erreicht, und für die Flüchtlingsarbeit werden dringend ehrenamtliche Helfer gesucht. Also schreibt die Stadt eine E-Mail an alle Ehrenamtlichen, die sie in ihrer Liste stehen hat. Helga Ebel-Gerlach, eine der angeschriebenen Helferinnen, erinnert sich: „Es sind 20 Leute gekommen, von denen wurden aber nur vier gebraucht. Die anderen 16 mussten wieder nach Hause geschickt werden. Das ist zwei-, dreimal passiert, und dann sind die Leute natürlich total frustriert.“ Statt aber selbst Frust zu schieben, kam ihr eine Idee: „Es muss doch möglich sein, eine App zu entwickeln, die die Leute auch gleich filtert, sodass nicht jeder immer jede Anfrage bekommt.“

Gesagt, getan. Ebel-Gerlach warb in ihrem Freundeskreis eine Reihe von Mitstreitern an, zwei Jahre später war die App „Grupper.de“ fertig: Ehrenamtliche können Gruppen per Einladungslink beitreten und erhalten nach ihrer Verifizierung von den Organisationen je nach verfügbarer Zeit, Fähigkeiten und dem Ort Anfragen. Aktuell hätten sich schon rund 5000 Benutzer die App heruntergeladen, sagt Ebel-Gerlach. Die Zahlen sind beeindruckend. Interessant ist aber auch: Die Ideengeberin ist 70 Jahre alt.

Und damit eigentlich im Rentenalter. Das Handy vor sich auf dem Tisch liegend, sitzt Ebel-Gerlach auf der Terrasse hinter ihrem Haus. Die Markise ist ausgezogen, zu trinken gibt es Apfelschorle. Neben dem Tisch stehen ein Liegestuhl, ein Kicker und ein großes Spielauto für die Enkel, so geparkt, als sei es vor wenigen Minuten noch im Einsatz gewesen. Hinter den rotgepolsterten Stühlen geht der Garten nahtlos in den Hang des Siebengebirges über, der Lärm der Stadt ist weit entfernt. Langsam tappst die 14 Jahre alte Labrador-Dame Lotte nach draußen auf die Terrasse, lässt sich zur Begrüßung kurz den braunen Kopf kraulen und legt sich dann zurück in das kühlere Haus.

Ebel-Gerlach lebt idyllisch. Was nicht heißt, dass sie es sich auch gemütlich macht: Nach dem morgendlichen Ausgang mit dem Hund geht es für sie an den Schreibtisch. Sie ist der Meinung, dass die kategorische Grenze – „Ich bin jetzt 65 und damit Rentner“ – völliger Quatsch sei. Jeder solle solange arbeiten, wie er es körperlich kann und es ihm Spaß macht. „Ich kann mir nicht vorstellen, mich jetzt schon in die Küche zu stellen, Marmelade zu kochen, oder jeden Tag das Wohnzimmer zu schrubben.“

Im Jurastudium lernte Ebel-Gerlach ihren späteren Mann kennen, der bald Jura-Professor werden sollte, und stellte für seine Karriere die eigenen Wünsche hinten an. Bis ins 40. Lebensjahr kümmerte sie sich um Haus und Kinder. „Ich habe mir irgendwann gedacht: Das kann nicht alles gewesen sein.“ Weil sie keine Unterstützung von ihrem Mann bekam, ließ sie sich scheiden und verfolgte von nun an auch ihre eigenen Ziele. Neben verschiedenen Ehrenämtern, die sie immer schon innehatte, wurde ihr die Leitung einer Initiative für mehr Frauen in Führungspositionen angeboten. Von dort wurde sie als Kommunikationstrainerin abgeworben, um schließlich ihre eigene Event-Agentur zu gründen.

Nebenbei schreibt Ebel-Gerlach zwei Sachbücher über Benehmen und Erfolg in der Arbeitswelt und meldet ein Patent für eine neue Kunststoffbeschichtung von Satellitenschüsseln an. Ihren Arbeitsweg beschreibt sie mit einem Lachen als den „typischen Zickzackweg einer Frau, die zwar studiert hat, aber nie im Beruf war.“

Hauptberuflich leitet sie noch immer ihre Agentur, daneben fließen in ihrer Freizeit jede Woche zehn bis 15 Stunden Arbeit in „Grupper.de“. „Aktuell ist die App mein Ehrenamtsmodell“, erklärt Ebel-Gerlach. Denn: Alle Aufgaben, vom Programmieren über das Marketing bis zur Organisation, werden von den acht gleichberechtigten Mitstreitern unentgeltlich geleistet. Es sei nicht das Ziel, mit der App das große Geld zu machen, sagt sie. „Das passt nicht zum Ehrenamt.“ Daten würden nicht an Dritte weitergegeben werden, auch Werbung werde nicht geschaltet.

Wie finanziert sich die App dann aber? Um sie langfristig am Laufen zu halten und weiterentwickeln zu können, müssten die Nutzer monatlich eine Gebühr bezahlen. Das solle aber verhindert werden, indem Dachverbände oder Unternehmen wie Krankenhäuser, die sich an der internen Nutzung der App interessiert gezeigt haben, die Ehrenamtlichen quer finanzieren. Für Behörden und Organisationen ist die App besonders aus datenschutzrechtlichen Gründen interessant: Die Server stehen in Deutschland, die App wurde in Deutschland entwickelt und entspricht den europäischen Datenschutzrichtlinien nach der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).

Trotz des geplanten Finanzierungsmodells sollen die Ehrenamtlichen auch weiterhin im Fokus der Entwickler stehen, verspricht Ebel-Gerlach. Sie komme aus einer großen Familie, wo sich jeder selbstverständlich um jeden gekümmert hat, wenn es nötig war. Das habe sie früh gelernt und auch in andere Lebensbereiche mitgenommen. Heute hat sie das Gefühl, dass diese Einstellung verloren gegangen ist. „Ich glaube schon, dass Menschen nicht mehr so eng zusammensitzen. Irgendwie ist das nicht mehr so selbstverständlich“, sagt die 70-Jährige mit Nachdruck. Ziel müsse sein, die Menschen möglichst im jungen Alter zu gewinnen. „Und ich glaube, dass man die Jugend über so eine App besser animieren kann als über fromme Sprüche im Schulunterricht.“ Und: „Unser Staat kann ohne Ehrenamt nicht leben. Wenn es kein Ehrenamt mehr gibt, bricht bei uns alles zusammen.“

Persönlich will sie ihre Arbeit fortsetzen, solange Kopf und Körper mitmachen. „Mein jetziger Mann sagt immer: Du bist die Oberoptimistin.“ Und als solche will sie auch weiterhin Menschen helfen, so gut es geht. Nach dem Gespräch geht es für sie direkt weiter: Ein Ägypter, der noch nicht gut Deutsch spricht, hat ein Bewerbungsgespräch, Ebel-Gerlach begleitet ihn. „Ehrenamt halt“, sagt sie und zuckt mit den Schultern.

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