Kriegsende in der Region Als im Siebengebirge der Bommerlunder gekapert wurde

NIEDERDOLLENDORF · Als der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, kehrten die Schrecken des Krieges zurück in das Land, das den Krieg über Europa brachte. Im Siebengebirge erlebte Willi Gassen als 15-Jähriger den Einzug der Amerikaner in „Haus Schönsitz“ in Niederdollendorf.

 Haus Schönsitz/Gassen

Haus Schönsitz/Gassen

Foto: Roswitha Oschmann

Wenn Willi Gassen die Berichte in den Zeitungen über das Ende des Zweiten Weltkriegs verfolgt, kommen auch bei dem Niederdollendorfer die Erinnerungen hoch. Alles ist präsent bei dem 90-Jährigen, der zudem sein komplettes Leben in einer gestochen scharfen Schrift festgehalten hat. Er erzählt und erzählt – Willi Gassen ist so unterhaltsam wie ein spannendes Geschichtsbuch.

Das Ende des Krieges erlebte er nach dem Schanzeinsatz am Westwall im „Haus Schönsitz“, wo sein Vater als Gärtner und Verwalter angestellt war. Unvergessen der 8. März: „Bei uns quartierten sich 14 Fallschirmjäger ein; der Stab ihrer Einheit hatte sich im Rheinhotel ,Dreesen‘ ergeben. Mit Booten des Godesberger Ruderclubs hatten sie den Rhein überquert“.

In der folgenden Nacht versuchte ein Fallschirmjäger die Feindstärke auf der linken Rheinseite zu erkunden, so berichtet Gassen. Die Männer hatten sein Paddelboot „Willi“ in der Scheune entdeckt und ließen sich von dem damals 15-Jährigen zum Rhein führen. Einer von ihnen trug eine amerikanische Uniform. „Wir hofften, dass unser Mann nicht entdeckt werde. Plötzlich fielen in Höhe des Plittersdorfer Baches einige Schüsse. Unser Kundschafter – ein unsinniges Opfer des Krieges mehr.“ Und: „Mein Boot tauchte nie wieder auf.“

 Seine Erinnerungen hat Willi Gassen schriftlich niedergelegt und zudem um detailgetreue Zeichnungen etwa vom Haus Schönsitz ergänzt.

Seine Erinnerungen hat Willi Gassen schriftlich niedergelegt und zudem um detailgetreue Zeichnungen etwa vom Haus Schönsitz ergänzt.

Foto: Roswitha Oschmann

Umzug in den Gewölbekeller

Mit zunehmendem Artilleriebeschuss zog Willi Gassen mit seiner Mutter und Leuten aus der Nachbarschaft in den großen Gewölbekeller des Haupthauses. Um die 30 Leute waren versammelt. Der Hausherr indes suchte mit seiner Familie in einem eigens ausgebauten Luftschutzkeller Zuflucht. „Es war am 15. März, als mich die Fallschirmjäger nach einem Branntweinlager der Wehrmacht befragten.“ Das befand sich in einer Lederfabrik an der Heisterbacher Straße.

Gassen begleitete eine kleine Gruppe von Soldaten dorthin. Sie sprachen von Vernichtung des Branntweins vor Eintreffen des Feindes. „Ein Offizier forderte den Wachposten auf, den Eingang freizugeben. Die Fallschirmjäger sprengten das Schloss des Lagers. Nach Sichtung der Bestände zogen sie sich unter Mitnahme einiger Flaschen ,Bommerlunder‘ ins Haus ,Schönsitz‘ zurück.“

Am Nachmittag erfuhr Willi Gassen, dass die Bevölkerung das Lager ausräumte. „Einige Kellerbewohner und ich wollten ebenfalls Branntwein organisieren. Ganz Dollendorf war unterwegs, um sich mit dem begehrten Cognac und Aquavit zu versorgen. Alle Angst vor Artillerie- und Tieffliegerbeschuss unterdrückten wir. Über uns der Beobachtungsflieger der Amerikaner.“ Nachdem die Amerikaner in unseren Ort eingezogen waren, forderten sie die Bevölkerung auf, den organisierten Schnaps abzuliefern.

Schreibtisch durchwühlt

„Bis zum Eintreffen der amerikanischen Kampfverbände am Sonntag, 18. März, lagen Ober- und Niederdollendorf in unregelmäßigem Störfeuer der feindlichen Artillerie.“ Die Fallschirmjäger verabschiedeten sich am Vorabend gen Oberpleis. Dann kamen die amerikanischen Soldaten. „Sie wollten wissen, ob ich Soldat war. Danach wurde ich aus dem Keller zum Offizier ins Kaminzimmer der Villa geführt, der mich nach dem Hausherrn, dem Direktor der Dynamit Nobel AG, Otto Riedel, befragte. Sein Schreibtisch wurde durchwühlt. Der herbeigeholte Riedel musste den Tresor öffnen. Etwa 10.000 Reichsmark lagen als Fünf-Mark-Silberstücke in Rollen neben Schmuck und einer Damenpistole. Der Offizier warf die Rollen durch das Fenster auf den Hof, wo die Soldaten es bald als Souvenir aufsammelten, steckte Schmuck und Pistole in die Tasche und erklärte ,Haus Schönsitz‘ für beschlagnahmt. Das Anwesen sollte bis 18 Uhr geräumt sein.“

Willi Gassen wurde von einem Offizier beauftragt, Bürgermeister Franz Berg zu holen, der die Evakuierung vornehmen sollte. „Mit Unbehagen machte ich mich auf den Weg, vorbei an Soldaten, Panzern und Fahrzeugen, deutsche Artillerie schoss ins Dorf.“ Als er Berg gefunden hatte, ließ der Bürgermeister den Amerikanern ausrichten, dass er sich nicht mehr verantwortlich fühle. Mit einem Offizier und Fahrer ging es umgehend zu ihm zurück, um ihn zu holen. Gassen: „Alle im Haus befindlichen Personen sollten im Hotel Petersberg einquartiert werden. Die meisten wollten aber bei Verwandten unterschlüpfen.“ Mit seiner Mutter zog er selbst zu Onkel und Tante, mit Leiterwagen und zwei Ziegen. Als er zwei Tage später zurückkehrte, um Kaninchen und Hühner zu füttern, war kein Tier mehr da, Teile der Wohnzimmereinrichtung lagen zerschlagen im Hof.

Lebensmittel und Zigaretten als Entgelt

Am Sonntag, 2. April, besuchte Willi Gassen erstmals wieder den Gottesdienst in der Kirche Sankt Michael. Am 6. April wurde er heimlich Augenzeuge der Inspektion der Hodges-Bridge durch General Omar N. Bradley und John McCloy. Und: Er wurde mit Freund Hans Harder, in dessen elterlicher Wohnung die Brückenkommandantur untergebracht war, für die Bearbeitung der Passierscheine für die zivilen Nutzer eingestellt.

„Unser Entgelt bestand in Lebensmitteln und Zigaretten. Die Entlausung wurde Anfang Juli eingestellt und damit war auch unser Job beendet.“ Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr wurden zum Teil als Hilfspolizisten verpflichtet – für die Lenkung der Ströme von zivilen Brückennutzern. Willi Gassen indes sollte ab 1949 selbst zu einer festen Größe der Freiwilligen Feuerwehr werden.

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