Hunderte Ehrenamtliche Bedarf der Tafeln im Rhein-Sieg-Kreis weiter groß

Rhein-Sieg-Kreis · Fünf Träger und Hunderte ehrenamtliche Helfer unterstützen mit der Weitergabe gespendeter Lebensmittel bedürftige Menschen im Rhein-Sieg-Kreis. Der Bedarf am Angebot der Tafeln ist ungebrochen, die Spenden gerade an frischen Lebensmitteln jedoch gehen zurück.

Glücksbringer: Die Aufschrift auf dem Wagen der Arbeiterwohlfahrt (Awo) ist Programm. Für viele Menschen ist die Fracht des kleinen Kühltransporters, der soeben in den Küferweg einbiegt, in der Tat ein Glücksfall. Das Team der Awo in Königswinter steht stellvertretend für viele Tafeln unterschiedlicher Träger und Hunderte Ehrenamtliche im Kreisgebiet. Mit der Ausgabe gespendeter Lebensmittel erleichtern sie das tägliche Leben einer großen Zahl bedürftiger Menschen im Kreis.

Die Berechtigungsausweise für Tafel-Kunden stellen in der Regel die Kommunen aus. Orientierungsgrößen sind Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch, Arbeitslosengeld II oder Unterstützung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. In manchen Orten gilt auch die Wohngeldberechtigung als Bezugsgröße. Rechnerisch erfüllten bundesweit acht Prozent der Bevölkerung die Kriterien, sagt Peter Sieler, bei dem die Fäden für vier Awo-Tafeln im Kreisverband zusammenlaufen. „Auf Königswinter heruntergerechnet wären das 3500 Menschen. Das würden wir nie schaffen“, so Sieler. Die Zahlen sind aber auch so enorm: Gut 600 Haushalte mit 1600 Personen werden wöchentlich durch die Awo-Tafeln versorgt. Da nicht immer dieselben Kunden kommen, liegt die Zahl der Empfänger noch höher.

Zahl der Tafel-Kunden im Kreis geht in die Tausende

Nimmt man die weiteren Träger hinzu, geht die Zahl der Tafel-Kunden im Kreis in die Tausende. Allein der Sozialdienst der Katholischen Männer (SKM) zählte 2017 Woche für Woche konstant mehr als 4200 Kunden. Familien sind ebenso dabei wie Alleinstehende. Und viele Kinder, wie auch Zahlen der Evangelischen Kirchengemeinde Seelscheid zeigen: Woche für Woche erreichen die Helfer dort gut 340 Menschen, darunter 150 bis 200 Kinder. Dass der Bedarf ungebrochen ist, potenziell sogar steigt, weiß auch Alfons Fischer-Reuter von der „Lebeka“ in Bornheim und Alfter. 280 Haushalte mit 800 Personen werden jede Woche unterstützt – mit 350 bis 400 Tonnen Lebensmitteln pro Jahr.

Es ist Mittwoch, 10 Uhr. Zwar öffnet die Tafel am Küferweg erst am Nachmittag. Doch schon Stunden zuvor haben Kunden, wie die Empfänger respektvoll genannt werden, ihre Trolleys vor der Tür abgestellt. Dabei geht niemand leer aus. „Natürlich wissen wir nicht, wie viele Menschen jeweils kommen“, so Sieler. „Aber alles wird gerecht verteilt. Und wenn wir mal nicht genug frische Waren bekommen, füllen wir aus den haltbaren Vorräten auf“, ergänzt Heinz Willi Gelhausen, der 2018 mit Erhard Peters und Norbert Mischke in die Fußstapfen des vormaligen Leitungsteams getreten ist. Sie alle eint, was Peters auf den Punkt bringt: „Mir ging es immer gut. Ich will etwas zurückgeben.“

Angebot an Obst und Gemüse überschaubar

Die Sachspenden der Geschäfte werden weniger, berichtet Awo-Geschäftsführer Franz-Josef Windisch. Moderne Warenwirtschaft sei da nur einer der Gründe. Immer mehr Geschäfte richteten Restekisten mit reduzierten Lebensmitteln ein, so Sieler. Windisch: „Schließlich soll es auch keine Lebensmittelschwemme geben.“ An diesem Tag ist das Angebot, vor allem an frischem Gemüse und Obst, überschaubar.

Auch im Ausgaberaum herrscht schon früh reger Betrieb. Während der Transporter zur zweiten Fahrt startet – nicht selten fahren die Helfer zusätzlich mit Privatwagen los –, organisieren Helferinnen wie Renate Zwingers, Frau der ersten Stunde bei der 2009 gegründeten Königswinterer Tafel, die Ausgabe. Ihrem kritischen Blick entgeht nichts. Windisch: „Unser Anspruch ist: Wir geben nur raus, was wir selbst essen würden.“ In vielerlei Hinsicht unterliegen die Tafeln übrigens denselben Richtlinien wie Geschäfte, etwa was die Einhaltung der Kühlkette betrifft.

Müllgebühren bereiten Probleme

Die Sachspenden der Läden, so zentral sie sind, haben eine Kehrseite: Leider müssen die Tafeln nicht selten entsorgen, was eigentlich schon beim Supermarkt in den Müll gehört hätte. Verdorbener Salat in Plastikfolie, kaputte Joghurtpackungen: Nicht alles, was gespendet wird, ist okay.

2018 lehnte der Kreis den Antrag der SKM, die Müllgebühren der Tafeln zu übernehmen, ab. Der Kreis stellte 10 000 Euro zur Verfügung – für alle Tafeln zusammen. 600 Euro sind das für Königswinter.

Sonderaktionen sind stets erfolgreich

Viele Geschäftsleute empfänden respektvolle Unterstützung der Tafeln aber als soziale Verantwortung, wissen Gelhausen und Ingrid Saffé, die ebenfalls zum 37-köpfigen Team gehört. Auch bei Privatleuten sei die Hilfsbereitschaft groß, so Saffé, wenn auch Sachspenden – im Gegensatz zu Sonderaktionen wie zu Weihnachten – übers Jahr seltener seien. Unterstützung wie die Leergutaktion der Lions sei da ein Segen.

In Königswinter müssen laut Sieler 30 000 Euro zusätzlich pro Jahr „erwirtschaftet“ werden, um alle Kosten zu decken – obwohl die Stadt, anders als andernorts, keine Miete berechnet. Problem: Das Haus sei marode, bald brauche man Ersatz. Entsprechend froh ist man im Vorgebirge oder in Wachtberg, dass die Kirchen jeweils Räume zur Verfügung stellen.

„Wir bieten Unterstützung,keine Vollversorgung.“

Und ohne Ehrenamt gehe sowieso nichts, sagt Windisch. „Die Awo hat vor 100 Jahren mit Suppenküchen angefangen – und heute verteilen wir immer noch Lebensmittel. Da kommt man schon ins Grübeln.“ Eigentlich, sagt er, „ist es doch eine Schande, dass es uns gibt. Dass jeder ein Auskommen hat, muss gesetzliche Verpflichtung sein.“

Dem Vorurteil, Tafeln leisteten einem Armutssystem Vorschub, begegnet Sieler so: „Wir bieten Unterstützung, keine Vollversorgung. Und wenn eine Familie durch uns mal etwas mit den Kindern unternehmen kann, dann ist es doch gut so.“ Gelhausen: „Wenn ich höre: 'Gut, dass ihr aufhabt, ich habe zwei Tage nichts gegessen', weiß ich, wofür ich das mache.“

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