Tradition in Stieldorf 1889 fanden die ersten Passionsspiele statt

STIELDORF · Es war das Oberammergau des Rheinlands. Vor 125 Jahren fanden in Stieldorf erstmals Passionsspiele statt. Bis zu 120.000 Besucher in einer Saison lockte die Darstellung der Leidensgeschichte Jesu Christi in den kleinen Ort zwischen Rhein und Sieg.

 Eine eigene Halle für die Passionsspiele wurde in Stieldorf im Jahr 1928 gebaut. Im Hintergrund ist die Kirche zu sehen.

Eine eigene Halle für die Passionsspiele wurde in Stieldorf im Jahr 1928 gebaut. Im Hintergrund ist die Kirche zu sehen.

Foto: Werner Melsbach (Repro)

Zwischen 1889 bis 1935 wurden zehn Spielperioden durchgeführt; zunächst in der Passionszeit, dann zwischen Mai und Oktober immer samstags, sonntags und mittwochs. "Du musst kommen. Und wenn es ein Pferd kostet!" Diese dringende Einladung erhielt Michael Weyler aus Oberscheuren 1880 von einem Verwandten.

Ob es den Landwirt tatsächlich ein Pferd kostete, ist nicht überliefert. Aber in jenem Jahr besuchte er Oberammergau. Der Dirigent des Stieldorfer Kirchenchores war ergriffen. Nach der Heimkehr steckte er die Sänger mit seiner Begeisterung an. Es keimte die Idee, auch in Stieldorf Passionsspiele auszurichten.

Eine bis zu zehn Stunden lange Aufführung wie in Oberammergau kam nicht in Frage. Der Chorleiter machte sich auf die Suche nach einem kürzeren Text. Kostüme für die 90 Mitwirkenden wurden ausgeliehen, die Rollen verteilt. Peter Wolter war der erste Christusdarsteller. Die Proben liefen.

Und am Sonntag Lätare in der Fastenzeit 1889 stellte die Truppe zum ersten Mal die Leidensgeschichte des Herrn dar; und zwar im Saal des Gastwirtes Schreckenberg. Bis zum Palmsonntag fanden Aufführungen statt. Aus der Pfarrchronik geht hervor, dass dennoch Hunderte, die nach Stieldorf kamen, vor dem überfülltem Saal umkehren mussten. Sie wurden auf die nächste Spielzeit 1890 vertröstet.

Bei so viel Zuspruch beschlossen Michael Weyler und seine Helfer, die Spiele zu einer ständigen Einrichtung zu machen. Der Dirigent erarbeitete einen längeren Text, er führte auch Regie und trat als Sprecher der Prologe auf. Nach der erfolgreichen Saison 1892 erwarben die Spieler eigene Gewänder.

Freunde des Passionsspiels liehen für Kleider und den Bau einer Halle das Geld gegen Bürgschaft. Alle Darlehen konnten getilgt werden, denn auch die folgenden Spielzeiten sollten erfolgreich werden. 1902 weilte sogar Königin Sophie von Schweden, die gerade in Honnef ihre Sommerfrische verlebte, einer Aufführung bei. Die Besucher kamen aus Belgien und Luxemburg, aus den Niederlanden und England, selbst aus Amerika und Japan.

Die Zahl der Mitspieler nahm zu bis auf 120 Erwachsene und 150 Kinder. Eine Menge Ordner, Feuerwehrleute und Arbeiter packten außerdem an. Ein ganzes Kirchspiel fieberte mit. Besonders beeindruckend an den Aufführungen: Die Spieler verkörperten ihre Figuren mit ganzer Seele. Petrus-Darsteller Wilhelm Josef Kreutzer (1886-1948) aus Stieldorferhohn war bei sämtlichen Aufführungen dabei und ragte aus der Reihe der Charakterköpfe hervor.

Er steigerte sich so in seine Rolle hinein, dass ihm bei der Szene der Verleugnung des Herrn die Tränen über die Wangen liefen. Pfarrer Hubert Klefisch war stolz auf seine Pfarrkinder. Nach einem Besuch in Oberammergau notierte er in die Chronik: "Das Auftreten der Hauptspieler stieß mich ab... das steife, stolze, unnahbare Gebaren des Christusdarstellers ließen mich kalt. Ich sah keine Tränen in den Augen der Zuschauer, wie ich es oft in Stieldorf gesehen habe."

Die Passionsspiele wirkten sich auf den Ort aus. In den Pausen herrschte Hochbetrieb in den Wirtschaften. Auf dem Kirchplatz standen bis zu 80 Omnibusse. Doch die Spiele blieben von den historischen Ereignissen nicht unberührt. Nach dem Riesenerfolg mit rund 50.000 Besuchern 1909 verhinderte der Erste Weltkrieg die Spiele von 1916. Erst zwölf Jahre später ging es weiter mit einer Doppelspielzeit 1928/29 mit insgesamt 73 000 Besuchern.

Aber bereits die Spielzeit 1934/35 war belastet von den Auflagen der nationalsozialistischen Machthaber. 120 000 Besucher kamen 1934; im Jahr darauf waren es 50.000. Der Ausbruch des Krieges verhinderte die Jubiläumsspiele 1939. Später wurde mehrfach der Wunsch geäußert, die Passionsspiele aufleben zu lassen. Dazu gekommen ist es jedoch nicht - bis in diesem Jahr. Der Vorhang im "rheinischen Oberammergau" fiel 1935 zum letzten Mal. Und hob sich erst wieder in diesem Jahr: 125 Jahre nach den ersten Passionsspielen von Stieldorf zeigte der Chor eine moderne Version der Passionsgeschichte.

Wegen der Festspielhalle: Zum Kaiser nach Bad Ems

1892 wurde mit dem bisher erzielten Reinertrag ein eigenes Festspielhaus aus Holz unter Leitung des Schreinermeisters Johann Fußhöller aus Stieldorferhohn errichtet. Der Zuschauerraum mit 1000 Plätzen war mit Holzbänken ausgestattet. Nach der Spielzeit wurde die Halle abgebaut und das Material verkauft.

Die Spielstätte von 1897 war dann schon für 1300 Besucher konzipiert. Aber die Organisatoren hatten nicht an eine behördliche Genehmigung gedacht. Die Folge war ein Spielverbot. Erst als der Oelinghovener Wilhelm Marx, mittlerweile Oberbürgermeister von Düsseldorf, an den richtigen Stellschrauben drehte, erfolgte der Durchbruch. Weyler fuhr nach Bad Ems, wo Kaiser Wilhelm II. zur Kur weilte, um sich die Erlaubnis abzuholen.

Rücklagen wurden gebildet und 1902 eine noch größere Halle gebaut, deren Bühnengestaltung sich an Oberammergau orientierte. 1934/35 hatte die Spielschar ein finanzielles Fundament, um eine dauerhafte Festspielhalle zu bauen. Dazu kam es nicht. Das Geld ging sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg an den Staat. Die letzte Halle wurde 1943 abgerissen. Heute erinnert an diesen Aufführungsort nur noch der Straßenname An der Passionshalle.

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