Rommersdorf in Bad Honnef Wo die Welt (fast) noch in Ordnung ist

ROMMERSDORF · Irgendwie kommt man nicht mehr weg. Will man aber auch gar nicht. Ortstermin in Rommersdorf, obere Möschbachstraße. Flugs werden zwei Bänke auf die Straße geräumt. Sitzgelegenheit für den kleinen Klaaf unter Nachbarn. Das kann schon mal dauern, da hat man es gerne ein bisschen gemütlich.

 Anna Ziegert

Anna Ziegert

Foto: Frank Homann

Die Herbstsonne, die gerade noch über die höchsten Giebel in die kleine Gasse fällt, wärmt dazu. "Gar nicht untypisch wäre, wenn jetzt noch jemand Kaffee rausholen würde", erzählt Brigitte Mohr (64), Wirtin im 1752 erbauten Weinhaus Steinbach mit den leckersten Bratkartoffeln der Welt, und lacht. Um ein klein wenig ernster anzufügen: "Ja, der Zusammenhalt hier ist schon etwas Besonderes."

Zusammenhalt. Genau der war am 20. Juni 2013 besonders gefordert. Als der große Regen kam und der Möschbach, dem rheinischen Begriff "Mösch" folgend eigentlich klein wie ein Spatz, anschwoll. Und mit Macht über die Ufer trat: Land unter im Fachwerkidyll. Aus Tretschbach- und Annatal führte der Bach Massen Geröll und Äste mit sich. An den Gittern weiter unten ging nichts mehr. Das Wasser schoss auf die Straße. Flutete Keller, Innenhöfe, Wohnräume. Keine Zeit, viel nachzudenken. Alle packten an, scheppten tonnenweise Geröll aus dem Bachbett. Oder halfen, wenn das eigene Heim verschont blieb, wo es nötig war. Not schweißt zusammen.

Auch an diesem Nachmittag bietet der 20. Juni 2013 noch ausreichend Stoff für das Schwätzchen am Garten-, pardon: am Möschbachzaun, wenn auch lange nicht alle Nachbarn Zeit dafür gefunden haben. Es wird gefachsimpelt. Schließlich soll der Möschbach renaturiert werden und, zum Ärger der Anwohner, eventuell den Lauf verändern. "Kein Nachbar wird etwas von seinem Vorgarten abgeben", fasst Peter Mohr (46), der mit Frau Inge (42) und Sohn Christian (9) in Nummer 9 lebt, in Worte, was viele denken.

Und dass die Altvorderen sehr wohl gewusst hätten, wie es zu den Hochwassern 1903 und Anfang der 60-er Jahre hatte kommen können - und Vorsorge trafen. "Wenn oben die Teiche zugemacht werden, landet der ganze Schotter halt hier", so Peter Mohr. "Ich kenn' den Bach nicht anders" und "Was will man hier noch offen legen?", ergänzen Christa Menden, geborene Ziegert, und Sabine Steinbach (39), die mit Mutter Irene (72) und Sohn Fabian (5) schräg gegenüber wohnt. Dafür reiche der Platz nicht im engen, historischen Ort.

Erinnerungen werden wach. "Beim letzten großen Hochwasser sind wir losgerannt und haben Kuhmist geholt", erzählt Anna Ziegert (83). Kuhmist? "Das Wasser lief hinten zum Schuppen rein und vorne wieder raus. Und Kuhmist dichtet ab." Die Umstehenden nicken. Klingt logisch. Der Kuhfladen von einst ist der Sandsack von heute. Nur Landwirtschaft gibt es im Ort nicht mehr. Und keine Reben gleich die Ecke rum, die "mit Stroh, das im Bach aufgeweicht wurde, gebunden wurden". Natürlich schätzt man Rebensaft, auch heimischen, bis heute - vor allem, wenn er im 1752 erbauten Weinhaus an der Spießgasse Oberflächenspannung hat, weil, so die Sage, "ein seliger Zecher hier leichter den Mund zum Weine finde als umgekehrt". Nicht geändert hat sich vor allem: Nachbarschaft wird groß geschrieben.

Zwei mit Schlamm bespritzte Mountain-Biker fahren vorbei. "Die fahren nur so gesittet, weil sie uns hier haben stehen sehen. Sonst geht das anders zu", sagt Irene Steinbach. Tochter Sabine nickt. Sie ist, wie Peter Mohr und sein Bruder Jürgen, Sylvia Paulsen (46), Christa Menden und deren Geschwister Wolfgang, Manfred und Elisabeth, hier aufgewachsen. "Das war toll als Kind", sagt Sabine Steinbach. Und auf der Lehmrutsche im Wald, "meine Güte, sahen die Kinder oft aus", so die Älteren. Wegziehen? Warum, "dazu gibt es keinen Grund", sagt Sylvia Paulsen. Dass Sabine Steinbach, so ihre Mutter, "Sonntagmorgens im Schlafanzug zu Ziegerts rüber ist, damit wir noch schlafen konnten, und sich da satt gegessen hat", gehört zu Kindheitserinnerungen, die man liebt. Und bewahren will. "Ich sehe noch die alte Frau Kaiser im Hof sitzen und Bohnen schnippeln. Bis heute mag ich Bohnen am liebsten, wie sie sie gemacht hat: mit ein bisschen Butter und Muskat", sagt Christa Menden.

"Hier kann man die Kinder noch laufen lassen", sagt Peter Mohr. Autoverkehr sei (fast) ein Fremdwort. Auch wenn sich Ortsunkundige schon mal festfahren an Ziegerts Gehege, in dem die Gänse nicht erst jetzt, nachdem im August ein Hund ein Huhn gerissen und sein Besitzer zum allgemeinen Ärger das Weite gesucht hatte, Vierbeiner anzischen. Klara Paulsen: "Jeder kennt jeden, man hilft sich, hat die anderen im Blick." Ist die Welt am Möschbach noch in Ordnung? "Irgendwie schon, auch wenn sich die Zeiten geändert haben", sagt Sabine Steinbach.

Wer wie mancher Mountaibiker nur vorüber flitzt, dem entgeht viel: Einfach schön ist dieses Fleckchen Erde. Liebevoll gepflegtes Fachwerk, Blumenschmuck überall. Dafür legt man sich hier wie im gesamten Ortsteil, der über einen regen Bürgerverein und quirlige Ehrenamtler wie die "Rentnerband" verfügt, ins Zeug. "Früher, als noch die Kurgäste kamen - hätte ich von jedem nur einen Groschen genommen, abends hätte mir nix mehr weh getan", erzählt Anna Ziegert. Fürs Fotografieren? "Genau. Die kamen sogar rein und sagten: Hängen Sie doch mal die Wäsche ab, die stört", sagt die 83-Jährige, die alle vier Kinder in dem Haus Anno 1624 zur Welt gebracht hat. Es sind Anekdoten wie diese, Geschichten über Familien und Familienbande, die man aufschreiben müsste. Damit sie "nicht verloren gehen. Das wäre nämlich eine Schande", sagt Inge Mohr. Christa Menden: "Ich mache mir schon Gedanken, was ist, wenn all das keiner mehr weiß." Was sie sich wünschen? "Dass alles so bleibt!" Oder, um es mit Brigitte Mohr zu sagen: "Ich hätte nie woanders wohnen wollen. Ich bin hier geboren. Und ich werd' wohl auch hier, irgendwann, die Knöppe zumachen."

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