Sprachtraining mal anders Vier syrische Flüchtlinge singen im MGV Liederkranz

AEGIDIENBERG · Seit Herbst 2015 verstärken vier Männer aus Syrien den Männergesangverein. Die Proben sind auch eine Art Sprachtraining - die kölschen Texte allerdings lernen sie auswendig.

 Ist das das richtige Notenblatt? Amir Ahmad ist einer von vier Flüchtlingen, die beim MGV in Aegidienberg singen.

Ist das das richtige Notenblatt? Amir Ahmad ist einer von vier Flüchtlingen, die beim MGV in Aegidienberg singen.

Foto: Frank Homann

Horst Lorenz fischt aus seinem Ordner ein Blatt. Dann schaut er zu seinem Nachbarn, der noch in seiner Mappe blättert. „Das da?“, fragt der junge Mann und tippt auf ein loses Papier mit Noten und dem Schriftzug „Lebe, liebe, lache“. Lorenz nickt.

Der Schriftführer des Männergesangvereins Liederkranz Aegidienberg, seit 43 Jahren im Chor, hat einen besonderen Sangesbruder an der Seite: Amir Ahmad. Nicht nur dessen Alter von 21 Jahren ist eine Seltenheit für einen Neuzugang in einem Männergesangverein, sondern auch seine Herkunft. Der junge Mann kommt aus Aleppo und lebt seit der großen Flüchtlingswelle in Aegidienberg.

Die syrischen Neuzugänge

Dalil Hajkhalil (21), Muhammad Ahmad Khoja (29) und Bengin Ahmad (42), der aus gesundheitlichen Gründen nicht ganz so regelmäßig dabei ist, haben sich ebenfalls dem Liederkranz angeschlossen. Bei einem Auftritt des MGV im Café International im Herbst 2015 hatten die Männer um MGV-Chef Eberhard Bialkowski den Flüchtlingen angeboten mitzusingen. „Das war neu für mich“, erzählt Dalil. Mit seinem 14-jährigen Bruder stammt er aus Kobanê. In Syrien legte er das Abitur ab, in Deutschland möchte er Physik studieren. Viermal pro Woche fährt er zum Sprachkursus nach Bonn.

Die Chorprobe ist auch eine Form von Sprachtraining. Amir: „Als ich hörte, dass ich durch das Singen besser Deutsch lerne, bin ich dem Chor beigetreten.“ Dabei singt der Chor ja nicht nur auf Hochdeutsch, sondern hat auch Mundartlieder im Repertoire.

Beim Weihnachtskonzert waren sie dabei

„Das ist schwierig. Wir lernen das auswendig“, erzählt Dalil Hajkhalil. Amir findet sogar: „Kölsche Lieder sind fast einfacher zu singen.“ Die Flüchtlinge packen es. Auch beim Weihnachtskonzert 2016 in der Pfarrkirche waren sie dabei und freuten sich über den großen Beifall des Publikums.

Chorleiter Guido Wilhelmy stimmt ein weiteres Stück an. „Aus der Traube in die Tonne, aus der Tonne in das Fass …“ Eines der bekanntesten Lieder und Chorsätze von Komponist Kurt Lissmann, wie gemacht für das Rheinland und das Siebengebirge, und für einen Männerchor sowieso. Kraftvoll stimmen die Herren ein. Der Dirigent erinnert: „Immer schön den Heldenbass spielen.“ Und gibt bei der Textzeile „fallen dann die Lider fein“ die Anweisung: „Der Tenor jetzt hoch.“

Die Kulturen tauschen sich aus

Amir Ahmad hört zunächst zu, bei der Wiederholung stimmt er dann ein. Für ihn ist das Wein-Lied neu, die altgedienten Sänger haben es seit Jahrzehnten im Programm. Es ist ja nicht nur die Sprache, die fremd ist im fremden Land. Guido Wilhelmy: „Die Jungs haben eine andere Singkultur. Aber es wird immer besser. Und was wir zusammen einstudieren, geht richtig gut. Unsere Flüchtlinge sind gut im Chor angekommen.“

Auch bei der Sängerfahrt nach Wittichenau im Oktober waren die Neulinge dabei, die Kosten übernahm der Chor. Das förderte die Gemeinschaft zusätzlich. Und beim gemütlichen Abend stellte Amir Ahad ein Lied aus seiner Heimat vor – er sang und tanzte. „So haben wir auch einen Einblick in ihre Kultur erhalten“, so Guido Wilhelmy. Die Flüchtlinge unterstreichen: „Wir sind sehr dankbar, dass wir diese drei Tage mitgenommen wurden.“

Die Verständigung klappt

Amir Ahad ist überzeugt: „Durch den Chor haben wir gelernt.“ Er möchte eine Ausbildung zum Automechaniker absolvieren. Muhammad Ahmad Khoja hat noch keine genauen Vorstellungen. „Erst die Sprachprüfung schaffen, dann schauen.“ Jedenfalls machen die Chorproben sichtlich Spaß. Muhammad hat Notenwart Richard Winter an seiner Seite, Kurt Ziegert gibt Dalil Hilfestellung . Nichts Ungewöhnliches: „Sich zu unterstützen, ist üblich im Chor“, betont Guido Wilhelmy.

Und nicht nur die altgedienten Sänger helfen ihren jungen Mitstreitern, umgekehrt achten die Flüchtlinge auf die älteren Herren und bekommen ein dickes Lob. Clemens Schichterich (84): „Die stellen mir den Stuhl hin oder bringen mir die Notenmappe.“ Und die Verständigung klappt – anfangs mit Händen und Füßen, inzwischen immer besser auf Deutsch.

Neuzugänge bereichern den Chor

Dem MGV Liederkranz fällt es schwer, junge Mitglieder zu gewinnen, wie allen Männergesangvereinen. Die Flüchtlinge verstärken den Chor nicht nur auf rund 30 Sänger, sondern senken auch das Durchschnittsalter. „Das Alter der Sänger ist uns egal“, meint Amir, „sie sind alle immer sehr nett.“

Dalil bestätigt: „Es ist interessant, die ältere Generation kennenzulernen.“ Und Vorsitzender Bialkowski sagt: „Sie sind Stützen für uns.“ Der Chorleiter traf sich am Anfang mit den Neulingen, probierte Tonlagen mit ihnen aus. Amir wurde Erster Tenor, Muhammad und Dalil singen im Ersten Bass und Bengin ist Zweiter Tenor.

MGV offen für neue Genres

Guido Wilhelmy kündigt das nächste Lied an: „Freiheit“ von Marius Müller-Westernhagen. Längst hat sich der 1875 gegründete MGV für neue Genres geöffnet. „Der Mensch ist leider nicht naiv, der Mensch ist leider primitiv“, singen die Sänger. Auch ein neues englisches Lied wird probiert: „Angels watching over me!“ Nun müssen alle in einer fremden Sprache singen.

Im August findet das traditionelle Hupperichfest des MGV statt. Vor 50 Jahren haben die Liederkranz-Mitglieder die Schutzhütte errichtet. Im vergangenen Jahr waren die Syrer erstmals dabei – schon jetzt freuen sie sich auf den Tag in der Gemeinschaft auf dem „Hausberg“ der Sänger.

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