Geschichte von Abd Alsattar Altaee Iraker erzählt von seiner Flucht vor dem IS nach Aegidienberg

AEGIDIENBERG · Der Iraker Abd Alsattar Altaee kam im Oktober 2015 nach Aegidienberg, nachdem er vor dem IS aus Mossul geflohen war. Es ist eine Geschichte von einer Flucht - und einer gelungenen Integration.

 Irakische Soldaten unterhalten sich vor der zerstörten Al-Nuri-Moschee in Mossul. Von hier floh der damals 17-Jährige Abd Alsattar Altaee vor der Terrormiliz IS und war einer der ersten Flüchtlinge, die im Oktober 2015 in Aegidienberg eine Bleibe fanden.

Irakische Soldaten unterhalten sich vor der zerstörten Al-Nuri-Moschee in Mossul. Von hier floh der damals 17-Jährige Abd Alsattar Altaee vor der Terrormiliz IS und war einer der ersten Flüchtlinge, die im Oktober 2015 in Aegidienberg eine Bleibe fanden.

Foto: picture alliance / XinHua

„Germany – das war für mich nur die deutsche Fußballmannschaft. Sonst wusste ich nichts über Deutschland.“ Zweieinhalb Jahre ist das nun her – mittlerweile ist Deutschland für Abd Alsattar Altaee zur neuen Heimat geworden. Der damals 17-jährige Iraker war einer der ersten Flüchtlinge, die im Oktober 2015 in Aegidienberg eine Bleibe fanden. Heute spricht er fließend Deutsch, hat einen Ausbildungsplatz und engagiert sich ehrenamtlich bei den Maltesern.

Was Sattar – wie er von seinen Freunden und seiner Bad Honnefer Ersatzfamilie genannt wird – auf der Flucht aus dem Nordirak über das Mittelmeer erlebt hat, wird er wohl niemals vergessen. Am Sonntag erzählte der junge Mann auf Einladung des Café International der evangelischen und katholischen Kirchengemeinde im Pfarrheim am Aegidiusplatz vor Dutzenden Zuhörern seine bewegende Geschichte.

„Wir haben für diesen Vortrag bewusst den Palmsonntag ausgesucht, da dies ja der Beginn der Leidenswoche ist“, erläutert Irmard Schwermann vom Team des Café International, in dem Sattar von Anfang an Stammgast war. Pfarrer Stefan Bergner ergänzt: „Wir denken in der Passionszeit ja nicht nur an die Leiden Christi, sondern auch an Menschen, die heute leiden, zum Beispiel unter Krieg und Gewalt, Flucht und Vertreibung. Heute Abend wollen wir uns gemeinsam einem solchen Flüchtlingsweg aussetzen.“

Flüchtende Zivilisten und weinende Kinder

Sattar hat sich für seinen Vortrag extra in Schale geworfen: im dunklem Anzug mit Krawatte steht er vor seinen Zuhörern. Der Lautsprecher ist ausgefallen – „Da muss ich wohl meine laute arabische Stimme herausholen“, sagt er, schmunzelt und fängt an zu erzählen: von den ersten Angriffen der IS-Truppen auf die Stadt Mossul, wo er die Schule besuchte, von Schüssen, Panzern, Bomben und Explosionen, von flüchtenden Zivilisten und weinenden Kindern. Auf Leinwand projizierte Fotos machen sichtbar, wovon er spricht – und dennoch bleibt das Geschehen irgendwie unfassbar. Mit bewegten Gesichtern lauschen die Besucher, darunter auch viele junge Leute, den Schilderungen Sattars. Der junge Mann aus dem Irak schafft es jedoch immer wieder, mit Witz und Humor die bedrückte Stimmung aufzulockern.

Da IS-Kämpfer den Weg zurück in sein Heimatdorf, zu seiner Familie versperrten, sah Sattar den einzigen Ausweg damals in der Flucht, die ihn über Syrien zunächst in die Türkei führte. Dort kam er in ein Heim für Minderjährige – ohne Perspektive für die Zukunft. „Ich konnte dort gar nichts machen, noch nicht einmal die Schule besuchen“. Abermals suchte Sattar sein Heil in der Flucht. Über Schleuser ergatterte er einen Platz auf einem Boot, das ihn übers Mittelmeer nach Griechenland bringen sollte.

Mit 68 Personen in einem neun Meter langen Schlauchboot

Die viereinhalbstündige Überfahrt nach Kos zählt zu seinen schlimmsten Erlebnissen: „Wir haben mit 68 Personen in einem neun Meter langen Schlauchboot gesessen. Das Wasser im Boot reichte uns bis zu den Knien und stieg immer höher. Ich habe gedacht, das ist das Ende. Da fängt man an zu beten.“ Zumal ein Nachbarboot gesunken ist: „Dabei sind auch Menschen gestorben.“ Bei der Überfahrt verlor Sattar seine wenigen Habseligkeiten – in T-Shirt und kurzer Hose ging es weiter nach Belgrad, wo er mit Tausenden Menschen vor dem Bahnhof auf dem Boden gelegen und auf den Zug gewartet hat, der ihn zur ungarischen Grenze bringen sollte.

„In Ungarn war es ganz schrecklich, fast noch schlimmer als auf dem Meer“, erzählt er weiter. Drei Tage musste er im Grenzgebiet ohne Essen und Trinken ausharren, bis ihn Schleuser in ein Taxi nach Budapest setzten. „Als wir dort ankamen, sahen wir aus wie Zombies“. Sattar konnte kaum noch laufen – die Sohlen seiner Schuhe waren durch, „ich hatte riesige Blasen an den Füßen.“ Abermals musste der damals 17-Jährige sein erspartes Geld an Schleuser übergeben, um weiter nach Deutschland zu gelangen.

Über Passau, Deggendorf, Bayreuth, Dortmund und Aalen gelangte er am 6. Oktober 2015 nach Bad Honnef. Schnell erkannte er, wie wichtig es ist, sich zu integrieren. „Ich habe schon am ersten Tag angefangen, Deutsch zu lernen“. Bereits am 2. Januar schloss er erfolgreich einen Erste-Hilfe-Kurs bei den Maltesern ab, absolvierte dann sogleich eine Ausbildung zum Ersthelfer. An seinen ersten Einsatz erinnert er sich noch genau: „Das war am 9. Februar beim Karneval.“ An den erfolgreichen Hauptschulabschluss schließt sich nun die Ausbildung bei der Firma Wirtgen an. Sattar ist glücklich in Deutschland, auch wenn er seine Familie im Irak vermisst. Für ihn steht fest: „Von hier kann mich keiner mehr wegschicken.“

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