Interview mit Autor Manfred Haferburg "Ein Buch, geschrieben für die Jugend"

BAD HONNEF · Er habe "die Dinge" gut verarbeitet, sagt Manfred Haferburg über sich selbst. Die Dinge, das waren Bespitzelung durch die Staatssicherheit, Verrat, sogar des besten Freundes, und viele Monate Haft, darunter in Höhenschönhausen, dem berüchtigten Stasi-Gefängnis in Ost-Berlin. Verarbeitet und für die Nachwelt aufgearbeitet hat Haferburg die traumatischen Erlebnisse auch in seinem autobiografischen Roman "Wohn-haft". Am Dienstag liest er im Siebengebirgsgymnasium.

 Manfred Haferburg (r.) auf seinem Boot in Frankreich mit Wolf Biermann, der das Vorwort zu Haferburgs Roman "Wohn-haft" geschrieben hat.

Manfred Haferburg (r.) auf seinem Boot in Frankreich mit Wolf Biermann, der das Vorwort zu Haferburgs Roman "Wohn-haft" geschrieben hat.

Foto: Manfred Haferburg

Wie viel Manfred Haferburg steckt in Manni Gerstenschloss, der Hauptperson Ihres Romanes?
Manfred Haferburg: Alle Szenen, die sich um Manni drehen, sind weitestgehend autobiografisch. Das geht bis hin zu Auszügen aus Dokumenten aus meinen Stasi-Akten - inklusive der darin gemachten Rechtschreibfehler.

Was war für Sie schwerer zu ertragen: Die Haft selbst oder sich anhand der Akten des Verrats Schwarz auf Weiß bewusst zu werden? Haferburg: Natürlich sind die Erfahrungen der Haft sehr viel dramatischer, einschneidender, für ein ganzes Leben. Zugleich sind die Stasi-Akten ein Gruselkabinett der deutschen Sprache, sie stehen für das DDR-Regime, für seine ganze Menschenverachtung. Das wird einem bei ihrem Studium erneut vor Augen geführt.

Was macht es mit einem Menschen, wenn er feststellen muss, dass selbst der beste Freund ein IM war?
Haferburg: Man lernt, dass Vertrauen ein Vorschuss ist, den man gibt, der aber nicht immer zurückgezahlt wird. Ich habe später mit allen "meinen" 30 Spitzeln Kontakt aufgenommen. Aber niemand von ihnen war bereit, mir zu vergeben.

Ihnen zu vergeben? War es nicht vielmehr an Manfred Haferburg, zu vergeben?
Haferburg: Sicher. Aber das menschliche Gehirn funktioniert so, dass, wer anderen etwas Böses antut, eine Schuld konstruiert desjenigen, dem er etwas antut. Warum, das wollte ich herausfinden: Warum hat mich mein Freund bespitzelt und der Stasi ausgeliefert, warum haben es die anderen getan? Der erste hatte vielleicht Angst, der zweite eine Profilneurose, fühlte sich bedeutender, weil die Staatsmacht ihn "brauchte", der dritte erhoffte sich einen kleinen Vorteil - jeder hat sich etwas konstruiert. Und mir nie vergeben, dass das, was er sich konstruiert hat, mit der Realität konfrontiert wurde.

Im Mai 1989 wurden sie auf der Flucht gefasst und inhaftiert, ihre Frau schaffte es in den Westen. Auch den 9. November 1989 haben Sie hinter Gittern verbracht. Als dann eine Woche nach Ihrer Entlassung die Mauer fiel, was fühlten sie gegenüber den Menschen, die auf die Straße gegangen waren?
Haferburg: Nun ja, für jede Minute, die ich früher im Westen war, habe ich einen Tag im Knast verbracht. Aber wenn niemand aufgestanden wäre, dann wäre vielleicht eingetreten, was der "liebe" Generalsekretär Honecker gesagt hat: Dass die Mauer noch 50 oder 100 Jahre steht. Ich will die Leistung der Menschen, die dazu beigetragen haben, dass es nicht so gekommen ist, wahrlich nicht schmälern. Zugleich gilt: Die DDR war pleite, es gab nichts mehr, für das es sich als Staatsmacht zu kämpfen gelohnt hätte. Der ganze Ostblock ist zusammengeklappt wie ein Kartenhaus.

Gab es Momente während Ihrer Haft, in denen Sie die Hoffnung verloren hatten?
Haferburg: Die gab es. Am einschneidendsten war eine Situation in Höhenschonhausen. Ich war mit einem jungen Kerl inhaftiert, der angeschossen wurde und sich in einem Schockzustand befand. Ich habe versucht, die Wachen zu überzeugen, einen Arzt zu holen. Als sie das verweigerten, wollte ich die Tür eintreten, bin auf den Wachmann losgegangen. Ich, der ich nie einen Menschen angreifen würde. Ich habe mich selbst nicht erkannt. Und dann der Moment, als die Waffe auf mich gerichtet war und ich dachte, man erschießt mich. Das wünscht man niemandem.

Sie leben heute in Paris. War es Ihnen wichtig, eine Außensicht auf Deutschland zu bekommen?
Haferburg: Ich habe noch zehn Jahre in Deutschland gelebt. Aber es ist dieses klassische Dilemma: Entweder, man bestraft Täter mit aller Härte. Oder man lässt es, wie wir es gemacht haben, und dann kriechen sie nach einem halben Jahr aus ihren Löchern und machen weiter, als wäre nichts gewesen. Ich habe es vorgezogen, zu den lebenslustigen Franzosen zu ziehen. So brauche ich mich nicht zu ärgern über die, die feixen oder über ihre "Es war nicht alles schlecht in der DDR"-Propaganda.

Wie wichtig ist Ihnen, die junge Generation zu erreichen?
Haferburg: Das Buch ist geschrieben gerade für die jungen Leute, zumal so eine kleine Ostalgisierung um sich greift. Man kann die Dinge wissenschaftlich untersuchen, lange Abhandlungen darüber schreiben. Aber damit erreicht man junge Leute nicht. Ein Roman kann dies weit besser, er emotionalisiert, macht aus Fakten Faktenketten, verbindet die Erfahrungen mehrerer Personen zu einer Figur. Das erreicht die Jugend besser, das merke ich auch immer bei meinem Lesungen. Und dann ist der Roman auch meine süße, kleine Rache an den Biedermännern, die heute im Bundestag sitzen oder sonst wo, um ihnen die Maske vom Gesicht zu reißen.

Einige Kapitel Ihres Buches spielen in Bad Honnef. Wie kam es dazu?
Haferburg: Ich habe von Oktober 1989 bis Sommer 1990 in Bad Honnef gelebt. Meine Frau war hierher gezogen, als ich inhaftiert war, hat von hier aus versucht, mir zu helfen. Mit Hilfe anderer: Wir haben hier gute Freunde gewonnen. Und meine Mutter lebt nach wie vor in Bad Honnef, darum bin auch ich recht häufig in der Stadt.

Die Lesung von Konrad-Adenauer-Stiftung, Siebengebirgsgymnasium und Buchhandlung Werber ist am Dienstag, 26. August, 19 Uhr, in der Sibi-Aula. Eintritt: frei.

Zur Person

Manfred Haferburg, 1948 im Osten Deutschlands geboren, wuchs in Sachsen-Anhalt auf. Er studierte in Dresden Kernenergetik und arbeitete im Atomkraftwerk Greifswald. Wegen seiner Weigerung, der SED beizutreten und Spitzel der Stasi zu werden, geriet er ins Visier der Staatssicherheit. Er durchlebte viele Monate Haft in verschiedenen Gefängnissen in Tschechien und in dem Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen. Nach seiner Odyssee strandete er in Bad Honnef. Der Autor lebt heute in Paris und arbeitet für eine internationale Organisation in Frankreich auf dem Gebiet nukleare Sicherheit in Kernkraftwerken überall auf der Welt. Manfred Haferburg verarbeitet seine Erlebnisse in seinem autobiographischen Roman "Wohn-Haft".

Er wechselt die Perspektiven, schildert facettenreich das private Leben der Spitzel und ihrer Führungsoffiziere, ihre Motivation, ihre Gefühle, ihre Denkweise und sogar ihre Sorgen. So taucht der Leser in ein komplexes Beziehungsgeflecht ein, in dem zu Staatsfeinden erklärte Menschen systematisch "zersetzt" und Spitzel auf Spitzel angesetzt werden. Das Vorwort stammt von dem Liedermacher und Kritiker der DDR-Parteidiktatur Wolf Biermann.

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