Seniorenresidenz startet Ausbildungsoffensive „Dieser Beruf hat wenig Lobby“

Bad Honnef · Der Begriff Pflegenotstand ist in aller Munde. Neue Wege geht das Team der Parkresidenz in Bad Honnef bei der Suche nach Nachwuchskräften. Mit dem Geschäftsführer der Seniorenresidenz, Guido Bierbaum, sprach Claudia Sülzen.

 Ein Beruf mit Herz: Beatrice Intreß, hier mit Günter Peiffer, ist Pflegeassistentin und absolviert die Ausbildung zur Pflegefachkraft.

Ein Beruf mit Herz: Beatrice Intreß, hier mit Günter Peiffer, ist Pflegeassistentin und absolviert die Ausbildung zur Pflegefachkraft.

Foto: Frank Homann

Der Begriff Pflegenotstand ist allgegenwärtig. Trifft er zu?
Guido Bierbaum: Wir wissen doch schon seit Jahren, dass wir in Deutschland viel zu wenig Pflegefachkräfte haben und mittlerweile auch zu wenig Pflegehilfskräfte akquirieren können. Die Zahl von Tausenden fehlenden Fachkräften steigt stetig. Hinzu kommt, dass es schwer ist, Auszubildende zu finden. Ein Grund dafür ist sicherlich, dass dieser Beruf nicht so attraktiv dargestellt wird, wie er eigentlich ist, und wenig Lobby hat.

Woran machen Sie das fest?
Bierbaum: Das öffentliche Bild ist geprägt durch negative Berichterstattung. Egal, wo und was man liest oder hört, 'Only bad news are good news'. Für Einzelfälle, die natürlich schlimm und kriminell sind, wird eine ganze Branche verantwortlich gemacht. Ich denke, auch die Branche trägt das Ihrige selbst dazu bei, das Bild des Altenpflegeberufs ins Negative zu rücken. Sehr oft hören wir von Pflegekräften Aussagen über schlechte Bezahlung, zu viel Arbeit, Schichtbetrieb, Wochenenddienste und die Tätigkeit werde nicht wertgeschätzt. Ob diese Aussagen zu Recht oder zu Unrecht ausgesprochen werden, sei mal dahingestellt. Aber wenn schon die Pflegekräfte sich ständig über ihren Beruf beschweren, wie will man junge Menschen überzeugen, ihn zu ergreifen? Ich möchte die Klagenden nicht kritisieren, weil die Situation je nach Einrichtung durchaus zu beklagen ist. In der Parkresidenz gehen wir andere Wege. Wir machen viel, aber auch nur, weil wir es tun können.

Was bedeutet?
Bierbaum: Ein wichtiger Punkt ist, dass wir auf Pflegesatzverhandlungen mit den Kostenträgern verzichten. Somit lassen wir uns nicht vorgeben, wie viel Personal wir vorhalten und refinanzieren können. Es ist der einzige Weg, leistungsgerechte Gehälter zu zahlen und genug Personal zur Verfügung zu stellen. Wir reden über ein Verhältnis von einer Pflegekraft für 1,7 Bewohner, das wäre mit den Pflegekassen nicht verhandelbar. Aber so haben Pflegekräfte mehr Zeit für die Bewohner. Andererseits, das darf man nicht verschweigen, bedeutet das für die Bewohner eine höhere finanzielle Belastung.

Der Fehler liegt im System?
Bierbaum: Wenn Sie so wollen, ja. Denn was fordert die Politik? Pflegekräfte sollen genug verdienen, was ja auch absolut richtig ist. Möglichst keine Teilzeitarbeit. Nicht realisierbar. Und es braucht Nachwuchs, das ist richtig. Aber es wird nicht darüber nachgedacht, welches Stellenverhältnis pro Bewohner ist denn ausreichend? Wo soll Nachwuchs herkommen? Ausschließlich ein höherer Verdienst macht einen Beruf nicht attraktiv, wenn die gut bezahlte Pflegekraft 20 Bewohner am Morgen versorgen muss oder nachts alleine für 60 Menschen verantwortlich ist. Der Schlüssel liegt meines Erachtens genau in diesen Arbeitsbedingungen. Und hier sind wiederum die Pflegekassen als Verhandlungspartner im Spiel. Wenn ich andernorts mit Pflegekräften rede, höre ich nicht selten Wechselwünsche heraus, doch das Ergebnis lautet oft: Ich kann doch meine Senioren nicht verlassen. Das zeigt: Da ist jemand mit Herzblut bei der Sache. Aber das System führt diesen Menschen an Belastungsgrenzen und fördert Selbstausbeutung. Das darf nicht sein. Die pflegesatzverhandelnde Einrichtung trifft wenig Schuld, die Margen, wenn sie überhaupt verhandelt wurden, sind nicht üppig.

Und die Fachkraftgewinnung?
Bierbaum: Da hieß es vor ein paar Jahren, Ein-Euro-Jobber sollen es richten, und heute sollen Flüchtlinge die Lücken füllen, ohne dass persönliche Eignung hinterfragt wird. Grundlegend kritisiere ich nicht diese Personengruppen, aber solche Äußerungen von Spitzenpolitikern zeugen von gedankenloser Ratlosigkeit und diffamieren diesen wunderbaren Beruf. Denn zugleich ist ein Realschulabschluss absolute Bedingung für eine Ausbildung als examinierte Altenpflegekraft. Das widerspricht sich doch alles und demotiviert jeden, der in der Altenhilfe tätig ist oder zukünftig tätig sein möchte.

Welche Idee steckt hinter Ihrer Ausbildungsoffensive?
Bierbaum: Die Fragen sind: Wie erkennen und gewinnen wir die jungen Menschen, die den Beruf erlernen wollen, die aber viel zu wenig wissen, was den Beruf ausmacht. Wie können wir gemeinsam mit den Bewerbern herausfinden, ob sie für diesen Beruf geeignet sind ? Wie können wir einen finanziellen Anreiz setzen?

Ihr Konzept ist neu?
Bierbaum: Nicht unbedingt. Es ist so aufgebaut, dass wir den Menschen, der sich für den Beruf interessiert, erst einmal kennenlernen. Das machen wir innerhalb eines verpflichtenden Praktikums. Ist die Basiseignung vorhanden, stellen wir den Praktikanten als Pflegeassistenten befristet für maximal ein Jahr ein. In dieser Zeit müssen vorgegebene Fortbildungen absolviert werden. Danach kann sie oder er entscheiden: Will ich weiter Pflegehilfskraft bleiben oder möchte ich eine Ausbildung zur Pflegefachkraft machen?

Und der finanzielle Anreiz?
Bierbaum: Jetzt kommt der Schritt, bei dem die Arbeitsagentur dabei ist. Im Moment gibt es das Förderprogramm „Wegebau“, das den Auszubildenden ermöglicht, eine Ausbildung zur Pflegefachkraft ohne finanzielle Einbußen, bei gleichem Gehalt zu absolvieren. Die Personalkosten werden hälftig von der Agentur für Arbeit übernommen, ein weiterer großer Anteil wird durch die Altenpflegeumlage gedeckt. Die verbleibenden Kosten sind sehr gering und lohnen sich als Investition. Das Förderprogramm ist bis Ende 2017 befristet, doch wir haben begründete Hoffnung auf Verlängerung.

Was macht den Beruf für Sie aus?
Bierbaum: Ich komme selber aus der Pflege und habe diesem Beruf immer sehr viel abgewinnen können, weil so viel Unbezahlbares dabei ist, das Lächeln der Menschen, die Wertschätzung, der Dank, den man von den Bewohnern bekommt. Als Pflegekraft trete ich so nah in die Privatsphäre dieser Menschen und begleite sie ein ganzes Stück ihres Lebens. Und das ist in dem Moment auch ein Stück meines Lebens, mit viel gegenseitigem Vertrauen. Daher verstehe ich, wenn jemand sagt, „ich kann doch meine Bewohner nicht im Stich lassen“. Darüber wird viel zu wenig geredet, es macht diesen wundervollen Beruf aber zu etwas ganz Besonderem.

Was sollten Bewerber mitbringen?
Bierbaum: Ein ganz großes Herz mit Empathie, das ist das Wichtigste. Dabei muss von Beginn an klar sein, dass die Begleitung dieser Menschen auch an Wochenenden und Feiertagen rund um die Uhr nötig ist.

Was erhoffen Sie sich jetzt?
Bierbaum: Momentan haben wir vier von zehn Ausbildungsplätzen besetzt. Unser Ziel ist es, die freien Ausbildungsplätze in den nächsten zwei, drei Jahren zu besetzen.

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