Interview mit Konflikttrainer Ralf Bongartz "Angreifer nie aus den Augen verlieren"

SIEBENGEBIRGE · Ralf Bongartz aus Unkel arbeitet als Konflikttrainer. Am Dienstag ist er im Siebengebirgsgymnasium zu Gast.

 Programme wie an der Konrad-Adenauer-Schule zeigen Schülern, wie sie auf Angriffe richtig reagieren. (Archiv)

Programme wie an der Konrad-Adenauer-Schule zeigen Schülern, wie sie auf Angriffe richtig reagieren. (Archiv)

Foto: Frank Homann

Für die Polizei hat Ralf Bongartz 20 Jahre lang Gewaltdelikte aufgeklärt. Mittlerweile gibt der 52-Jährige aus Unkel Seminare als Trainer für Konfliktmanagement und hat über seine Erfahrungen das Buch "Nutze deine Angst" geschrieben. Morgen hält er dazu einen kostenlosen Vortrag zum Thema "Gewalt im öffentlichen Raum" im Siebengebirgsgymnasium (19.30 Uhr). Wie Gewalttäter ihre Opfer auswählen und was man tun kann, um heikle Situationen zu entschärfen, darüber sprach Philipp Königs mit ihm.

Herr Bongartz, erinnern Sie sich an eine Extermsituation, in der Sie selbst falsch reagiert haben?
Ralf Bongartz: Als junger Polizist in Zivil beobachtete ich eine Schlägerei am Bonner Hauptbahnhof. Ich bin direkt rein, habe die Täter angebrüllt und wollte die Täter vertreiben. Die Situation eskalierte. Einer der drei Angreifer zog plötzlich eine Schusswaffe. Ich habe im Nachhinein gedacht, ich hätte erklären müssen, dass ich Polizist bin.

Sie sind damals als Helfer aufgetreten. Wie reagiert ein Jugendlicher, der in der Bahn sitzt und selbst von einer Gruppe angepöbelt wird?
Bongartz: Er wird entweder selbst aggressiv oder er versucht unsichtbar zu werden und so zu tun, als sei er nicht gemeint. Das ist die Automatik, die die Erwartungen der Täter erfüllt. Ganz wenige haben eine starke Autorität und Präsenz und können in solchen Situationen ihre Wut oder Angst kontrollieren und etwas tun, dass die Täter nicht andocken können, also zum Beispiel die Pöbelei links liegen lassen. Das Problem ist, dass sich solche Horden meistens Jungs suchen, die schwach wirken oder unsicher, also den, der sich eigentlich am liebsten unsichtbar machen möchte.

Wie sollte so ein Opfer sich verhalten?
Bongartz: In diesem Fall rate ich dazu, taktische Teams zu bilden: Wegsetzen, Leute ansprechen, die mit in der Bahn fahren. Laut werten oder verrückt spielen ist auch ein gutes Mittel. Es geht darum, denen zu zeigen, dass man nicht so einfach zu kontrollieren ist und daher keine leichte Beute ist. In vielen Fällen reicht das schon aus. Sind die Täter sehr nahe, kann man sagen: Haut ab, ich habe mir eurer Aggression nichts zu tun. Oder man stellt Fragen: "Was tue ich, dass Sie mich bedrohen lässt? Sagen Sie mir, was genau mache ich falsch?" Wenn das Gegenüber über die Frage nachdenkt, ist das Angriffsmuster bereits unterbrochen. Das erzeugt Überraschung. Wichtig ist dann aber der Augenkontakt und - wenn möglich - die Stirn dabei etwas nach vorne legen.

Das sind viele Details, deren Umsetzung dürfte in einer Extremsituation ziemlich schwierig werden?
Bongartz: Es gibt keinen Trick dahinter. Solche Abfolgen kann man aber trainieren. Und es ist durchaus möglich, sich gedanklich damit auseinander zu setzen, was in einer Extremsituation zu tun ist.

Sie sprachen es eben an: Der sich unsichtbar machen will, fällt als erstes auf. Wie kommt das?
Bongartz: Oft haben die Täter selbst Gewalt im Elternhaus erlebt. Sie haben feine Antennen für die Situation und erkennen sofort, wer ein gutes Opfer wäre.

Gibt es denn Möglichkeiten, aus dieser Opferrolle herauszukommen?
Bongartz: Man sollte sich nicht kleinmachen, nicht auf den Boden schauen. Ich rate dazu, auf Augenhöhe zu bleiben. Blicke ignorieren ist in Ordnung, aber niemand sollte den Fehler machen, potenzielle Angreifer ganz aus den Augen zu verlieren.

Kann man noch andere Fehler machen, die zu einer Eskalation führen?
Bongartz: Ja, wenn man beispielsweise eingreift und andere schützt oder sich selbst und zusätzlich auch noch dafür sorgen will, dass die Täter vor Ort bleiben, bis die Polizei vor Ort ist, geht einen Schritt zu weit. Hier geht Prävention vor Repression. Man sollte niemanden daran hindern, den Tatort zu verlassen, denn schwierig wird es, wenn dem Täter kein Fluchtweg offen bleibt. Diesen Fehler hat Dominik Brunner begangen, der in Solln totgeprügelt wurde, als er versuchte, Jugendlichen zu helfen. Er hat 98 Prozent richtig gemacht, aber er hat erstens einen Angreifer geschlagen und ihnen zweitens keinen Ausweg gelassen, weil er sie stellen wollte.

Wie kann das besser laufen?
Bongartz: Wie gesagt, man sollte sich radikal auf Schutz einstellen und nicht auf Strafverfolgung. Dann ist es besser, sich möglichst viel über die Täter zu merken und sich sofort Notizen zu machen. Ein anderes gutes Beispiel ist die Aktion eines jungen Mädchens in München. Auf der Isar-Brücke in München ist es mal zu einer Prügelei gekommen. Eine 15-Jährige hatte das mitbekommen, ist in die Situation hineingesprungen und hat den Kopf des Opfers auf ihren Schoss gehoben und sich zum Schutz über das Opfer gebeugt. Die anderen waren so überrascht, dass sie letztlich von dem Mann abgewichen sind.

Es scheint manchmal so, als würden Gewalttäter härter und brutaler zuschlagen als in früheren Zeiten. Können Sie das bestätigen?
Bongartz: Das mag ein Eindruck sein, der von der Statistik aber nicht gedeckt ist. Seit 1973 ist die Zahl der Gewaltdelikte - bis auf Gewalt gegen Polizisten - immer zurückgegangen. Das gilt auch für Gewalt an Schulen. Die Menschen lassen sich heute einfach nicht mehr so viel gefallen. Die Opfer treten heutzutage offen auf, es gibt Deeskalationstrainingskurse, Familienhilfen und andere Hilfsinstitutionen, eine gute Tendenz. Ich will aber nichts beschönigen. Tatsache ist, Gewalt findet statt.

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