Sommerakademie im Physikzentrum Bad Honnef Hochbegabte rennen als Higgs-Feld über die Wiese

Bad Honnef · 83 hochbegabte Oberstufenschüler knöpfen sich im Rahmen der Sommerakademie im Bad Honnefer Physikzentrum wissenschaftliche Probleme vor. Dabei geht vom Higgs-Feld bis an die fiktive Börse.

 Bei diesem Experiment gegen die Schüler der Frage nach, wie wie OLED-Handydisplays funktionieren.

Bei diesem Experiment gegen die Schüler der Frage nach, wie wie OLED-Handydisplays funktionieren.

Foto: Frank Homann

Eigentlich, so lautete ihr Rechercheauftrag, sollten sie gerade die Funktionsweise des Teilchenbeschleunigers am Cern nachschlagen. Stattdessen aber ist die Google-Suche allmählich ins Reich wilder Verschwörungstheorien abgedriftet. Wie genau sie vom Stichwort „Kritik“ zur „Wahrheit übers Cern“ gelangten, wissen Eva und Katharina selbst nicht mehr so genau – aber was sie im Zuge dessen auf allerlei dubiosen Blogs entdecken, klingt einfach zu kurios, um wegzuklicken: Dass am Cern dem Gott Shiva geopfert werde.

Theatralisch liest Katharina eine Auswahl apokalyptischer Szenarien vor, Eva muss laut loslachen. Dass Cern-Mitarbeiter das Wetter manipulierten, die Menschheit umprogrammieren wollten. Nicht zu vergessen: der berüchtigte Cern-Marder, der im November 2016 den Beschleuniger lahmgelegt habe, indem er ein 18 000-Volt-Kabel durchbiss. Immerhin: Zumindest diese letzte Geschichte ist wahr.

"Wir rennen als Higgs-Feld über die Wiese"

Die Laptops gezückt, haben sich die 13 Schüler der Arbeitsgruppe Physik im Auditorium verstreut. Gemeinsam mit ihrem Dozenten Markus Jonaßon wollen sie in dieser Woche Atommodelle erörtern, angefangen bei Demokrit bis hin zum modernen Orbitalmodell, wollen die Grundzüge der Quantenmechanik lernen und zum Schluss vielleicht noch einen Exkurs in die String-Theorie wagen. Auf der Wiese im Hof haben sie schon den Higgs-Mechanismus nachgestellt: Leichtere Teilchen wechselwirken weniger mit dem Higgs-Feld als schwerere. Soll heißen: „Wir rennen als Higgs-Feld über die Wiese, halten manche auf und andere nicht.“

Das mag banal klingen, doch anschaulicher lässt sich die Theorie kaum erläutern. Genau darum, um die Synthese von anspruchsvoller Theorie, praktischem Arbeiten und nicht zuletzt einer Menge Spaß, geht es bei der Sommerakademie, die jährlich von der Hochbegabtenstiftung der Kreissparkasse Köln ausgerichtet wird. Zehn Tage lang, von Freitag bis Sonntag, findet sie im Honnefer Physikzentrum statt. Dass sie Probleme schon immer ein wenig anders angingen als ihre Klassenkameraden, ein Faible fürs analytische Denken hatten, merkten Eva und Katharina schon früh. „Oft haben andere meine Wortwitze nicht verstanden, weil ich um drei Ecken zu viel gedacht habe“, meint Eva. Sie ist 17 Jahre alt, besucht das Werner-Heisenberg-Gymnasium in Leverkusen; Katharina, 16, geht in eine Hochbegabtenklasse am CJD in Königswinter.

„Es ist toll zu sehen: Wenn jemand hier ein Argument bringt, dann wird darauf tatsächlich eingegangen“, schwärmt Eva. „In der Schule zu diskutieren ist grauenvoll, da wird nur eine Pro-Contra-Liste abgearbeitet.“ Schon immer, offenbart Katharina, sei das Interesse für die Physik da gewesen. „Vor allem, wenn du überhaupt keine gläubige Person bist. Dann fragst du dich schon, wo alles herkommt. Ich wusste schon bei meiner Kommunion, dass Religion nichts für mich ist, dass die Antwort nicht so simpel sein kann.“ Aber nun genug geplaudert, weiter mit der Recherche.

Geprobt wird fiktiver Börsenhandel

Abseits der Arbeitsgruppen bestimmt die „Best Brokers“-App das Tagesgeschehen im Physikzentrum. Ein kostenloses Simulationsspiel, geprobt wird fiktiver Börsenhandel. Morgens beim Frühstück sind die Deals des Vortages Gesprächsthema, mittags werden Aktien gekauft und verkauft, abends die Gewinne verglichen. Jeder hat 25 000 Dollar fiktives Startkapital zur Verfügung, und wer am meisten erwirtschaftet, darf snacken. Mal winkt eine Packung Mentos als Gewinn, mal ein paar Snickers. In Umlauf gebracht haben das Spiel die 15 Nachwuchs-Broker der Arbeitsgruppe Ökonomie, mittlerweile machen auch Schüler aus anderen Fachbereichen mit.

Zu Beginn war Siri, 17, überwältigt. „Vom Börsenhandel hatte ich keine Ahnung. Ich habe einfach in irgendwelche großen Namen investiert, 500 Dollar in 20 Aktien gepumpt und gehofft, dass sich der Rest von selbst erledigt.“ Tat er aber natürlich nicht. Mittlerweile hat die 17-Jährige gelernt, strategischer vorzugehen, geschickt zu investieren. „Lieber mehr Geld in wenige Aktien stecken“, verrät sie, „und ankaufen, wenn der Kurs gerade niedrig ist.“ Aktuell setzt sie viel auf die United Health Group in den USA.

Nachrichten von Jugendlichen für Jugendliche

Dax-Aktien besitzt sie keine mehr – alle verkauft, nicht rentabel genug. Wenn sie nicht am Tablet die aktuellen Aktienkurse verfolgt, übt sie Vokabeln. Der Unterricht findet auf Englisch statt, und Schulenglisch hilft hier nicht weiter: Was sind noch mal „stocks“, „bonds“, was ist eine „cryptocurrency“, was eine „economic bubble“? Wirtschaft, findet Siri, sollte an Schulen präsenter sein. Zu selten nur habe der Unterricht Bezüge zum Lebensalltag: „Wir lernen, was für Probleme es gibt. Aber nicht, wie wir sie praktisch bewältigen.“ Deshalb fasziniert sie Brückenschlag zwischen Ökonomie, Psychologie und Politik, den Gruppen-Dozent Achim Werner leistet. Siri träumt vom eigenen Business, gestaltet seit Wochen eine eigene App. „Paul-SZ“ soll sie heißen – angelehnt an die Schülerzeitung für das Overather Paul-Klee-Gymnasium, die sie mit herausgab.

„Aber die Zeitung war Print, zu teuer, die hat niemand gekauft.“ Und mit Enthusiasmus fügt sie an: „Die App ist digital, kostenlos, ohne Schranken.“ Ihre Augen leuchten. Ihr Ziel: Nachrichten von Jugendlichen für Jugendliche; eine Redaktion aus Kommilitonen befindet sich im Aufbau. Und die täglichen Abendvorträge an der Sommerakademie nutzt sie schon jetzt, um Interviewanfragen an die Gastredner zu stellen. Früh, das lernen die Ökonomen hier, übt sich.

Chemie ist hier Frauensache

Raus aus dem Physikzentrum, hinüber ins Chemielabor des Siebengebirgsgymnasiums. Was sie vom Klischee halte, Naturwissenschaften seien nur etwas für Männer? „Ha“, sagt Paula, 18 Jahre alt, und lacht. „Gar nichts halte ich davon.“ Klar, es gebe männerdominierte Fächer, die man Frauen noch schmackhaft machen müsse. Informatik etwa, Elektrotechnik. „Aber das liegt nicht daran, dass sie nicht können, sondern daran, dass die Lehrer weder begeistern noch motivieren können. Natürlich können Frauen, wenn sie wollen. Sieht man ja.“

Tatsächlich sind unter den 83 Teilnehmern der diesjährigen Akademie, die 26. Ausgabe seit 1999, auffallend viele Frauen. Chemie? Ist hier Frauensache. In der Gruppe, an der auch Paula teilnimmt, beträgt das Frauen-Männer-Verhältnis zwei zu eins.

Einmal Wissenschaftler, immer Wissenschaftler

Unter der Leitung von Jürgen Bruns, Chemielehrer am Sibi, untersuchen die Forscherinnen alle Facetten der Nanotechnologie sowie die dahinterliegende Theorie. Sie demonstrieren den Lotus-Effekt, den Gecko-Effekt und auch den weniger bekannten Salvinia-Effekt. Mit Nährboden und Mundabstrich beweisen sie, dass Silberpartikel tatsächlich antibakteriell wirken. Einen Föhn in der Hand, schmelzen sie Formgedächtnismaterialien, etwa Polystyrol-Becher, und formen sie zu Eierbechern um. Sie untersuchen Ferrofluide, magnetische Flüssigkeiten, die in der Krebstherapie Anwendung finden. Und nicht zuletzt demonstrieren sie in einem groß angelegten Experiment, wie OLED-Handydisplays funktionieren, tragen dazu mit einem umfunktionierten PC-Lüfter leitfähige Farbflüssigkeit auf Glasplättchen auf. Hauptsache, möglichst dünn, in Nanogröße eben.

„Ich kann hier viel, viel freier denken als in der Schule“, lobt Paula. Später kann sie sich ein Studium der Molekularbiologie vorstellen. Gerade deshalb sei es so wichtig, dass man wissenschaftliches Arbeiten lerne statt stumpf Schulaufgaben abzuarbeiten. Ob sie da nicht ein wenig anders ticke als ihre Klassenkameraden? „Vielleicht schon“, meint sie nur – und fasst ihre Erfahrungen mit der Sommerakademie mit einer beispielhaften Anekdote zusammen. „Wenn wir hier zusammen eine Runde 'Wer bin ich' spielen, möchte ich nicht der Fragesteller sein. Du fragst 'Bin ich beliebt?' und wir antworten: 'Ne, das ist mir jetzt zu subjektiv' oder 'Dafür brauche ich erst mal eine Definition'.“ Einmal Wissenschaftler, immer Wissenschaftler. So ist es unter Gleichgesinnten.

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