Vortrag über ein Jahrtausendhochwasser 1784 brach die Eisflut über Rheinorte im Siebengebirge herein

SIEBENGEBIRGE · Ein Vulkanausbruch in Island löst 1784 eine Naturkatastrophe aus: Erst sucht ein extremer Winter Europa heim, dann ein verheerendes Hochwasser, das am Rhein ganze Dörfer und Städte wegfegt. Ein Fachmann ist auf Spurensuche gegangen.

So hoch stand der Rhein 1784: Heimatvereinschef Herbert Bracht unter der Tafel, die drei Meter hoch an der Niederdollendorfer Kirche angebracht ist.

So hoch stand der Rhein 1784: Heimatvereinschef Herbert Bracht unter der Tafel, die drei Meter hoch an der Niederdollendorfer Kirche angebracht ist.

Foto: Frank Homann

„Zu Niederdollendorf an dem Reyn sind auch sieben Häuser umbgetrieben worden von dem Eyss und Wasser; es hat in allen Häusern gestanden, dass sie alle genötigt waren, daraus zu laufen, zu uns nach Oberdollendorf zu kommen, schreckbar ist es anzusehen gewesen mit Mann und Weib und Kinder.“ So beschreibt der Schneider Wallraf Hoitz aus Oberdollendorf das Geschehen von 1784 in seinem Tagebuch. Mit dem Eishochwasser, einer der größten Naturkatastrophen der vergangenen drei Jahrhunderte im Rheinland, beschäftigte sich der Vortrag von Manfred Spata auf Einladung der Heimatfreunde Niederdollendorf.

Der Geodät, von 1974 bis 2007 Dezernent für Lage- und Höhensysteme im Landesvermessungsamt NRW in Münster und Bad Godesberg, hat dazu ein Buch verfasst und konnte bei seinen Forschungen auf Augenzeugenberichte zurückgreifen. „Ursache des extrem kalten Winters 1783/84 und damit auch des Eishochwassers im Februar 1784 war der Ausbruch des isländischen Vulkans Laki“, so Spata. „Er begann am 8. Juni 1873 mit etwa tausend Meter hohen Lavasäulen und dauerte etwa acht Monate.“

Die Asche verdunkelt den Himmel

Mit verheerenden Folgen für Island und fast ganz Europa. Die Aschewolken verdunkelten über mehrere Jahre hinweg die Atmosphäre, die Sommer waren kurz. Es gab Missernten. Ab September 1783 setzten schwere Regenfälle und Unwetter ein. Die Kälte begann im Dezember, fast alle Gewässer in Mitteleuropa froren zu. Nach einer kurzen Erwärmung zu Weihnachten fielen die Temperaturen erneut. Mitte Januar wurde diese Phase von milderen Temperaturen unterbrochen, sodass sich Eisschollen auftürmten.

Der Rhein war seit dem 25. Januar zugefroren. Zu Fuß, mit Schlitten, Karren und Wagen überquerten ihn die Menschen. Selbst Kurfürst Maximilian Friedrich war auf dem Eis, berichtete Manfred Spata. Wein, Branntwein und Weck wurden auf dem Rhein verkauft. Dann die nächste Katastrophe: Am Aschermittwoch, 25. Februar, nachmittags brach das Eis: „Die Flut muss plötzlich gekommen sein. Am 26. und 27. Februar sank das Wasser, da kam die zweite Flutwelle, eine ganze Woche lang.“

Überlieferungen von Zeitzeugen

Der Oberdollendorfer Wallraf Hoitz schrieb: „Anno 1784 den 27. Januarius ist der Reyn zugefroren, dass sie darüber zu Bonn gegangen seyn und die Woch ist so kalt gewesen, daß der Reyn so voll Eyss kommen ist, dass es sich vor einanter gesatzt hat von Bonn bis nach Königswinder; seint sie zu Niederdollendorf darüber gangen und auch zu Königswinder den 1ten Februarius; den 25tens ist das Eyss losgebrochen, zu Cöllen ist es noch fest gestanden und das Wasser ist so hoch worden den 26ten Februarius, daß es an dem Frohnhof und ist immer gewachsen die Nacht, daß es in die Berggassen gestanden hat.“

Zeitzeugen berichteten von „Getöße“, von durch Fenster und Türen hereinbrechendem Wasser, von einstürzenden und forttreibenden Häusern, von zerstörten Obstbäumen und weggeschwemmtem Acker- und Wiesenland. Die Eisschollen lagen noch bis Mai auf den Feldern und machten die Frühjahrsbestellung unmöglich. Der Kurfürst und Erzbischof von Köln sowie der Kurfürst der Rheinpfalz und Herzog von Berg setzten Edikte zur Schadensregelung auf. Spenden wurden für die Opfer im gesamten Bistum gesammelt.

Hochwassermarken erinnern an die Ereignisse

Spata zeigte auch, wie Künstler das Ereignis verarbeiteten: Die Kopie eines seit dem Zweiten Weltkrieg verschollenen Gemäldes von Rousseau zeigt das überflutete Beueler Ufer, mit schwimmenden Häusern und einem Nachen, deren Besatzung eine Person aus dem Wasser zu retten versucht. Auch Hochwassermarken erinnern an das Geschehen, wie die Plakette an der Niederdollendorfer Pfarrkirche, die von den Heimatfreunden in rund drei Metern Höhe angebracht wurde – bei 58,6 Metern über Normal Null. „Ganz korrekt“, so Manfred Spata: Azubis seines früheren Amtes hatten die Messungen vorgenommen. Der Rheinpegel Bonn lag 1784 bei 14,23 Metern. Die Kirche Sankt Michael musste nach der Eisflut neu gebaut werden.

Man habe gelernt, mit den Gefahren des Rheinstroms zu leben, so Spata. Aber es bleibe die Erkenntnis, dass extreme Hochwasser naturgegeben und unausweichlich sind. Eigentlich dürfte am Rhein keine Siedlung sein. „Die Römer haben bewusst an der heutigen Römerstraße gebaut. Die wollten keine nassen Füße haben.“ Heute entstünden immer neue Baugebiete in Flussnähe. „Da kann man nur den Kopf schütteln.“

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