Karneval im Rheinland Ohne Ostern kein Fastelovend

Die LVR-Volkskundlerin Dagmar Hänel erzählt über das rheinische Hauptfest und dessen historischen und kirchlichen Hintergrund. Im ersten Kölner Zoch 1823 gingen die roten Funken schon vorweg.

Die Geschichte des Karnevals? Es scheint auf den ersten Blick merkwürdig, aber wir verdanken dieses ausgelassene und grenzüberschreitende Fest dem christlichen Glauben. Karneval gehört in den Zusammenhang des christlichen Osterfestkreises.

Das wird in den unterschiedlichen Bezeichnungen des Festes deutlich, vor allem im älteren Begriff „Fastnacht“ und seinen regionalen Varianten wie dem rheinischen Fastelovend. Es ist die Nacht oder der Abend vor Beginn der österlichen Fastenzeit. Da wurde noch mal so richtig gefeiert, gegessen und getrunken.

Um den Kontrast zwischen dem göttlichen Heil des Ostergeschehens und dem weltlichen und sündigen Alltag besonders anschaulich darzustellen, steht die Figur des Narren. Im späten Mittelalter gibt es eine enorme Vielfalt an Bildern, Geschichten und Literatur, in dem der Narr, seine Gottesferne und Sündhaftigkeit ausgebreitet werden. Sein Fest ist der Karneval, die „verkehrte“, das heißt nicht gottgewollte Welt.

Da herrscht Unordnung und Chaos, Völlerei und Alkoholgenuss. Die Rollen des Alltags – Beruf, soziale Stellung, Geschlecht – spielen überhaupt keine Rolle, im Gegenteil, sie werden abgelegt und getauscht. Nach dem Fest, also ab Aschermittwoch kehren dann alle wieder in ihre Rollen, ihren Alltag und ein kirchentreues Leben zurück. Karneval war also eine Art christlicher Erlebnispädagogik, mit dem Ziel, dadurch das gewünschte christliche Verhalten besonders gut nachvollziehbar zu machen.

Diese Gegenwelt zur Alltagsrealität im Fest trägt von Anfang an auch gesellschaftskritische Züge. Im Karneval werden soziale Rollen aufgebrochen, die Regeln des Alltags gelten nicht mehr. Das bedeutet, politische Kritik, Satire und das Infragestellen von Normen steckt immer auch als Option in diesem Schwellenfest.

Karneval im RheinlandDie religiösen und allgemein soziokulturellen Funktionen des Karnevals werden ergänzt durch ganz pragmatische: die anstehende Fastenzeit mit ihrem Verzicht auf Fleisch musste auch haushaltspraktisch vorbereitet werden. Vor allem die verderblichen tierischen Fette und Fleisch sowie das Bier sollten aufgebraucht werden, ebenso die vielen Eier. Also wurden Krapfen, Pfannkuchen und Mutzemandeln gebacken und Festbraten auf die Tafel gebracht. Der Donnerstag vor dem Faschingssonntag heißt nach den Nahrungsgewohnheiten dieser Zeit vielerorts auch fetter oder schmutziger Donnerstag.

Karneval im Rheinland
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Das spätmittelalterliche Narrenfest an den Tagen vor Aschermittwoch wurde in ganz Europa gefeiert. Über die katholischen Kolonialmächte wie etwa Spanien wurde Karneval auch außerhalb von Europa verbreitet. Die Reformation stand dem Fest eher distanziert gegenüber, ebenso der aufgeklärte Absolutismus des 18. Jahrhunderts.

Vor allem im städtischen Raum ist das ausgelassene und unkontrollierte Feiern der Bevölkerung immer wieder Anlass für Verbote. So verbot der Kölner Stadtrat wiederholt den „Mummenschanz“, belegt ist das für 1487, 1609 und 1657; 1779 wegen drohender Kriegsgefahr. Die französische Besatzung ging rigoros gegen den Karneval im Rheinland vor: 1795 wurde er komplett verboten. Allerdings ohne Langzeitwirkung. Karneval ist ein Übergangsritual. Übergangsrituale sind dazu da, Menschen in einen neuen Zustand, einen neuen Status zu bringen. Symbolisiert wird diese besondere Phase durch bestimmte Zeichen wie das Verkleiden, also das Wechseln der sozialen Rolle, das Feiern als Gegensatz zum alltäglichen Arbeitsleben, das Prassen, Verschwenden und Grenzüberschreiten. Typische karnevaleske Verhaltensmuster karikieren traditionelle soziale Formen: der Rosenmontagszug greift sowohl den Triumphzug als auch die religiöse Prozession auf, mit dem Sturm auf die Rathäuser und die Schlüsselübergabe wird die neue Herrschaft dokumentiert, hier werden Regierungsprogramme verlesen und Verwaltungsaufgaben verteilt.

Die Karnevalssession beginnt seit Mitte des 19. Jahrhunderts am Elften im Elften. Das Datum wurde symbolisch als „Narrenzahl“ aufgeladen: die Elf steht in christlicher Zahlensymbolik als Zahl des Narren (oder auch des Teufels) gegen die Zwölf, die als Zahl der Vollständigkeit und der Ordnung der Schöpfung gilt. Zudem lässt sich ELF als Anagramm für die Parole der französischen Revolution lesen: egalité, liberté, fraternité – also als eine Art geheimer Botschaft der freiheitlich orientierten Republikaner im Preußen des 19. Jahrhunderts. Der elfte Elfte hat aber auch eine ganz pragmatische Begründung: dieser Tag des heiligen Martin ist der Tag vor dem Beginn des Adventsfastens.

Was heute kaum noch jemand weiß, auch vor das Weihnachtsfest war bis ins 20. Jahrhundert eine sechswöchige Fastenzeit gelegt, die am Tag nach Sankt Martin begann. Und genau wie vor der vorösterlichen Fastenzeit wurden die verderblichen Vorräte aufgebraucht, wurde gefeiert, getrunken und getanzt. Der Karnevalsauftakt ist sozusagen ein Überbleibsel des alten Adventsfastens.

Ab dem 6. Januar beginnen die Narren mit Sitzungen, dem Besuchen von bestimmten Einrichtungen, dem Erstürmen ihrer Hofburgen und den Einführungen ihrer Tollitäten. Aber erst in der Woche vor Rosenmontag beginnt die Hauptphase des Karnevals mit der Eröffnung des Straßenkarnevals an Weiberfastnacht. Mit dem „Veilchendienstag“ beginnt das Ende des Karnevals: Die Karnevalsprinzen bekommen öffentlich die „Federn gerupft“, das heißt aus den Prinzenmützen werden die langen Schmuckfedern als Symbol der Regentschaft herausgezogen. An vielen Orten wird der „Nubbel verbrannt“, eine den Karneval symbolisierende Puppe, die während der Karnevalszeit an Kneipentüren hängt, wird in einem eine Trauerfeier imitierenden Ritual verbrannt oder ertränkt.

So beispielsweise bei den „Düsseldorfer Weitern“, die eindrucksvoll die Untaten der Karnevalszeit (Grenzüberschreitungen jeglicher Art) beklagen und ihren Nubbel im Düsseldorfer Hofgarten mit einem langen Trauerzug „zu Grabe tragen“ und verbrennen. „Am Aschermittwoch ist alles vorbei“, so ein beliebtes Karnevalslied. Aschermittwoch ist der erste Tag der Fastenzeit, zu seiner Symbolik gehört das Aschekreuz, das während des Gottesdienstes an diesem Tag auf die Stirn der Gläubigen gezeichnet wird.

Nicht überall im Rheinland wird der Karneval gleich gefeiert. Es ist ein typisches Zeichen von Bräuchen, dass sie eine kleinräumig-regionale oder lokale Ausprägung bekommen. Beim Karneval ist das häufig die zentrale Leitfigur, die den Rosenmontagszug anführt. In Köln ist es das Dreigestirn, in Bonn Prinz und Bonna, in Bad Godesberg Prinz und Godesa, in Beuel die Wäscherprinzessin. Die Bonner Vielfalt bei den Karnevalstollitäten zeigt, dass hier lokaler Eigensinn gepflegt wird.

Mit all den Tollitäten ist eine Geschichte verbunden, sie alle haben ihre Wurzel in den ersten Rosenmontagszügen in Köln ab 1823.Darstellungen der frühen Rosenmontagszüge zeigen, dass es noch keinen Prinzen gab: Den Zug führten die „roten Funken“ an, ein Karnevalscorps, das sich auf die alten Kölner Stadtsoldaten beruft und das bis heute seine Rosenmontags-Pole-Position halten konnte. Es folgte der „Held Karneval“. Wie ein Kriegsheld in antiken oder mittelalterlichen Triumphzügen fuhr er auf einem Wagen durch die Stadt und ließ sich bejubeln.

1825 wurde um den Helden Karneval eine hübsche Geschichte gestrickt. Die „liebreizende Venezia“ wollte den Kölner Helden treffen, aus Düsseldorf kam die Dame angereist, um am Rosenmontagszug teilzunehmen. Aus „Venezia“, die den venezianischen Karneval symbolisierte, wurde in den folgenden Jahren die Personifizierung der Stadt Köln: Colonia begleitete nun den Helden, der zum Prinzen geadelt wurde.

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