Nach dem Rohrbruch in Niederdollendorf Kartoffeln aus dem Eis herausgepiddelt

SIEBENGEBIRGE · Königswinterer und Bad Honnefer erinnern sich an den extrem kalten Winter vor 65 Jahren. Nach "Cooper" nun noch "Dieter". Und zweistellige Minusgrade zeigen auch die Thermometer im Siebengebirge an. Aber während draußen "sibirische Kälte" herrscht, blubbern drinnen die Heizungen auf vollen Touren, gibt es genug zu essen und auch mollige Winterkleidung.

 Der zugefrorener Rhein bei Unkel im Jahr 1929. Auch im zweiten Nachkriegswinter war es so kalt, dass Eisschollen auf dem Rhein trieben. Für die Menschen in der Region waren die Minustemperaturen lebensbedrohlich. Repro: Frank Homann

Der zugefrorener Rhein bei Unkel im Jahr 1929. Auch im zweiten Nachkriegswinter war es so kalt, dass Eisschollen auf dem Rhein trieben. Für die Menschen in der Region waren die Minustemperaturen lebensbedrohlich. Repro: Frank Homann

So schön warm hätte es die Bevölkerung von Bad Honnef und Königswinter gern vor 65 Jahren gehabt. Die Menschen damals bibberten selbst im Bett noch vor Kälte. Buchhändler Karl Günter Werber (82) aus Honnef erinnert sich an den strengen Winter 1946/1947: "In den kältesten Nächten bildete sich bei minus sieben Grad Zimmertemperatur eine Eisschicht über dem Waschwasser. Das Plumeau war vom Atem angereift. Eisblumen blühten an den Fenstern." Kältewellen hatten Deutschland in ein Gefrierhaus verwandelt. Die Not im zweiten Nachkriegswinter war groß. Tausende verhungerten oder erfroren.

"Wir hatten nichts zu essen und nichts zu stochen", erzählt Frieder Berres (82) aus Königswinter. Die Mägen zwickten vor Hunger, Füße und Hände vor Kälte. "Wir haben zwei Pullover übereinander angezogen, und in der Nacht trugen wir Pullover und Strümpfe. Ich hatte ewig Eisfüße und schob schrecklichen Kohldampf."

Ältere Leute blieben häufig vor Erschöpfung im Bett liegen. Während heute ein Dreh an der Heizung genügt, holten die Bürger damals Holz in den Bösch. Auf Leseschein durfte dünnes Geäst gesammelt werden. Berres: "Aber natürlich wurden verbotenerweise auch Bäume gefällt und zersägt und zuunterst im Leiterwagen verstaut." Mit seinen Schulkameraden aus dem Sibi schlug Berres im Honnefer Stadtwald Holz für den Kanonenofen im Klassenzimmer. Kohle war noch knapper.

Willi Armbröster (77) aus Niederdollendorf: "Wenn die Bremsen des Klüttezuges am Didierwerk quietschten, stürmten alle los zum Klütteklau." Armbröster: "Ich habe viel gefroren." Mit Pappe waren im Krieg zerbrochene Fenster geflickt. "Abends kam ein angewärmter Ziegelstein ins Bett." Kohle war auch eine richtige "Währung". Karl Günter Werber: "Für ein Wannenbad beim Friseur war ein Brikett fällig."

Das schwarze Gold musste auch mitbringen, wer ins Kino, zum Karneval oder ins Theater wollte. In das Stadttheater Königswinter oder in den Honnefer Kursaal. Bei "Romeo und Julia" trotzte der Held tapfer im dünnen Kettenhemd der Kälte. Und die Zuschauer klatschten sich am Ende die Finger warm. Die Schauspieler in Honnef erhielten als Gage einen Eimer Marmelade. So ließen sich richtige Stars anlocken. Essen war knapp.

Das tägliche Quantum von rund 350 Gramm Brot bestand immer öfter aus einem Ersatzstoff. Elmar Heinen (84) aus Heisterbacherrott: "Das quittengelbe Maisbrot weckt noch heute in mir unangenehme Erinnerungen." Am Geburtstag in jenem Winter war er selig über ein Schinkenbutterbrot als Geschenk. Im Kinderheim Probsthof in Niederdollendorf lagen zwar 22 Zentner Kartoffeln im Keller.

Aber die machten richtig Arbeit. Armbrösters Familie wohnte im Kinderheim. "Durch die Kälte war ein Rohr gebrochen. Schnell hatten wir ,Kartoffeln in Aspik?. Mühsam haben wir Kinder die Kartoffeln aus dem Eis herausgepiddelt." Armbröster erinnert sich auch an die Flüchtlinge, die von Heimleiterin Schwester Kathrinchen einen Schlafplatz bekamen und etwas Warmes zu essen.

Margret Krämer (75) aus Niederdollendorf fuhr mit ihrem Vater Jakob Esch die Milch aus. "Wir hatten die 20-Liter-Kannen auf einem Anhänger am Fahrrad. Obendrauf bildete sich eine Eisschicht." Stundenlang warteten damals die Menschen mit ihren Lebensmittelmarken in Schlangen vor den Geschäften. Schnaps wurde häufig illegal gebrannt.

Eine Episode aus Bellinghauserhohn berichtet Willi Schmidt (89) aus Königswinter. In einem Haus schlug sich in einer der eisigsten Nächte der Dampf aus dem Kessel des Destillierapparats Marke Eigenbau an Böden und Wänden nieder. Als sich die Männer nach Stunden aus ihrer Runde am bullernden Brennofen im Treppenflur erhoben, gerieten sie plötzlich ins Rutschen. Nicht etwa, weil sie zu viel von dem Gebrannten probiert hätten, sondern weil sich eine Eisbahn gebildet hatte. Die gab es in jenem Winter auch auf dem Rhein.

Die Rationen: Die Tagesration belief sich damals auf 800 bis 1000 Kalorien: Den Menschen standen in einem Monat 10 000 Gramm Brot, 500 Gramm Nährmittel, 450 Gramm Fleisch, 125 Gramm Butter, 75 Gramm Margarine, 625 Gramm Zucker, 62,5 Gramm Käse, 125 Gramm Kaffee-Ersatz und 2 000 Gramm Fisch zu.

Klüttenklau im Winter: In diesem bitteren Kältewinter war es, als der Kölner Erzbischof Josef Frings in seiner Silvesterpredigt 1946 sagte: "Wir leben in Zeiten, da in der Not auch der einzelne das wird nehmen dürfen, was er zur Erhaltung seines Lebens und seiner Gesundheit notwendig hat, wenn er es auf andere Weise, durch seine Arbeit oder durch Bitten, nicht erlangen kann." Damit hatte der Kardinal zwar keinen Freibrief für das im Volksmund schnell "Fringsen" genannte Stürmen von Brikettzügen erteilt, denn er nannte auch Einschränkungen. Aber seine Worte erleichterten vielen Menschen das Gewissen.

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