Wahlabend in Köln "Wir lassen uns nicht unterkriegen"

Köln · Normalerweise tritt ein Wahlsieger am Abend eines Wahltages strahlend vor die Anhänger und lässt sich feiern. Doch in Köln ist an diesem Abend nichts normal. Eine Reportage vom Wahlabend in Köln.

Im Rathaus-Restaurant "Consilium" sind zwar Hunderte Mitglieder von CDU, Grünen, FDP, Freien Wählern und der Gruppe "Deine Freunde" nach einem langen Wahlkampf zusammengekommen. Aber die Siegerin ist nicht dabei. "Wir stoßen heute Abend nicht auf den Wahlsieg an, sondern auf die Gesundheit von Henriette Reker", sagt denn auch Sven Lehmann, selbst Kölner und einer von zwei Grünen-Landesvorsitzenden.

Ob Reker an diesem Abend überhaupt erfährt, dass sie 52,7 Prozent geholt hat und dass sie die erste Oberbürgermeisterin von Köln ist? Nach dem Messerattentat soll sie sich zwischenzeitlich in einem künstlichen Koma befunden haben, hieß es. Ihre Stimme konnte sie jedenfalls nicht abgeben.

Auch SPD-Kandidat Jochen Ott ist in Gedanken bei seiner Kontrahentin. "Jetzt ist es wichtig, dass sie schnell wieder gesund wird, wir haben viel zu tun in Köln", sagt Ott, als er seine Niederlage eingesteht. Und er fügt noch hinzu, nach diesem Attentat sei es wichtiger denn je, dass die Demokraten zusammenstünden und Köln keinen Platz für Rechtsextreme biete. Schon kurz nach Schließung der Wahllokale hat der scheidende OB Jürgen Roters bei einer kurzen Rede im Rathaus gesagt: "Wir lassen uns nicht unterkriegen. Wir zeigen Flagge."

[kein Linktext vorhanden]Dass diese Wahl fünf Wochen nach dem eigentlich vorgesehenen Termin stattfindet, weil auf den Stimmzetteln die Parteinamen zu groß geschrieben waren, das interessiert an diesem Abend kaum. Auch die Irrungen und Wirrungen um den falsch ausgezählten Rodenkirchener Briefwahlbezirk bei der Kommunalwahl vor einem Jahr sind in den Hintergrund getreten.

Oder doch nicht? Dass Ott für die SPD nur 32 Prozent erzielt, führen manche Besucher im Kölner Rathaus auch darauf zurück. Schließlich war es die SPD, die lange nicht nachzählen lassen wollte, um ihre Mehrheit im Rat nicht zu gefährden.

Im "Consilium" werden derweil Blumensträuße verteilt an jene Wahlkämpfer, die am Samstagmorgen bei dem Attentat in Braunsfeld verletzt wurden oder die Tat aus nächster Nähe miterleben mussten. Kommunalpolitiker von CDU, Grünen und FDP hatten sich dort auf dem Wochenmarkt getroffen, um mit Reker den letzten Wahlkampftag zu beginnen.

Die Schirme der Parteien waren aufgestellt, Infomaterial lag bereit, auch die gelben Rosen, die die OB-Kandidatin verteilen wollte, waren schon da. Gegen neun Uhr kam ein Mann auf sie zu, bat um eine Blume und stieß ihr dann unvermittelt ein Messer in den Hals. Danach soll er gerufen haben: "Ich rette Messias. Das ist alles falsch, was hier läuft, ich befreie Euch von solchen Leuten." Bei dem anschließenden Tumult zog der Täter ein weiteres Messer. Zwei Politikerinnen sowie zwei weitere Bürger wurden verletzt.

Einem in Sankt Augustin stationierten und in Köln wohnenden Bundespolizisten, der den Markt besuchte, gelang es, den Täter zu überwältigen und bis zum Eintreffen der Polizei festzuhalten. Fünf Notärzte eilten nach Braunsfeld, behandelten Reker und eine weitere Schwerverletzte. Die OB-Kandidatin wurde in die Uniklinik transportiert und mehrmals operiert.

[kein Linktext vorhanden]Anfangs fürchteten die Ärzte offenbar um das Leben der 58-Jährigen, denn am Abend hieß es in einer Erklärung von Professor Bernd Böttiger, Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin: "Die Operation ist sehr gut verlaufen. Wir haben keinen lebensbedrohlichen Zustand mehr." Ja, die Ärzte halten bei normalem Heilungsverlauf die vollständige Wiederherstellung der Gesundheit von Henriette Reker für wahrscheinlich. All das konnten die Menschen noch nicht wissen, die sich am Samstagnachmittag zu einer Solidaritätskundgebung auf der Schildergasse trafen. Der Wahlkampf war inzwischen abgebrochen worden. Alle einte die Sorge um Henriette Reker.

Wenig später sprachen die Ermittler erstmals von fremdenfeindlichen Motiven, die den 44-jährigen Arbeitslosen zu der Tat getrieben hätten. Nach der Festnahme habe er Angaben zur Flüchtlingspolitik gemacht, sagte Norbert Wagner, Leiter Direktion Kriminalität der Kölner Polizei, bei einer Pressekonferenz im Polizeipräsidium. Der Angriff auf Reker erschien zu diesem Zeitpunkt in einem neuen Licht, war doch erstmals klar, dass der Angriff politisch motiviert zu sein schien. Reker hatte sich für die letzten Wochen des Wahlkampfs zwar Urlaub genommen, als Sozialdezernentin aber war sie mit der Unterbringung von Flüchtlingen in Köln befasst. Immer wieder hat sie betont, dass die Hilfesuchenden als Chance begriffen und integriert werden sollten.

[kein Linktext vorhanden]Am späten Nachmittag versammelten sich vor dem Kölner Rathaus Politiker aller demokratischen Parteien zu einer Menschenkette. Die Landesvorsitzenden von SPD, CDU, Grünen und FDP, Hannelore Kraft, Armin Laschet, Mona Neubaur und Christian Lindner, standen Hand in Hand mit OB Roters, weiteren Kölner Kommunalpolitikern und Bürgern. Ministerpräsidentin Kraft erklärte: "Diese feige und verabscheuungswürdige Tat ist auch ein Anschlag auf die Demokratie in unserem Land und damit auf uns alle."

An diese Worte erinnern sich auch bei der Feier im "Consilium" noch viele, so dass kölsche Partystimmung nicht aufkommt. Laschet spricht dann auch im GA-Gespräch davon, dass es ein Tag der Freude vor allem deshalb sei, weil es Henriette Reker wieder besser gehe. Doch der CDU-Landeschef kann auch nicht verhehlen, dass er sich darüber freut, dass die Bemühungen des ungewöhnlichen Bündnisses schon im ersten Wahlgang zum Erfolg geführt haben. Wann Henriette Reker ihr Amt nun antreten kann, das interessiert an diesem Abend nicht.

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