Glosse zum modernen Balzverhalten Tindern statt Tanzen

Meinung · Früher ging man zum Tanzen, heute wählt man auf dem Smartphone aus. Aber so verschiedenen sind die Balzarten nicht: Bei beiden muss das Gegenüber einem erst einmal gefallen, meint GA-Volontärin Elena Sebening.

 Mit einem Wisch ist alles weg: Bei Nichtgefallen wischt man bei der Partnersuche mit der App Tinder einfach weiter zum nächsten Profil.

Mit einem Wisch ist alles weg: Bei Nichtgefallen wischt man bei der Partnersuche mit der App Tinder einfach weiter zum nächsten Profil.

Foto: picture alliance / dpa

Wer es bis zur Eisernen Hochzeit schafft – das sind 65 Jahre Ehe – der hat sich meist in jungen Jahren kennengelernt. Viele Lokaljournalisten kennen die Termine bei den älteren Ehepaaren, die so rührend aus dem Nähkästchen plaudern, dass man am liebsten für immer bleiben würde. Und egal wie viele Hochs und Tiefs es in ihrem Leben gegeben hat, wie viele Kinder, Umzüge oder Schicksalsschläge – eines haben doch fast alle dieser Geschichten gemeinsam: ihren Ursprung.

Denn auf die Frage, wo er sie oder sie ihn denn das erste Mal gesehen habe, lautet die Antwort beinahe immer „beim Tanzen“. Natürlich variieren Anlass und Ort, doch das ändert nichts an der romantischen Vorstellung, die dann in meinem Kopf entsteht. Wahrscheinlich ist es aus heutiger Sicht absolut überholt, aber mir kommt es jedes Mal vor, wie der Beginn von vielen schönen Geschichten. Auf der anderen Seite ist es witzig, wie wenig sich seitdem geändert hat.

Mit Blick auf heutiges Dating und die Partnersuche dürfte vielen die Anwendung „Tinder“ bekannt sein. Nur anhand von Fotos entscheidet sich, ob man den anderen treffen will oder eben doch nicht. Ausführliche Infos oder Charakterstärken werden bei der ersten Auswahl komplett außen vor gelassen. Viele Menschen, gerade die älteren Jahrgangs, belächeln Onlinedating und die ganze Anonymität, die Technik mit sich bringt.

Da frage ich mich dann doch: Hat man vor 65 Jahren jemanden zum Tanzen aufgefordert, der einem optisch nicht gefiel? Hat man sich bei einem Walzer glücklich an jemanden geschmiegt, der nicht seinen Vorstellungen entsprach?

Vielleicht ist Vieles in der heutigen Zeit doch gar nicht so verdorben und anders als damals. Denn auch ich wünsche mir, dass später ein junger Mensch vor mir sitzt und ich bei Kaffee und Keksen erzählen kann, wie ich mehrere Jahrzehnte mit ein und demselben Menschen glücklich geworden bin. Nur der Ort des Kennenlernens ist dann eben ein anderer.

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