Die Wutbürger von hinten links Rainer Wendt polarisiert an der Universität Köln

Köln · Das Juristische Seminar der Uni Köln hatte den umstrittenen Chef der Polizeigewerkschaft zur Podiumsdiskussion eingeladen. Linke Gruppen hatten etwas dagegen und störten die Veranstaltung massiv. Verhindern konnten sie sie nicht.

 Linke Gruppen stören einen Vortrag von Rainer Wendt in der Universität zu Köln.

Linke Gruppen stören einen Vortrag von Rainer Wendt in der Universität zu Köln.

Foto: Rüdiger Franz

Womöglich liegt es am Gedränge, dass für Rosa Luxemburg nicht einmal mehr in den Köpfen Platz bleibt, in Aula II der Universität zu Köln. Dass Freiheit immer die Freiheit des Andersdenkenden sei, gerät am Donnerstagabend ebenso in plötzliche Vergessenheit wie die Maxime Voltaires. Der soll ja gesagt haben: „Mein Herr, ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie äußern dürfen“. Mancher in den Stuhlreihen verfolgen ein anderes Ziel: Dass Rainer Wendt, Präsident der Deutschen Polizeigewerkschaft, seine Meinung hier und heute nicht äußern darf.

Schon im Vorfeld stehen die Zeichen auf Sturm. Es dürfe nicht sein, so meinen Gruppen wie Antifa, SDS und „Köln gegen Rechts“, dass Wendt eine Bühne an der Universität geboten wird. Denn: Dieser vertrete rechtspopulistische Thesen und sei ein „Verteidiger rassistischer Polizeipraxis“. Vorwürfe, die offenbar die Veranstalter nicht recht überzeugen können. Sei Wendt auch umstritten, so werde man die Veranstaltung gleichwohl durchführen, lässt der Lehrstuhl von Juniorprofessorin für Strafrecht Elisa Hoven vor der Veranstaltung wissen. Denn gerade an einer Universität müsse die sachliche Auseinandersetzung auch mit Thesen möglich sein, denen man nicht zustimmt.

Genau das sieht ein Teil der gut 300 Anwesenden aber ganz anders. Noch werden Wartende an der Tür vom Sicherheitspersonal (keine Taschen, keine Flaschen) ausgebremst, noch hat Elisa Hoven die Gäste gar nicht vorgestellt, und noch hat Rainer Wendt keinen Ton gesagt, da brechen aus allen Ecken des Hörsaals Sprechchöre, Beschimpfungen und Hasstiraden los, die manchen Hooligan bei der drei Kilometer entfernt stattfindenden Konkurrenzveranstaltung im Rheinenergie-Stadion vor Neid erblassen ließen. „Fresse.“ „Penner.“ „Nazi“, der akademische Diskurs nimmt seinen Lauf.

Besonders eifrig arbeitet sich eine Gruppe Wutbürger am linken Kopfende des Saals an Wendt ab und quittiert jeden seiner Halbsätze mit Gebrüll. Allmählich wird es aber auch der Mehrheit im Saal zu bunt, die zum Zuhören gekommen ist. „SA-Methoden“ schreit einer in Richtung des knallroten Banners. Inzwischen ist die 35-jährige Juniorprofessorin einen Schritt auf die Protestler zugegangen. Beruhigend redet sie auf die wild gestikulierenden Gruppen ein. "Wäre das nicht ein Deal: Sie sind jetzt ganz ruhig, lassen ihn reden und sobald etwas Rassistisches kommt, toben Sie und wir brechen alles ab. Wie wäre das?".

Dann plötzlich, als habe jemand unbemerkt Feenstaub über die Klappsitze gestreut, ist die leise, ruhige Stimme eines Mannes zu vernehmen. Sie gehört Rainer Wendt, der mit einstündiger Verspätung und unter Störers Gnaden nun doch erklären darf, wie seine Haltung zu Videoüberwachung, Gesichtserkennung zu verstehen sei.

Nebenbei nimmt er Abstand von einer vielfach kritisierten Bemerkung, in der er die „Machokultur der Muslime“ mit den „genetischen Grundbausteinen dieser Kultur“ begründet haben soll. Kontra gibt dem Gewerkschafter der Strafverteidiger Ulrich Sommer, der Wendts Ansätze als „Untergangsszenarien“ interpretiert. Wendt arbeite mit Angstmache, sagt er. Scharf kritisiert er die Polizeiarbeit, berichtet aus seiner beruflichen Erfahrung von lügenden Polizeibeamten im Zeugenstand, frisierten Ermittlungsakten und vertritt die These, dass es mit dem Respekt der Polizei an den Grundsätzen des Rechtsstaates nicht allzu weit her sei.

Wendt widerspricht, verwahrt sich gegen den "Generalverdacht gegen eine ganze Berufsgruppe" und verweist auf das große Maß an Vertrauen, das Polizeibeamte im Volk genießen. Auch, so Wendt, unterstütze er die Forderung nach Videoüberwachung von Gewahrsamzellen - "um haltlose Anschuldigungen gegen Polizisten zu entkräften". Schließlich schildert ein Kurde seine Erfahrungen mit der Polizei: Sehr wohl werde man mit südländischem Aussehen von der Polizei öfter und gründlicher kontrolliert. Die hundertfachen sexuellen Übergriffe durch überwiegend nordafrikanische und arabische Männer in der Silvesternacht 2015/16 sind nur am Rande Thema.

Ganz kurz ist es tatsächlich still im Saal. Dann wieder Toben, Buhrufe und Gejohle. Dafür genügt es, dass Wendt den Begriff "Gesichtserkennung" fallen lässt. Der Rest des Satzes ist nicht zu verstehen. „Auf die Lautstärke kommt es nicht an“, sagt Wendt, der sich den Weg zum für ihn vorgesehenen Pult gleich gespart hat. Es dürfe nicht sein, dass eine Minderheit an der Universität entscheidet, welche Veranstaltung stattfinden darf, sagt Elisa Hoven nach der Veranstaltung.

Ihre Kollegen an der Frankfurter Goethe-Universität waren vor wenigen Wochen nicht so standhaft: Sie bliesen eine ähnliche Veranstaltung mit Wendt nach entsprechenden Forderungen aus der linken Szene ab. Auch andernorts gleichen sich die Bilder, wenn im Namen der Toleranz die ultima ratio der Intoleranz zum Einsatz kommt: AfD-Bundesparteitag im April in Köln (Drohungen gegen Hotelmitarbeiter, Spießrutenlauf für Journalisten und Delegierte), Sarrazin-Lesung im Mai in Düsseldorf (Polizeischutz), Verlage der Neuen Rechten auf der Frankfurter Buchmesse (Vandalismus an Messeständen, lautstarke Behinderung einer Autorenlesung).

Mag sein, dass Rainer Wendt das Geschrei ein wenig mit Gedanken an Voltaire überbrückt hat. Jedenfalls sagt er zum Abschied: „Ich wünsche Ihnen, dass Sie immer die Freiheit haben werden, so laut zu schreien, wie Sie es heute Abend getan haben. Ich werde mich dafür einsetzen.“ Tolerare heißt ertragen. Zu Ertragen gibt es einiges an diesem Abend.

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