"Hiob" im Kölner Schauspiel-Depot Lebensgier und schöner Wahn

"Ich will Gott verbrennen", schreit Mendel Singer. Und wenn Bruno Cathomas als frommer Jude hier nach maßloser Leidensstrecke furios sein Allerheiligstes verflucht, hat Rafael Sanchez' Kölner Inszenierung nach Joseph Roths Roman "Hiob" ihren erschreckendsten, intensivsten Moment. Zuvor konnte Cathomas den ganzen emotionalen Kosmos dieser Figur ausmessen: von der allzu gottesfürchtigen Engstirnigkeit, mit der Mendel im galizischen Schtetl die Behandlung seines behinderten Sohns Menuchim verweigert, über die geduldige Zärtlichkeit, die er ihm gleichwohl widmet, bis zur wachsenden Verzweiflung im "gelobten" Land Amerika.

 Inneres Ringen: Szene aus dem Stück "Hiob" nach dem Roman von Joseph Roth mit Bruno Cathomas und Sabine Orléans in Köln.

Inneres Ringen: Szene aus dem Stück "Hiob" nach dem Roman von Joseph Roth mit Bruno Cathomas und Sabine Orléans in Köln.

Foto: Miseré

Wenn diese überragende, in jeder Nuance stimmige Leistung den Rest des Abends nicht erdrückt, liegt dies im Depot des Schauspiels an vielen Dingen. Zunächst an Koen Tachelets Spielfassung, die zwar den unwiderstehlichen, bittersüßen Moritatenton des Romans (1930) aufraut, ohne jedoch dessen Musikalität und schlichte Eindringlichkeit zu zerstören.

Diese Dramatisierung ist anspruchsvoll, wobei der Hausregisseur alle Klippen traumwandlerisch sicher umschifft. Deklamation und Dialog, inneres Ringen und szenische Energieausbrüche - alles sensibel austariert. Wenn die Personen aus sich heraustreten, um Kummer und Sehnsüchte zu bekennen, wirkt dies nie gekünstelt, zumal sie sogleich wieder ganz in die Handlung eintauchen.

Auf Simeon Meiers karg-konzentrierter Pfahlbau-Bühne wird die Geschichte auf ihre magischen Wendepunkte verdichtet und so äußerst dynamisch erzählt: die erkaltende Liebe zwischen Mendel und seiner Frau Deborah, die Angst um die mit Kosaken nicht nur flirtende Tochter Mirjam, schließlich der Sündenfall, Menuchim bei der Übersiedlung nach Amerika daheim zu lassen.

Schon auf der Überfahrt bekommt das Geschehen einen bühnentechnisch genialen Stromstoß, wenn die stabile Holzplattform plötzlich im Unterbau eine Maschine offenbart - den rasant rotierenden Fortschrittsmotor der Neuen Welt. Schon hier schwindelt es Mendel Singer, den mit "God's own Country" fremdelnden Frömmler. Und die wahren Schläge kommen erst noch: zwei Söhne holt der Krieg, Deborah stirbt am Schock, Mirjam wird wahnsinnig. Sind die ans biblische Vorbild angelehnten Prüfungen bei Roth eher Auswuchs göttlicher Willkür, so betont Sanchez das Moment der geleugneten Verantwortung fürs eigene Leben. Vor allem aber schafft er es, gerade in seiner Formstrenge heiligen Ernst und hellsichtige Psychologie zu vereinen.

Das alles gelingt nur dank trefflicher Besetzung. Fast in einem Atemzug mit Cathomas muss man Sabine Orléans als Deborah nennen, die nicht nur in ihrem Monolog über das Altern, sondern auch in ihrer Revolte gegen Mendels Dogmen fasziniert. Julia Riedler verkörpert Mirjams unstillbare Lebensgier ebenso wie ihren schönen Wahn, Thomas Müller gibt dem smarten Sohn Schemarjah US-Appeal,während Jakob Leo Stark der Spagat zwischen dem bäuerlichen Sohn Jonas und dem dynamischen Amerikaner Mac glückt. Bei Axel Pape sind alle Nebenfiguren in besten Händen, während Niklas Kohrt für das finale Wunder sorgt: vom behinderten Menuchim, dem er wundersame Würde gönnt, verwandelt er sich in den geheilten, erfolgreichen Sohn, der Mendel Singer kurz vor dem Abgrund rettet.

Dieses Ende, nicht nur bei Roth hart an der Kitschgrenze, bekommt bei Sanchez neben Poesie auch die Pointe einer Emanzipationsgeschichte: "Morgen werde ich die Welt begrüßen", sagt der mit Gott - und vor allem mit sich selbst und Amerika - versöhnte Mendel Singer. Starker, mit vielen Bravi durchsetzter Beifall für einen eindrucksvollen Abend aus einem Guss.

Nächste Termine: 14., 17., 23 und 29. 1., jeweils 19.30 Uhr.

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