Porträt: Rainer Maria Kardinal Woelki wird 60 Kölsch und klar

Köln/Bonn · Er ist Anwalt der Flüchtlinge, Stimme der Vernunft - und eine rheinische Frohnatur: Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki wird 60 Jahre alt.

 Macht vieles anders: Rainer Maria Kardinal Woelki.

Macht vieles anders: Rainer Maria Kardinal Woelki.

Foto: picture alliance / dpa

Er geht an Heiligabend in den Knast oder mit Daniela Katzenberger in die Talkshow; er ist Fan des 1. FC Köln und mag Herbert Grönemeyer; er hat kölsche Lieder auf seinem (intensiv genutzten) Smartphone, aber trinkt lieber Alt als Kölsch. Er fördert Frauen im Bistum und warnt vor Donald Trump. Er lässt 23 000 Glocken im Bistum läuten – eine für jeden Flüchtling, der seit 2000 im Mittelmeer ertrunken ist – und den Dom verdunkeln aus Protest gegen die Populisten von Pegida.

So viel ist sicher: Rainer Maria Kardinal Woelki, bald zwei Jahre Erzbischof von Köln, ist anders. Anders als sein Vorgänger Joachim Meisner. Wenn auch nicht ganz anders. Wie sollte er auch, war er doch lange Jahre Meisners Sekretär. An diesem Donnerstag wird Woelki 60. „Aber angesichts so vieler Menschen um uns, die gegenwärtig nichts zu feiern haben, will ich auch an diesem runden Geburtstag nichts Besonderes veranstalten“, sagt der Katholik, der dem Erzbistum Köln neues Leben eingehaucht hat.

In Köln wird er geboren, weil es seine Eltern aus dem Ermland an den Rhein verschlägt. In Ostpreußen heißen Bauernhöfe außerhalb von Ortschaften „Woelk“, – so erklären sich sein Name und sein norddeutsches „ziemlich protestantisches“ Aussehen. Die Jugend in der Mülheimer Bruder-Klaus-Siedlung ist bodenständig und katholisch. Es wird gebetet mit den Eltern und den zwei Geschwistern, es wird gefeiert und es gibt die katholische Jugend.

Der junge Woelki geht „sehr gern“ in die Tanzstunde, hat eine feste Freundin – und doch verstärkt sich der Wunsch, Priester zu werden. Er studiert in Bonn und Freiburg Theologie, wird 1985 zum Priester geweiht und fünf Jahre später Meisners Sekretär. 1997 übernimmt er in Bonn die Leitung des Theologenkonvikts Collegium Albertinum, sechs Jahre später wird er Weihbischof in Köln. Die Karriere wird noch steiler, als der Papst ihn 2011 zum Erzbischof von Berlin ernennt, was er drei Jahre bleibt.

Es werden drei erstaunliche Jahre. Er kommt hervorragend mit den Medien zurecht, entwickelt ein gutes Verhältnis zum regierenden Klaus Wowereit und kennt keine Berührungsängste mit Schwulen- und Lesbenverbänden. Woelki wird zum Überraschungskatholiken der Hauptstadt. Der Papst macht ihn ein Jahr später zum Kardinal, was ihn nicht daran hindert, Benedikt scherzhaft vorzuhalten, er habe ihm „den Karneval versaubeutelt“. So ist das, wenn Kölner zur falschen Jahreszeit in den Vatikan gerufen werden.

Am Rhein werden die Flüchtlinge zu dem Thema seiner Amtszeit. Mal sagt er es theologisch: „Wer Menschen im Mittelmeer ertrinken lässt, lässt Gott ertrinken.“ Mal sportlich: „Ich finde es bedenklich, wenn Bayern München für zwei Spieler 72 Millionen auf den Tisch legt und wir diskutieren, ob es unsere Gesellschaft verkraften kann, Menschen aus Syrien aufzunehmen.“ Mal historisch: „Was sind die 800 000 oder eine Million Flüchtlinge, die jetzt zu uns kommen?“ – Angesichts von zwölf Millionen Flüchtlingen nach dem Zweiten Weltkrieg.

Woelki lässt sich in seiner Zuwendung zu den Flüchtlingen von niemandem stoppen, wird zum treuesten Anhänger der Merkel'schen Politik. Das Bistum gründet die „Aktion neue Nachbarn“ und Fronleichnam stellt der Kardinal ein Flüchtlingsboot aus Malta vor den Dom, feiert dort den Gottesdienst: Die EU habe den Friedensnobelpreis bekommen, jetzt müsse sich zeigen, ob sie das verdient habe.

Allen, denen Flüchtlinge Angst machen, sagt er: „Überall wo Begegnung stattfindet, verliert sich die Angst.“ Woelki – der Flüchtlingsbischof und der Caritasbischof. Er geißelt Leute, die „den Hals nicht voll“ kriegen können, und der AfD ruft er zu: „Solche Alternativen brauchen wir nicht.“

Eine Zeitung befördert ihn zum „kölschen Franziskus“. Doch das ist Woelki nicht. Denn er kann auch konservativ sein. Er prangert Abtreibung und Sterbehilfe an.

Als das Bistum die Wahl eines Rektors der Katholischen Hochschule NRW verhindert, weil er zum zweiten Mal geheiratet hat, definiert Woelki die Gratwanderung zwischen Prinzipientreue und Modernisierung so: Der Mann behalte ja, anders als früher, sein Professorenamt, nur das neue bekomme er eben nicht.

Die Kirche reformiert in seiner Zeit in Köln das Arbeitsrecht. Woelki erklärt: Das bisherige Recht habe eine Strenge vermuten lassen, „die in der kirchlichen Praxis seit Jahren nicht existiert“. Soll heißen: Längst nicht jeder, der sich scheiden lässt und wieder heiratet, verliert heute noch seinen Job.

Kölns nun 60-jähriger Kardinal hält es nicht nur mit Prinzipien, sondern auch mit dem Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten. „Habt Mut, keine Angst“, predigt er. Oder: „Ruft nicht immer nach dem Bischof“, wenn es angesichts von Seelsorgermangel in der Gemeinde wieder mal klemmt.

Und „an Tagen wie diesen“ ist er noch sicherer als früher, dass er den richtigen Beruf gewählt hat. Die Toten Hosen, denen auch er dieses Lied verdankt, findet er übrigens „total cool“.

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