Schöpfer skulpturaler Bauten Der Architekt Gottfried Böhm feiert 100. Geburtstag

Köln · Der Kölner Architekt Gottfried Böhm begeht am Donnerstag seinen 100. Geburtstag. Viele Bauwerke stehen auch in der Region. Wie zum Beispiel die Pfarrkirche Mariä Heimsuchung in Alfter-Impekoven.

 Pfarrkirche Sankt Mariä Heimsuchung in Alfter-Impekoven.

Pfarrkirche Sankt Mariä Heimsuchung in Alfter-Impekoven.

Foto: GA/Dominik Pieper

Einem wild zerklüfteten, kristallin gesplitterten Bergmassiv gleicht sein bahnbrechendes Hauptwerk: der Mariendom im bergischen Wallfahrtsort Neviges. Dieses 1973 geweihte Sichtbetongebirge für die Gläubigen gilt noch heute als Meisterstück des Baumeisters Gottfried Böhm, der an diesem Donnerstag in Köln seinen 100. Geburtstag feiert.

Noch immer kommt der greise Patriarch täglich ins Büro seiner Architektensöhne, allerdings nicht mehr zur Arbeit, sondern lediglich zur Kontaktpflege. Der in Offenbach geborene Wahlkölner Böhm stand zunächst im langen Schatten seines Vaters (siehe „Die Familie“) , studierte Architektur und Bildhauerei. Diese Doppelbegabung machte ihn nicht nur zum bedeutendsten Vertreter des Beton-Brutalismus der 60er Jahre, sondern zum genialen Schöpfer skulpturaler Bauten.

So gewöhnungsbedürftig das Gotteshaus von Neviges anfangs auf viele wirkt, so klar entschied sich der damals schon halb erblindete Kölner Kardinal Frings nach der Tastprobe an Böhms selbst geknetetem Modell doch für diesen mutigen Entwurf. Im Inneren öffnet sich nach dem dunklen, geduckten Eingang ein Raum, der den Blick unwiderstehlich in die Höhe des Betonzelts zieht. Und der die Schwerkraft der äußeren Hülle wundersam aufhebt.

Wuchtig-expressiv, wie für die Ewigkeit geschaffen, wirken viele Böhm-Bauten, doch ist ihre Schwere weder dumpf noch pathetisch. Oft fühlt man sich eher an die Lyonel Feiningers Kirchengemälde mit ihren raffinierten Lichtprismen erinnert.

Dass Gottfried Böhm 1986 für seine kühnen Brückenschläge zwischen Tradition und Moderne als bisher einziger Deutscher den Pritzker-Preis (eine Art Nobelpreis für Architektur) bekam, bewahrte ihn freilich nicht vor Anfeindungen. „Affenfelsen“ tauften Spötter sein Bensberger Rathaus, das doch die Überreste der mittelalterlichen Burg respektvoll aufnimmt und dann ebenso selbstbewusst wie raffiniert modernisiert. Eine Trutzburg des Bürgerstolzes.

Sein frühes Renommee hatte der Architekt freilich mit Sakralbauten erworben: Der erste war 1947 „Madonna in den Trümmern“ in der zerstörten Kölner Kolumba-Kirche. Die magische Aura der Marienkapelle sah Böhm später mit deren Ummantelung durch Peter Zumthors Kolumba-Bau geschmälert. Diese Lösung sei „für das Diözesanmuseum schön. Für die Stadt ist etwas verlorengegangen“, sagte er unserer Zeitung.

Harte Kanten und beschwingte Rundungen, Nüchternheit und orientalisch anmutender Zierrat schließen sich bei Böhms Kirchen nie aus: Man nehme nur „Christi Auferstehung“ in Köln-Lindenthal mit dem aparten Materialmix aus Backstein und Sichtbeton sowie dem markanten Korkenzieherturm. Oder insbesondere „Herz Jesu“ in Schildgen mit den typischen, später auf der Bundeskunsthalle zitierten Raketentürmen und maurisch anmutenden Fassadenornamenten. Skeptiker stellten das Gotteshaus deshalb unter Moscheeverdacht.

Später variierte der Baumeister solche Elemente auch in seinen profanen, nun meist aus Glas und Stahl geschaffenen Arbeiten wie dem „Bürgerhaus Bergischer Löwe“ in Bergisch Gladbach: Ein Ballett von Freitreppen, Erkern und Fensterdächern lässt das Veranstaltungshaus verspielt, aber auch etwas überladen wirken. Zur Eröffnung 1980 verfügte das Gebäude über die modernste multifunktionale Theatertechnik mit absenkbarem Orchestergraben und anderen Finessen. Darunter ein direkter Lastenaufzug auf die ebenfalls komplett versenkbare Hinterbühne. Dieser rote Solitär polarisiert gleichwohl wie so manches Werk des risikofreudigen Architekten. Sind die WDR-Arkaden in Köln nun ein Spiegelbild querköpfiger Kreativität oder doch eher eine modische Container-Collage?

Insgesamt überwiegen in diesem gewaltigen Lebenswerk aber harmonische Lösungen. Die Bleifassaden des Paderborner Diözesanmuseums schmiegen sich wie ein Schrein an die Kirche, das Potsdamer Hans-Otto-Theater brilliert mit seinem dreischaligen, scheinbar rotierenden Muscheldach, und die ausschwingenden Glasschürzen geben dem Textilkaufhaus Peek & Cloppenburg an der Berliner Tauentzienstraße einen lässigen Hauch von Eleganz. Nicht zuletzt erklärt die Glaspyramide der Ulmer Stadtbibliothek, warum auch Böhm eine transparente Kuppel für den Berliner Reichstag vorgesehen hatte, die dann bekanntlich Norman Foster realisierte.

In seiner rheinischen Wahlheimat baute Böhm unter anderem die bunt verzierten Wohnsilos in Chorweiler, das Bezirksrathaus Kalk und das Technische Rathaus in Deutz. Allerdings öffneten sich auch für ihn hier nicht alle Türen. Wegen zu niedriger Büroumsätze blieb er vom Wettbewerb ums Opernquartier am Offenbachplatz ausgeschlossen. Da dort nun ohnehin nur ebenso kostspielig wie zeitraubend saniert wird, dürfte sich der Schmerz in Grenzen halten. Und Niederlagen schmälern ohnehin nicht den Ruhm dieses Ausnahme-Architekten, der Baukunst immer auch als Bildhauerei begriff.

Im TV: Die Böhms – Architektur einer Familie. Zum 100. Geburtstag von Gottfried Böhm. WDR Mittwoch 23.40 - 1.00 Uhr.

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