Corona-Massentests Gemeinde in Euskirchen führte keine Liste über Gottesdienst-Besucher

Euskirchen · Corona-Infektion in einer freikirchlichen Gemeinde: Weil beim Gottesdienst keine Besucherliste geführt wurde, sind nun alle Mitglieder in Quarantäne und werden getestet. Schlimmstenfalls könnten erneute Einschränkungen des öffentlichen Lebens kommen.

 Das Bethaus der Mennoniten-Gemeinde. Nach der Corona-Infektion von 13 Mitgliedern einer Familie in Euskirchen hat das Kreis-Gesundheitsamt Quarantäne für Hunderte Mitglieder der freikirchlichen Gemeinde angeordnet.

Das Bethaus der Mennoniten-Gemeinde. Nach der Corona-Infektion von 13 Mitgliedern einer Familie in Euskirchen hat das Kreis-Gesundheitsamt Quarantäne für Hunderte Mitglieder der freikirchlichen Gemeinde angeordnet.

Foto: dpa/Marius Becker

Alles scheint möglich in dieser Situation, sogar erneute Einschränkungen des öffentlichen Lebens im Kreis Euskirchen: Nachdem in einer Familie das Elternpaar und elf ihrer Kinder positiv auf das Coronavirus getestet wurden, sind nun alle rund 1000 Mitglieder ihrer freikirchlichen Gemeinde in Quarantäne - und müssen zum Test. Der Grund: Das Virus könnte sich bei einem Gottesdienst verbreitet haben - und von dem gibt es entgegen der Coronaschutz-Regeln keine Teilnehmerliste. Bereits bei 100 positiven Test-Ergebnissen könnte auf die Region das gleiche zukommen wie zuletzt auf die Kreise Warendorf und Gütersloh: Erneute Einschränkungen des öffentlichen Lebens.

Die Rechnung des Kreises ist simpel: Bei 200.000 Einwohnern und 100 Infizierten käme man auf die wichtige Infektions-Kennziffer von 50. Ab dieser Grenze gilt deutschlandweit bislang, dass ein Kreis das öffentliche Leben wieder runter fährt. Strengere Kontaktbeschränkungen, Kinos und Fitnesscenter dicht.

Am Mittwoch begannen die Tests. Mit ersten Ergebnissen rechnet der Kreis an diesem Freitag. Dann könnte sich nach Angaben des Sprechers Wolfgang Andres zeigen, in welche Richtung es geht. „Wartet mal ab, vielleicht machen wir uns ja alle viel zu viel Gedanken. Wir wissen es einfach nicht“, sagte Andres am Mittwoch.

Der Ursprung geht zurück auf eine große Familie in der kleineren Stadt am Rand der Eifel: Die Mutter kam mit Krankheitssymptomen ins Krankenhaus. Bei ihr wurde das Coronavirus festgestellt. Danach auch beim Vater und bei elf der 13 Kinder. Die Familie gehört zur Euskirchener Mennoniten-Brüdergemeinde.

 An der Schule der Mennoniten-Gemeinde in Euskirchen werden rund 1000 Menschen auf das Corona-Virus getestet.

An der Schule der Mennoniten-Gemeinde in Euskirchen werden rund 1000 Menschen auf das Corona-Virus getestet.

Foto: dpa/Marius Becker

Die meisten der in Euskirchen lebenden Mennoniten kamen nach Angaben des Kreises in den neunziger Jahren aus der Sowjetunion und leben in ihrer Gemeinde eher für sich: „Kein Kind ist im städtischen Kindergarten angemeldet. Die bleiben bis zur Schulpflicht in der Familie. Danach gehen die in die eigene Schule, in die Menno-Simons-Schule“, so Andres.

Schule und Kirche seien zentrale Säulen im Leben der Mennoniten. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts werden mennonitische Gemeinden als historische Friedenskirchen bezeichnet. Sie lehnen in weiten Teilen den Kriegsdienst ab. Ein Kennzeichen ist die Taufe von mündigen Menschen und nicht von Kleinkindern.

Zentrales Problem in der Euskirchener Corona-Situation: Es gibt keine Listen von Gottesdienstbesuchern. „Das Entscheidende ist, dass die Mennoniten keine Liste geführt haben“, sagte Behördensprecher Andres - damit hätten sie gegen die Coronaschutzverordnung verstoßen.

Die Gemeinde habe das für sich anders organisiert: Zu einer bestimmten Zeit durften Mitglieder mit dem Anfangsbuchstaben im Namen etwa von A bis K in die Messe gehen. Zu einem anderen Zeitpunkt die von L bis Z. Angeblich seien die Hygienemaßnahmen erfüllt worden. Aber es sei eben unklar, welche Gemeindemitglieder mit der infizierten Familie in der Kirche waren.

Damit ist der Fall eingetreten, den die Behörden mit der oft als lästig empfundenen Dokumentation in Kirchen, Gaststätten oder etwa auch Hotels verhindern will: Teilnehmer und Gäste müssen sich auch mit Uhrzeit eintragen, damit im Ernstfall Infektionsketten verfolgbar sind. In Euskirchen steht daher nun die komplette Gemeinde mit rund 1000 Menschen unter Quarantäne.

Bei der Gemeinde war zunächst niemand für eine Stellungnahme erreichbar. Aber in der Kreisverwaltung ist zu hören, wie unangenehm die Sache den Gemeindemitgliedern sei, die als sehr höflich bekannt seien. Sie hätten sofort mit der Behörde zusammengearbeitet.

Am Freitagmorgen gingen nach Angaben eines dpa-Reporters vereinzelt Menschen in die Schule der Mennoniten-Gemeinde, wahrscheinlich um Proben abzugeben. Bis zu den Sommerferien hatten dort noch Schüler gelernt, auch Kinder der infizierten Familie. Das Gesundheitsamt werde darauf achten, dass die Tests unter hygienisch einwandfreien Umständen stattfinden, sagte Andres. Die Schule habe man als Test-Ort gewählt, weil sie den Gemeinde-Mitgliedern vertraut sei.

Die Kreisverwaltung erwartet mit den ersten Testergebnissen am Freitag Hinweise, ob es Anzeichen für drohende Einschränkungen gibt. Für den Fall der Fälle hat der Kreis laut Sprecher Andres noch keinen Plan in der Schublade. Dann müsse man sich „neu positionieren.“

(dpa)
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