Gefängnisse in NRW Auch aus der JVA Siegburg kommt ein Podcast

Siegburg · Im „Podknast“ geben Justizvollzugsanstalten Einblicke in die Welt hinter Gittern. Die Inhaftierten erzählen vom Alltag und ihren Träumen - auch in der JVA Siegburg.

 Gut gesichert: Blick auf die JVA Siegburg. 

Gut gesichert: Blick auf die JVA Siegburg. 

Foto: picture-alliance/ dpa/Felix Heyder

Costa wird beobachtet. Spätestens alle 15 Minuten schaut jemand nach, ob er noch lebt. Der 30-Jährige sitzt in einer Beobachtungszelle der Justizvollzugsanstalt (JVA) Siegburg. Ein  Schicksalsschlag in der Welt jenseits der Gefängnistore hat Costa aus der Balance gebracht – mehr will er vor der Kamera nicht preisgeben. Denn theoretisch kann ihm jeder mit einem Internetzugang zuschauen.

Der Inhaftierte schildert seine Lage im „Podknast“ – einem Video- und Audio-Podcast, der derzeit Folgen aus zwölf Justizvollzugsanstalten NRWs sendet. „Podknast“  setzt sich aus den Worten „Podcast“ und „Knast“ zusammen. Und in den selbst produzierten Beiträgen zeigen hier Gefangene, wie für sie das Leben im Gefängnis aussieht.

Auch wenn Costa die Szenen im Beobachtungsraum nachspielt, wirkt er aufrichtig, wenn er davon erzählt und sich in die Situation versetzt. Er wirkt genervt, wenn sich der Pappkarton vor dem Sicht-Fenster der Zellentüre hebt und die Beamten hinein schauen. Wenn sie keine Regung von ihm sehen, dann klopfen sie sogar und Costa muss sich bemerkbar machen. „Ich leb’ noch, alles ist okay – ich komm mir vor wie im Zoo“, sagt er im Video. Die Beiträge zeigen offen, wie es den Menschen ergeht – gefangen in einer ockerfarbenen Welt mit abwischbaren PVC-Böden.

Jede JVA bestimmt die Themen selbst

Die Folgen sollen ein realistischeres Bild vom Alltag im Gefängnis geben. Das ist Jörg Gieseking wichtig. Der stellvertretende Projektleiter vom „Podknast“ arbeitet in der JVA in Siegburg. Mit ihm sind rund 30 Angestellte in unterschiedlichen Gefängnissen – von Aachen über Düsseldorf bis Iserlohn – an dem Projekt beteiligt. Zu Beginn haben Studenten der Fachhochschule Aachen die Beamten in Sachen Video geschult, inzwischen bekommen sie Basiskenntnisse über Schnitt und Film an der Justizakademie in Recklinghausen vermittelt.

Jede JVA bestimmt die Themen selbst. So hat man in Herford ein Musikvideo-ähnliches Stück produziert, das das hauseigene Football-Team beim Training zeigt. Ein Insasse rappt dazu im Hintergrund über innere Werte und darüber, dass sie hier das erste Mal im Leben die Chance haben, Aggression anders abzubauen.

Ein Video aus dem Frauenvollzug in Köln zeigt, wie die Insassinnen auf ihren Besuch warten, wie verzweifelt sie sind, wenn jemand nicht erscheint. Wenn sie selbst nicht anrufen dürfen, um nachzufragen, warum. Lediglich sicherheitsrelevante Dinge – beispielsweise Schlüssel – dürfen nicht gezeigt werden. Und auch Gefangene, die mit eindeutigen rechtsraikalen Symbolen tätowiert sind, dürfen nicht im „Podknast“ zu sehen sein.

„Podknast“ soll aufklären

Das Projekt aus NRW ist bundesweit einzigartig. „Wir würden uns schon wünschen, dass auch andere Bundesländer dazukommen“, gesteht Gieseking. Derzeit wird der „Podknast“ vom Landes-Justizministerium finanziert. Die Erfinder wollen ein realistisches Bild vom Leben im Gefängnis übermitteln, kein dramatisches wie in den Gefängnis-Serien „Prison Break“ oder „Hinter Gittern“. Der „Podknast“ solle aufklären – insbesondere Jugendliche, die Gefahr laufen, straffällig zu werden.

„Wir wollen ihnen natürlich keinen Schrecken einjagen, aber viele wissen nicht, wie es wirklich ist“, sagt Gieseking. Sätze wie: „Drei Monate rutsch’ ich auf einer Arschbacke ab“, hat er schon oft gehört, stellt das aber in Frage. Beispielsweise müsste man in Untersuchungshaft alle persönlichen Gegenstände abgeben. 23 Stunden muss man zu Beginn in einem Haftraum sitzen – allein mit seinen Gedanken, ohne Smartphone. „Da wollen die meisten schon nicht mehr“, sagt Gieseking.

Im „Podknast“ erzählen die Inhaftierten deshalb von ihrem Alltag und ihren Geschichten. Sie schreiben die Drehbücher, filmen und schneiden die Beiträge unter Anleitung selbst. Auf die rund zehn Plätze müssen sie sich bewerben. All das machen sie freiwillig in ihrer Freizeit.

Die erste Folge erzählt vom Gefangenen Marco, der alleine im Arrest sitzt, weil er andere verprügelt hat. Dort arbeiten nicht mehr seine Muskeln, sondern sein Gehirn – er denkt über seine Taten nach. Denn neben der präventiven Arbeit will der Podcast gerade die Gefangenen zur Reflexion anregen. „Es gibt viele, die versuchen, ihre Lage zu verdrängen“, sagt Gieseking. Im „Podknast“ aber müssten sich mit ihrer Gegenwart auseinandersetzen – unweigerlich auch mit den Fragen: Wie lebe ich hier? Und will ich, dass das so bleibt?

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