Sozialer Brennpunkt Am Kölnberg herrscht eine soziale Parallelwelt

Köln · An der Fuhr, Alte Brühler Straße und Am Rondorfer Pfad – diese Straßennamen stigmatisieren. Die Hochhaussiedlung „Am Kölnberg” im Süden Kölns gilt als das Armenviertel schlechthin, als No-Go-Area.

Der Kölnberg ist im Laufe der Zeit zu einem sozialen Brennpunkt geworden.

Der Kölnberg ist im Laufe der Zeit zu einem sozialen Brennpunkt geworden.

Foto: Benjamin Westhoff

Auf einem Balkon hat jemand Heimtrainer gestapelt, auf einem anderen zwitschern geschätzt 20 Wellensittiche. Vor den schmutzigen Wohntürmen „Am Kölnberg“, in etwa fünf Metern Abstand zur Wand, säumt Müll die Fassade. Eine Linie aus Plastiktüten, kaputten Bildschirmen und Müllsäcken. Die Bewohner werfen diese Sachen offenbar über die Brüstungen. Einfach so.

1974 wurde die Hochhaussiedlung im Süden Kölns fertiggestellt, beheimatet der Komplex im Stadtteil Meschenich fast 3500 Menschen aus 60 Nationen. Eine Viertelstunde braucht man zu Fuß, um die neun Gebäude mit ihren 1318 Wohneinheiten zu umrunden. Die kleinsten Wohnungen sind 29 Quadratmeter groß, die größten 120. Neun von zehn Einwohnern kommen ursprünglich nicht aus Deutschland. Haus Nummer 9, die Eheleute Aydin (Namen geändert) kommen gerade vom Netto. Den Einkaufswagen schieben sie bis an den Hauseingang, dort bleibt er zurück. „Es ist okay hier. Nicht super, aber okay“, sagt Aydin. Seine Frau nickt stumm. Da kommt Frau Schneider. Sie müht sich mit einer Krücke in der linken und einer Tasche in der rechten Hand die acht Stufen zur Straße hinab. Die alte Frau geht zur Essensausgabe der Tafel.

"Brotkorb" versorgt vor allem ältere Bewohner

In einer kleinen Kammer zwischen Haus 4 und 5 verteilen Freiwillige der Kirchengemeinde Heilige Drei Könige jeden Mittwoch Nahrungsmittel. Draußen vor der Tür stehen etwa 40 Bedürftige, im Ausgaberaum warten bereits ebenso viele. In drei Runden wird ausgeteilt, neuneinhalb Stunden lang, die älteren Menschen werden bevorzugt bedient. „Unsere Arbeit dauert den ganzen Tag“, erklärt Annegret Keller, die seit 20 Jahren schon den sogenannten Brotkorb organisiert, gemeinsam mit zehn weiteren Freiwilligen. 300 Familien stehen in Kellers Kartei. „Ich schätze, dass unsere Lebensmittel an etwa 1000 Personen insgesamt gehen.“ Auch Kellers Tochter Sylke hilft mit. „Wir mussten in den letzten Monaten feststellen, dass die Altersarmut immer weiter zunimmt“, schreibt Sylke Keller im jährlichen Kurzbericht.

Thomas Münch war zwischen Herbst 2016 und Frühjahr 2017 oft in den Hochhäusern. Der Professor für Sozial- und Kulturwissenschaften an der Hochschule Düsseldorf wollte erforschen, ob man den Kölnberg nicht auch als „Möglichkeitsraum“ begreifen könne. Münch bestätigt die Berichte über Verwahrlosung, spricht von Drogenabhängigen, die sich einen Schuss im Treppenhaus setzen. Doch für Münch sind die negativen Vorkommnisse nur die eine Seite. Der Diplom-Sozialarbeiter sieht auch etwas Positives am Kölnberg.

Erste Station für neu Zugewanderte in der Stadt

Die Wohnsiedlung erfülle für die Stadt eine Hafenfunktion, wie er es nennt. Gerade für neu Zugewanderte biete der Kölnberg einen Schutzraum. Andere Bewohner sprechen die gleiche Sprache, es gibt womöglich sogar Angebote in der Muttersprache. Ein Hafen setze aber auch voraus, dass die Ankommenden nicht immer dort bleiben. Zahlen der Stadt zeigen, dass innerhalb von fünf Jahren nach der Ankunft etwa die Hälfte der Bewohner in andere Stadtgebiete ziehe. Dadurch gebe es, so erklärt es Münch, langfristig keine große Gruppen von Menschen einer Nation.

Zwischen 1973 und 1974 entstand der Hochhauskomplex nach einem Bebauungsplan des Architekten Wilfried Rehle – damals noch in der eigenständigen Gemeinde Rodenkirchen. Wegen der schwachen Infrastruktur im Stadtteil Meschenich und der schlechten Anbindung ans Kölner Zentrum mieteten nur wenige Interessenten dort eine der vielen Wohnungen. Infolge des Leerstands wurden immer mehr Wohneinheiten an Menschen mit niedrigem Einkommen vergeben. Viele Einwanderer zogen ein. Ein Schmelztiegel der Nationen und Kulturen entstand. Daraus ist heute der soziale Brennpunkt geworden. Ganz allein gelassen werden die Menschen am Kölnberg nicht. Seit mittlerweile mehr als 20 Jahren macht das Interkulturelle Zentrum einige Angebote, von Sprachkursen über Gesprächsrunden, Hausaufgabenhilfe bis zur Mütterberatung.

Ob die Menschen am Kölnberg viel Hoffnung auf Veränderung haben? Wenn das Interesse an der Bundespolitik ein Indiz ist, sieht es düster aus. Bei der Bundestagswahl im September bildete der Kölnberg einen eigenen Stimmbezirk. 979 Bewohner waren wahlberechtigt, nur 238 haben ihre Stimme abgeben. 26 Prozent von ihnen haben die SPD gewählt, 15 Prozent die AfD, zwölf Prozent gingen an sonstige Parteien. Nur ein Stimmbezirk im rechtsrheinischen Stadtteil Neubrück hat eine noch geringere Wahlbeteiligung als der Kölnberg. Zum Vergleich: Insgesamt gaben 75 Prozent der Kölner ihre Stimme ab. Frau Schneider hat ihr Tagewerk vollbracht. Sie musste lange warten an der Essensausgabe. Mit gefüllter Tasche und hängenden Schultern macht sie sich spätnachmittags auf den Weg zurück in ihre Wohnung.

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