GA-Serie "Rheinische Redensarten" Jöck es schlemme wi Ping

In der Serie „Rheinische Redensarten“ beleuchten wir mit Unterstützung von Dialektsachverständigen bedeutungstiefe Redewendungen.

Die philosophische Tiefe der Rheinischen Redensarten ist unübersehbar und gewissermaßen sprichwörtlich. Hier fließen über lange Zeiträume extrahierte Erkenntnisse, findige Intelligenz und gekonnter Sprachgebrauch zusammen und münden in einen Satz, der Weltläufigkeit und Durchblick gleichermaßen beweist.

Ist das zu dick aufgetragen? Nicht bei diesem Satz: „Jöck es schlemme wi Ping“. In distinguierter Übersetzung ins Hochdeutsche soll das bedeuten: Juckreiz peinigt mehr als Schmerz. Diese Erkenntnis ist so einleuchtend wie überraschend. Denn eigentlich möchte man glauben, dass Schmerz seinem Opfer grundsätzlich mehr Beschwerden bereitet als einfacher Juckreiz. Wen es aber schon mal am Rücken gejuckt hat, und zwar an einer Stelle, an die man mit den Händen nicht heranreicht, der weiß ein Lied davon zu singen. Da braucht man einen netten Mitmenschen oder starke Nerven.

Ein weiteres Beispiel findet sich in der Liste der Foltermethoden früherer Zeiten. Da wurden Delinquenten gerne festgebunden, ihrer Schuhe und Strümpfe entledigt und ihnen eine dicke Schicht Salz auf die Fußsohlen geschmiert. Eine unvoreingenommene Ziege hatte dann das Vergnügen, das Salz abzuschlecken und damit dem zu Bestrafenden furchtbarste Qualen zuzufügen.

Das beweist auch im übergeordneten Sinne: Ein kleiner Reiz kann große Wirkung haben. Damit kommen wir zum eigentlichen Bedeutungsinhalt der Redewendung. Und da sind wir auch gleich ganz modern unterwegs, denn die sogenannte Chaostheorie hat der Wissenschaft beigebracht, dass kleine und kleinste Ursachen eine große Auswirkung haben können. Das Beispiel der Fachleute: Der Flügelschlag eines Schmetterlings im Amazonasbecken kann Stürme und Wetterwechsel auf der Nordhalbkugel verursachen.

Für wen das eine erschreckende Erkenntnis sein sollte, der ist zu mindestens gewarnt, auch den kleinen Dingen der Welt die angemessene Aufmerksamkeit entgegenzubringen. Und damit ist wieder einmal bewiesen, dass die rheinischen Welterkenntnis auch modische Trends vorweg genommen hat wie die Suche nach der Achtsamkeit im Alltag. Und dafür gebührt ihr Respekt!

Haben auch Sie einen Lieblingsspruch, dann mailen Sie ihn uns an rheinisch@ga.de.

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