Europa in Herzogenrath Kerkrade und Herzogenrath verschmelzen in Europa

Herzogenrath/Kerkrade · Herzogenrath und das niederländische Kerkrade bilden gemeinsam die „Europastadt Eurode“. Die Orte teilen sich eine Straße und ein Haus. Wie leben die Menschen an der Grenze?

Ein Stein erinnert an die Zeiten, als Herzogenrath und Kerkrade noch sichtbar getrennt waren.

Ein Stein erinnert an die Zeiten, als Herzogenrath und Kerkrade noch sichtbar getrennt waren.

Foto: Lars Heidrich

Die Stadt Eurode gibt es gar nicht, aber ihre Verwaltung hat gleich zwei Adressen: 52134 Herzogenrath und 6461 KB Kerkrade. Zwei Staaten, zwei Städte, ein gemeinsames Haus. Es steht genau auf der Grenze zwischen Deutschland und den Niederlanden, am Ende einer zwei Kilometer langen Straße, die sich beide teilen. Eine Seite Neustraße, gegenüber Nieuwstraat. Näher zusammen geht nicht, weshalb Bürgermeister und Burgemeester ihre Orte zu einen suchen in „Eurode“, der „symbolischen Europastadt“. Denn „wer, wenn nicht wir Grenzbewohner“, sollte sonst die „Probleme im Grenzalltag“ lösen?

Dabei ist diese Grenze unsichtbar. Kein Schlagbaum, kein Posten, kein Zaun, auf den ersten Blick. Aber dann steht da die alte Frau Bahnen an ihrem Törchen an der Neustraße, die zur anderen Straßenseite zeigt und „drüben“ sagt. Es gebe Holländer, sagt sie, die studieren „bei uns“, die gehen auch „bei uns“ einkaufen, wie die Nachbarin, sehen Sie die? „Die ist auch von Holland.“

Die „Probleme“ der beiden Bürgermeister fangen ganz klein an, man muss schon genau hinsehen an dieser Neustraße – oder ist hier Nieuwstraat? Auf der einen Seite gelbe Briefkästen, auf der anderen orangefarbene. Hier graue Mülleimer, dort grüne. Hier weiße Autokennzeichen, dort gelbe. Die Verkehrsschilder sind aus den Niederlanden, weil sie billiger sind, die Bushaltestellen sind deutsche, weil das Verkehrsunternehmen aus dem nahen Aachen kommt.

„Die Holländer machen mehr Laub weg“, sagt Anneliese Bahnen. Überhaupt haben sie auch eine eigene Müllabfuhr, in Deutschland war sie heute da, „drüben“ sind die Tonnen noch voll. Es gibt schon lange keine Geschäfte mehr an der Straße, nur eine Selbstbedienungs-Tankstelle, holländische Preise, aber dafür, sagen die Leute, sei das Einkaufen in Deutschland günstiger. Es sei denn, es sollen „Frikandel“ sein, „Bratrollen“ kauft der Briefträger Michael nicht, und Anneliese Bahnen, die wechselt allenfalls für Käse die Seiten, „da kommt keiner ran“.

Zum Einkaufen nach Deutschland – außer für Käse

Vor Neustr. 189 wird gerade der Kombi ausgepackt, shoppen gewesen bei den Nachbarn? Bestürzt schaut die Frau auf ihre Konserven. „Nicht, dass wir was gegen die Holländer hätten“, das ist ihr wichtig, „aber Deutschland ist billiger.“ Mehr möchte sie nicht sagen, nur das noch: „Wir harmonieren gut!“ Das ist nun fast immer so gewesen in Herzogenrath und Kerkrade. Sie gehörten ja schon seit dem 12. Jahrhundert zusammen – bis der Wiener Kongress einen Strich durch die Landschaft zog, dem „Land von ‘s Hertogenrode“ mitten durchs Herz. Was die Bürger 100 Jahre nicht hinderte am regen Grenzverkehr. Doch mit dem 1. Weltkrieg senkte sich ein Eiserner Vorhang in die Neustraße und mit dem 2. ein meterhoher Zaun. Man erzählt sich, der Stacheldraht war trotzdem nicht hoch genug zu verhindern, dass Kinder sich darüber hinweg Stoffbälle zuwarfen – und ziemlich oft war Kaffee drin.

1968 rissen sie den Zaun weg, bis 1993 trennte ein Mäuerchen beide Länder. Nach jahrelangen Protesten fiel auch das; die Neustraße, sagte damals der niederländische Außenminister Hans van Mierlo, sei das erste Beispiel einer Grenze, die von den Anwohnern „einfach weggedacht“ worden sei. Ein Stück der alten Mauer ist geblieben, ein winziger Rest Erinnerung. Anneliese Bahnen sagt, „hier ist Europa“ und dass sie in Nachkriegszeiten hier „die Fremde“ war – sie kam aus Westfalen. Und doch spürt sie mit ihren 91 Jahren auch: „Es gibt noch Holländer, die uns hassen.“ Die letzten Scharmützel indes gab es an der Nieuw-/Neustraße, als Mannschaft und Elftal bei großen Turnieren gegeneinander spielten, aber das ist nun schon ein paar Jahre her und war um 1990 zuletzt wirklich schlimm. Heute streiten sie in „Eurode“ nicht einmal mehr über Fußball.

Jahre der Trennung haben die Orte geprägt

Man lebt miteinander, aber auch nebeneinander her wie überall, hier Fischer, Müller, Bergmann, dort van Bommel, op den Kamp und Mathijsen. Der deutsche Briefträger bringt die Post nur im Osten, alles ungerade Hausnummern (die Holländer zählen durch, weshalb Neustraße 179 gegenüber Nieuwstraat 70 liegt). Nur bei Familie Rühl wird Postbote Michael zum Grenzgänger: Sie hat den letzten Grenzstein vor dem Haus, die Tür in Deutschland, den Balkon in den Niederlanden, „die haben mit beiden Behörden zu tun“. Die Werbung reicht Michael aber auch auf die andere Straßenseite, „ich hab’ da keine Berührungsängste“.

Trotzdem haben die Jahre der Trennung etwas gemacht mit den Orten. Jahrelang entwickelten sie sich mit dem Rücken zueinander, die Neustraße ist kein Zentrum, sie ist Randlage und sieht auch so aus. Sozial-, Schul-, Steuersysteme sind anders hüben wie drüben, man wohnt nicht ganz einfach hier und arbeitet dort, so sehr sich „Eurode“ auch um Verständigung bemüht.

Apropos: Der gemeinsame Dialekt stirbt gerade aus, die Jugend spricht eher Englisch miteinander. Auch wenn das Limburgische einen deutschen Akzent hat: Deutsch wird an den holländischen Schulen immer weniger gelernt.

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