Isch hann et ärme Dier

In der Serie „Rheinische Redensarten“ beleuchten wir bedeutungstiefe Redewendungen.

 Ich bin sehr deprimiert.

Ich bin sehr deprimiert.

Foto: GA-Grafik

Sie sind in der Regel leutseelig und mitreißende Stimmungskanonen: die Rheinländer anundfürsich. So weit das allgemeine Urteil über die Menschen am hiesigen Strom. Es wird aber in der freien Wildbahn auch zuweilen etwas ganz anderes beobachtet. Dann passt die rheinische Redensart: „Isch hann et ärme Dier.“ Was die Vokabeln angeht, ist der Satz nicht besonders hürdenreich. Die Übersetzung ins Hochdeutsche ist schnell geleistet: Ich habe das arme Tier. Doch das hilft nicht viel weiter. Man möchte meinen, hier liegt eine übergeordnete Bedeutung vor, der wir uns akribisch nähern müssen.

Es gab schon einmal die Idee, einen Bezug zur französischen Vokabel „amertume“ herzustellen, was mit Kummer, Leid oder Sorge zu übersetzen wäre. Sprachwissenschaftler halten diesen Ansatz allerdings für eine klassische Volksetymologie, die zwar plausibel klingt, aber falsch ist.

Naheliegender ist eine Kombination aus wörtlicher Übersetzung und dem psychologischen Phänomen, dass man seelische Befindlichkeiten verdinglicht oder personifiziert, von sich abspaltet, um sie handhabbar zu machen.

So bedeutet die Aussage, man habe das arme Tier, dass man eine starke Melancholie empfindet und total deprimiert ist. Das kann ein kurzfristiger Befund sein, manchmal in Verbindung mit starkem Alkoholkonsum auftretend. Wenn das Gefühl allerdings chronisch wird, dann nennt man es in der Regel Depression, heutzutage auch Burn out.

Wie auch immer der Name ist, wenn ein Rheinländer et ärme Dier hat, dann ist er tieftraurig, untröstlich und nicht am Lebensalltag interessiert. Das Sprachbild transportiert allerdings die berechtigte Hoffnung, dass es nicht lange dabei bleiben muss, denn man hat ein kleines Tierchen vor Augen, das einem praktisch nur zugelaufen ist.

Das rheinische Urgestein, Diakon Willibert Pauels, der als ne bergische Jung im Karnevals viel intelligenten Frohsinn verbreitet, war auch einmal von einer Depression betroffen und fand dafür das Bild des schwarzen Hundes, der einen unverhofft anfällt. So schlimm das auch immer den Seelenhaushalt in Unruhe versetzt, ist es doch ein Ansatzpunkt, seine Lebensführung zu ändern. Es ist die Aufforderung, sich von Belastendem und Stressigem Verhalten zu trennen. Dann schickt man das ärme Dier einfach wieder weg. Am besten auf nimmer Wiedersehn.

Haben auch Sie einen rheinischen Lieblingsspruch, dann mailen Sie ihn uns unter rheinisch@ga.de. Die „Rheinischen Redensarten“ aus der wöchentlichen Kolumnenserie des General-Anzeigers sind als Buch erschienen und im Handel zu haben.

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