Schiefer aus dem Katzenberg in Mayen Im Bauch der Eifel

BONN · Was haben die Dächer des Bonner Münsters, der Universität, des Museums Koenig, des Beethovenhauses und der Alt-Katholischen Namen-Jesu-Kirche gemeinsam? Den Schiefer aus dem Katzenberg in Mayen, der dort unter Tage gefördert wird.

 Unentwegt fließt Wasser durch den Berg und sucht sich den tiefsten Punkt. Von dort wird es über Tage gepumpt, bei der Weiterbearbeitung des Schiefergesteins genutzt, anschließend geklärt und der Nette zugeführt.

Unentwegt fließt Wasser durch den Berg und sucht sich den tiefsten Punkt. Von dort wird es über Tage gepumpt, bei der Weiterbearbeitung des Schiefergesteins genutzt, anschließend geklärt und der Nette zugeführt.

Foto: Rathscheck

Im Büro sagt man "Guten Tag", wenn man sich im Aufzug begegnet. Hier sagt man "Glückauf". Aber das hier ist ja auch kein Aufzug. Sondern ein Förderkorb. "Glückauf", sagt der Anschläger, schiebt das Scherengitter von außen zu und zieht an einem Haken, der die Glocke in dem Häuschen neben dem Förderturm anschlagen lässt.

Dort weiß nun der Maschinenführer nicht nur, dass er Gummi geben kann, sondern anhand des bergmännischen Glocken-Alphabets noch vieles mehr. Zum Beispiel, was der Förderkorb geladen hat. Eine Lore etwa. Oder, wie jetzt, vier Menschen. Die stehen sich in dem engen Eisenkäfig so nahe, dass man jede Pore in der Gesichtshaut des Gegenübers studieren könnte - würde der Förderkorb, kaum dass die Schuhe des Anschlägers aus dem Blick geraten, nicht augenblicklich in völlige Dunkelheit abtauchen. Gut zwei Minuten geht es abwärts durch den pechschwarzen Schlund. Eine gefühlte Ewigkeit. "Loren werden übrigens doppelt so schnell wie Menschen befördert." Das klingt beruhigend.

Erst in 220 Metern Tiefe wird es wieder einigermaßen hell; künstliches Licht aus Neonröhren, ein Bergmann schiebt das Scherengitter beiseite. "Glückauf." So beginnt die Reise ins Bergwerk Katzenberg des Schiefer-Produzenten Rathscheck am Rande der Kleinstadt Mayen in der Vulkaneifel.

"Den Rest bis zur zehnten Sohle müssen wir zu Fuß gehen." Die zehnte Sohle liegt 360 Meter tief. Kein Wunder, dass Bergwerksleiter Heinerich Haan so fit aussieht: Er legt während eines gewöhnlichen Arbeitstages gut acht Kilometer zu Fuß zurück, verteilt auf 140 Höhenmeter. In einer Nische im Fels schaut durch Plexiglas die Heilige Barbara, die Schutzheilige der Bergleute, auf uns herab. Neben ihr warten vier Loren, jede mit gut einer Tonne Gestein beladen, auf die schnelle Fahrt nach oben. Wir hingegen marschieren in den Berg. Immer den Schienen nach.

"Glückauf." Das klingt nach Ruhrpott, nach Kohle und Schalke. Aber auch die Vulkaneifel rund 45 Autominuten südlich von Bonn verfügt über eine Bergwerkstradition. Nur wurde hier nicht Kohle gefördert. Über Jahrhunderte sorgte eine florierende Steinindustrie für Lohn und Brot in der Region. Basalt oder Tuff wurden auch unter Tage abgebaut. Allein in den damals Dutzenden Schiefergruben rund um Mayen arbeiteten vor dem Ersten Weltkrieg noch 3000 Menschen.

Doch im Gegensatz zu Basalt, Tuff oder Bims ist Schiefer nicht vulkanischen Ursprungs, sondern deutlich älter. Der letzte Vulkan eruptierte vor 13 000 Jahren mit der Energie von 50 Hiroshima-Bomben (dort, wo sich heute der Laacher See befindet). Das Sedimentgestein Schiefer hingegen entstand schon vor 400 Millionen Jahren, im Devon-Zeitalter, als die Landmasse unseres Planeten aus nur zwei gewaltigen Erdplatten bestand und das heutige Mitteleuropa noch in der tropischen Zone knapp südlich des Äquators lag.

Erst später spaltete sich die Erdplatte, die einzelnen Teile drifteten auseinander, und die heutigen Kontinente erreichten vor etwa 60 Millionen Jahren ihre heutige Form und geografische Lage. Da war der Tonschlamm als Überbleibsel eines ehemaligen Flachmeeres schon längst unter extrem hohem Druck zu Stein gepresst und zum rheinischen Schiefergebirge gefaltet.

Die Luftfeuchtigkeit liegt nur knapp unter 100 Prozent

Schon die Römer förderten Schiefer aus dem Katzenberg und verbauten ihn unter anderem in ihrer 10 000 Legionäre zählenden Garnisonsstadt Xanten am Niederrhein. 1793 begann Johann Baptist Rathscheck, Sohn eines tschechischen Immigranten aus Böhmen, mit dem Abbau in Mayen. Seit 1904 gehört Rathscheck zur Neusser Wilh. Werhahn KG, einem Mischkonzern in Familienbesitz, 2,9 Milliarden Euro Jahresumsatz, 9100 Beschäftigte, zu der neben anderen auch die Basalt AG in Linz gehört. Rathscheck, zweitgrößter Schieferproduzent der Welt, betreibt neben dem Bergwerk Katzenberg und dem drei Kilometer entfernten Bergwerk Margareta weitere fünf Gewinnungsstätten im spanischen Galizien, darunter das größte Schieferbergwerk der Welt.

Immer den Schienen nach. Etwa einen halben Kilometer. Bis zur Endstation der Miniatur-Eisenbahn, wo die Loren mit frischem Gestein beladen werden.

Von dort aus geht's über die Rampe abwärts. Rampe ist ein schönes Wort für einen Tunnel, der sich serpentinenartig abwärts windet. 18 Prozent Gefälle. Beziehungsweise 18 Prozent Steigung, denn es gibt nur diesen Weg zurück. Über Tage waren es am frühen Morgen zwei Grad, hier unten sind es 15 Grad, im Winter wie im Sommer. Dafür zieht es wie Hechtsuppe, im Interesse der Bewetterung. Verbrauchte Luft wird abgesaugt, frische Luft zugeführt. Und die Luftfeuchtigkeit liegt bei nur knapp unter 100 Prozent.

Bergwasser tropft von der Decke, tropft von den Wänden, gurgelt in Bächen unentwegt die Rampe hinab. Am tiefsten Punkt wird es gesammelt, über Tage gepumpt und dort bei der weiteren Verarbeitung des Gesteins eingesetzt.

Lange Zeit bleibt das stete Plätschern des Wassers das einzige Geräusch in dieser fremdartigen Welt im Bauch der Eifel. Nur wenn gelegentlich das Dröhnen und Grollen und Fauchen eines Dieselmotors anschwillt, heißt es rasch Reißaus nehmen, Schutz suchen in der nächsten Felsnische, denn dann biegt Sekunden später ein sogeannter "Dumper" um die Ecke und kämpft sich mit zwölf Tonnen Fracht den Berg hinauf, auf dem Weg zum Loren-Bahnhof. Die starken Scheinwerfer des Muldenkippers tauchen den engen Tunnel für einen Moment in gleißendes Licht, die mächtigen Gummireifen werden von Metallketten geschützt, die Schneeketten ähneln. Damit das scharfkantige Schiefergestein die Reifen nicht zerschneidet.

Dann ist wieder Stille. Gelegentlich öffnet sich der Tunnel links oder rechts, gibt den Blick frei auf gespenstisch illuminierte Höhlen, die surrealen Stillleben ähneln, oder den Dioramen im Museum Koenig, dessen Dach ebenfalls mit Schiefer aus dem Katzenberg gedeckt ist. Ein unterirdischer See zum Beispiel. Würde an dessen Ufer der Zwergenkönig Alberich hocken, der Hüter des Nibelungenschatzes, es wäre nicht weiter verwunderlich. Die nächste Höhle: eine Art Kantine, Bänke und Tische, auf denen verwaiste Thermoskannen stehen. Die Mittagspause bei Tageslicht zu verbringen, rentiert sich wegen der langen Wegstrecken nicht. Die nächste Höhle: eine Werkstatt. Alles wird nach Möglichkeit hier unten repariert. Neufahrzeuge müssen in Einzelteilen durch den engen Förderschacht in den Berg transportiert und unter Tage zusammengesetzt werden.

Nach langem Fußmarsch ist es schließlich vorbei mit der Stille. Der Tunnel weitet sich zu einer Felsenhalle. Das Kettenfahrzeug, das sich an der feucht glänzenden, seidig schimmernden Wand zu schaffen macht, ähnelt einem Bagger. Nur dass sich am Ende des Teleskoparmes keine Schaufel, sondern ein mit Diamanten besetztes, kreisförmiges Sägeblatt von mehr als einem Meter Durchmesser befindet.

Mit schrillem Kreischen schneidet die Kreissäge vertikale und horizontale Linien 40 Zentimeter tief in die Wand. So entsteht ein gleichförmiges Muster aus Rechtecken. In der nächsten Halle arbeitet ein Kettenfahrzeug, dessen Auslegearm in einen Hydraulik-Meißel mündet. Der setzt kurz an einer Kante des Schachbrettmusters an, und schon plumpst ein Quader unversehrt und trennscharf aus der Wand. Jeder einzelne dieser Quader aus Schiefer wiegt gut eine Tonne.

Unvorstellbar, wie aus diesen gewaltigen Quadern einmal Dachschiefer werden soll. Vorstellbar wird das erst über Tage, in der Fabrikhalle neben dem Förderturm. "Fabrik ist eigentlich nicht das richtige Wort", sagt Marketingleiter Dirk Ackermann. "Manufaktur trifft es besser. Denn hier ist viel Handarbeit und noch mehr Erfahrung gefragt."

Vor allem muss das Timing zwischen den Arbeitswelten da unten und da oben stimmen. Wird unter Tage zu wenig gefördert, haben die Leute über Tage nichts zu tun. Wird aber unter Tage zu schnell und zu viel gefördert, gibt's über Tage Probleme ganz anderer Art: "Der Stein muss nämlich unbedingt noch bergfeucht weiterbearbeitet werden", versichert Ackermann. Sonst wird es mit dem Spalten schwierig. Schiefer ist ein spaltbares Gestein - man muss nur wissen, wie. Wird das Spalteisen an exakt der richtigen Stelle angesetzt, fällt der Stein schon nach kurzem Kontakt glatt und sauber auseinander. In millimeterdünne Scheibchen.

Das geht schneller und sieht auch für den beobachtenden Laien leichter aus als das Anschneiden einer Sahnetorte. Aber es erfordert Talent und Fingerspitzengefühl. "Der Spalter muss den Stein lesen können", sagt Ackermann. Die hauchdünnen Scheiben landen schließlich per Rollband beim Zuschneider. Der verpasst dem Dachschiefer die typische Rundung für die traditionelle Altdeutsche Deckung sowie die Löcher für die Nägel. All das ist nahezu reine Handarbeit. Drei bis vier Jahre Training sind nötig, bis der Zurichter sein Handwerk wie im Schlaf beherrscht. Anschließend wird der Dachschiefer in säuberlich beschriftete Holzkisten gepackt. Wie lange reichen die Vorkommen noch? "Vor der Hacke ist es dunkel", zitiert Dirk Ackermann eine alte Bergmannsweisheit und lacht. "Man weiß natürlich nie ganz genau, was einen bei der nächsten Sohle erwartet. Aber an Schiefer herrscht da unten noch lange kein Mangel, sagen die Experten. Die Kunst ist vielmehr, die qualitativ sehr guten Vorkommen zu finden."

Jene, die dem Premiumprodukt "Moselschiefer" gerecht werden. Der alte, geschützte Handelsname, den nur noch Schiefer aus Mayen führen darf, leitet sich nicht von der Lage des Bergwerks, sondern vom traditionellen Transportweg ab: Lange bevor der Lastwagen erfunden war, wurde der Schiefer über die nur 20 Kilometer entfernte Mosel mit Kähnen flussaufwärts bis nach Luxemburg und flussabwärts zum Rhein und von dort bis in die Niederlande transportiert.

Das Problem sei nicht das Reservoir an Schiefer im Berg, versichert Ackermann: "Man schätzt, es gibt in Deutschland rund 15 000 Dachdeckerbetriebe. Davon können vielleicht 2000 Betriebe vernünftig mit Schiefer umgehen. Und allenfalls 50 Betriebe beherrschen noch die Altdeutsche Deckung. Und die Wilde Deckung beherrschen vielleicht noch zehn Betriebe in ganz Deutschland. Wichtig ist also, für ein Schieferdach den richtigen Dachdecker zu finden."

Schon die Römer entwickelten Verlegeregeln. Die Blüte erreichte das Handwerk im Mittelalter. Damals wurden die meisten hochwertigen Bauten in West- und Mitteleuropa mit Schiefer gedeckt und die Altdeutsche Deckung entwickelt; ein optisch harmonisches und zugleich materialsparendes Verfahren, weil Decksteine unterschiedlicher Höhe und Breite verwendet werden können. Zugleich ist die Altdeutsche Deckung ein handwerklich höchst anspruchsvolles Verfahren. Nur die "Wilde Deckung" setzt noch höhere Ansprüche an das handwerkliche Geschick des Dachdeckers: Die Steine werden unbehauen an die Baustelle geliefert, dort richtet der Schieferdecker (oder Leyendecker, wie er im Mittelalter genannt wurde) jeden einzelnen Stein individuell für das entsprechende Dach zu.

Heute: Schiefer auch als Boden- und Wandfliesen

Nach dem Zweiten Weltkrieg verdrängten billig herzustellende und simpel zu verlegende Industrieprodukte mehr und mehr den Schiefer. Zum Beispiel Asbestzement. Viele Schiefergruben in den deutschen Mittelgebirgen mussten schließen. "Auch wir hatten damals große Sorgen" erinnert sich Frank Rummel, einer der beiden Geschäftsleiter bei Rathscheck. Die Mutter, die Werhahn-Gruppe in Neuss, stützte die Mayener Tochter und bewies einen langen Atem - bis das wachsende ökologische Bewusstsein in Deutschland seit den frühen 80er Jahren dem Naturprodukt Schiefer eine Renaissance bescherte.

Rathscheck liefert traditionell auch zu Deutschlands Nachbarn. Rummel: "Alleine in der Bretagne gibt es vermutlich mehr Schieferdächer als in ganz Deutschland. Und in der Schweiz ist eine neue Architekten-Avantgarde aktiv und stellt die verrücktesten Dinge mit Schiefer an." Schiefer wird heute nicht mehr nur als Dachstein verwendet, sondern zunehmend auch in der Innenarchitektur, etwa als Boden- und Wandfliesen in Bädern.

Moselschiefer ist in Kombination mit der Altdeutschen Deckung bei traditionsbewussten Eigenheim-Bauherren sowie beim Denkmalschutz historischer Gebäude gefragt. In Bonn wurden zum Beispiel das Münster, die vier Türme des Hauptgebäudes der Universität, das Historische Seminar am Alten Zoll, Museum Koenig, Beethovenhaus und die Alt-Katholische Namen-Jesu-Kirche in der Bonngasse mit Dachsteinen aus Mayen saniert.

2012 wurde die Dachsanierung der Burg Eltz abgeschlossen. Jene 900 Jahre alte Märchenbuch-Burg in der Südosteifel, die einst den 500-Mark-Schein zierte. Keine leichte Aufgabe angesichts der unzähligen Zinnen, Türmchen, Gauben und Erker. "Die Nägel waren weggerostet und die Dachbalken faul", erinnert sich Rummel. "Aber der 200 Jahre zuvor verlegte Schiefer war noch völlig intakt."

Museum unterm Museum

Mitten in Mayen, oberhalb des Marktplatzes, steht die Genovevaburg. Auf einem Schieferberg. Während des Zweiten Weltkriegs trieben die Rathscheck-Bergmänner einen Stollen in den Burgberg - nicht zur Schiefergewinnung, sondern als Schutzbunker für die Bevölkerung. Auch der prominenteste Sohn der Stadt, der Schauspieler Mario Adorf, verbrachte dort als Halbwüchsiger zahllose Bombennächte.Die Burg beherbergt heute das Eifelmuseum. Von dort geht's per Aufzug 16 Meter tief in den Berg ins nächste Museum: das Deutsche Schieferbergwerk. Dort lässt sich erleben, wie die Arbeit der Bergleute aussah, als noch nicht große Maschinen halfen. Spektakulärer Höhepunkt: eine simulierte Lorenfahrt.

Öffnungszeiten: Di bis So von 10 bis 17 Uhr (Mo und vom 1. November bis 17. Februar geschlossen)

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