Frank Brunkhorst: "Die Hände müssen immer desinfiziert werden"

BONN · Der Jenaer Sepsis-Forscher im General-Anzeiger-Interview über gefährliche Keime, die Situation in den Niederlanden und Antibiotika:

Frank Brunkhorst: "Die Hände müssen immer desinfiziert werden"
Foto: Uni Jena

Die Händedesinfektion ist das A und O bei der Hygiene, sagt Professor Frank Brunkhorst, Generalsekretär der Deutschen Sepsis-Gesellschaft. Mit ihm sprach Bernd Eyermann.

Jährlich erkranken 500.000 Patienten in deutschen Kliniken durch sogenannte Krankenhausinfektionen. 15.000 sterben daran, heißt es. Wie kann Abhilfe geschaffen werden?

Professor Frank Brunkhorst: Zunächst einmal müssen wir weg von den Horrorzahlen. Nicht alle Krankenhausinfektionen sind vermeidbar.

General-Anzeiger: Wie viele sind denn vermeidbar?

Brunkhorst: Wir haben es zu tun mit 1500 bis 4500 potenziell vermeidbaren Todesfällen. Es sterben sicher mehr, aber nicht alle kann man vermeiden.

Wie kann Abhilfe geschaffen werden?

Brunkhorst: Der wichtigste Punkt ist die Händehygiene. Wir wissen, dass nach 30 bis 40 Prozent der Behandlungen keine Desinfektion stattfindet. Die Hände müssen immer desinfiziert werden.

GA: Wann ist die Gefahr am größten, in der Klinik infiziert zu werden?

Brunkhorst: Wenn der Patient operiert ist, kann es zu einer Wundinfektion führen, oberflächlich oder tief. Wenn der Patient künstlich beatmet werden muss, kann es neben dem Beatmungsschlauch zu Abwanderungen von Sekret aus den oberen Atemwegen in die Lunge kommen, sozusagen eine beatmungsassoziierte Lungenentzündung. Die ist ganz schwer zu vermeiden. Die dritte Form ist die Harnwegsentzündung bei liegendem Blasenkatheter und die vierte ist die Blutstrominfektion bei liegendem Katheter in einer Vene. Jedes Mal wird der Patient in irgendeiner Weise traumatisiert.

GA: Ist es auch eine Krankenhausinfektion, wenn ein Patient zwei bis drei Tage nach einer Operation eine Lungenentzündung erleidet?

Brunkhorst: Prinzipiell spricht man von einer Krankenhausinfektion, wenn der Patient innerhalb der letzten 48 Stunden im Krankenhaus stationär behandelt wurde und wenn sich der Patient in den vier Wochen zuvor nicht in einem Krankenhaus befunden hat. Das ist eine Standarddefinition der Weltgesundheitsorganisation.

GA: Kann der Patient denn die Keime schon mitgebracht haben?

Brunkhorst: Ja. Das ist sogar in der Mehrzahl der Fälle so. Der Patient erkrankt an den Keimen, die auf seinen eigenen Schleimhäuten oder der Haut sind. Nur zu 20 Prozent sind es Infektionen, die exogen entstehen, also von Patient zu Patient oder von Personal oder Arzt zu Patient.

GA: Könnten mehr Eingangsuntersuchungen auf Keime Abhilfe schaffen?

Brunkhorst: Nein. Die Screening-Untersuchungen haben gezeigt, dass über zwei Drittel der Menschen, die sich den Krankenhauskeim MRSA einfangen, dies ambulant tun, also nicht während eines Klinikaufenthalts. Patienten werden oft nicht krank dadurch. Das Problem aber ist, dass Patienten, bei denen MRSA festgestellt wurde, in den Krankenhäusern oft isoliert und schlechter betreut werden. Wichtiger wäre, auf die Standardhygiene zu achten. Wenn sich Ärzte, Schwestern und Angehörige vor jedem Kontakt mit Patienten die Hände desinfizieren würden, käme es zu viel weniger Infektionen.

GA: Warum tragen so viele Menschen den MRSA-(Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus) Keim in sich?

Brunkhorst: Weil das Antibiotikum, das gerade in der Tierzucht viel verwendet wird und das wir mit der Nahrung aufnehmen, dazu beiträgt, dass unsere Staphylokokken, die wir auf der Haut tragen, resistent werden.

GA: Es ist immer die Rede davon, dass in den Niederlanden viel weniger Krankenhausinfektionen vorliegen. Warum stehen die Holländer besser da?

Brunkhorst: Das stimmt nicht. Holland hat mit Hilfe der Screenings nicht gezeigt, dass die Rate an schweren Infektionen und Todesfällen rückgängig ist. Außerdem ist das MRSA-Problem nur das geringere, wenn man von resistenten Bakterien spricht. Viel dramatischer aber ist die Zunahme der sogenannten gramnegativen ESBL-Bakterien und der Vanco-mycin-resistenten Enterokokken (VRE), die in Bremen zum Tod der drei Frühchen geführt haben.

GA: Was ist daran so gefährlich?

Brunkhorst: Weil wir gegen diese resistenten Erreger kaum noch Therapeutika haben, während wir beim MRSA sechs fantastische Antibiotika haben. Die ESBL- und VRE-Erreger sind Fäkalkeime, die aus dem Darm kommen, über den Toilettengang weitergegeben werden und deren Krankheitsverlauf oft einen schlimmen Verlauf nimmt. Auch hier ist die Händehygiene ein wichtiger Schritt.

GA: Sie sprachen die Antibiotika-Resistenz an. Muss in der Medizin umgedacht, viel weniger Antibiotika verschrieben werden?

Brunkhorst: Ja. Wir haben im ambulanten Bereich eine massive Überverschreibung durch Antibiotika. Nach einer Studie der AOK verschreiben die Allgemeinmediziner die meisten, dahinter folgen die Fachärzte, die Urologen. Am Ende stehen die Kinderärzte.

GA: Gibt es besonders beliebte Antibiotika?

Brunkhorst: Zum Beispiel das Medikament Ciprobay von Bayer. Das war mal hochpotent, begünstigt inzwischen aber die ESBL-Bildung. Da muss man dringend was machen, denn die Antibiotika-Resistenz ist hausgemacht. So werden viele Atemwegserkrankungen auf diese Weise behandelt, obwohl es nur ein Virus ist und Antibiotika dagegen nicht helfen.

GA: Wie viele Patienten entwickeln eigentlich Infektionen in Krankenhäusern?

Brunkhorst: Zwischen zwei und zwölf Prozent. Bei den Patienten, die ein hohes Risiko haben, weil sie etwa einen Harnblasenkatheter und einen Venenkatheter haben und dazu noch künstlich beatmet werden, stellt sich die Frage: Muss dieser Katheter überhaupt noch da liegen? Je länger diese künstlichen Dinge im Körper sind, desto höher ist die Gefahr, dass sich eine Krankenhausinfektion entwickelt.

Zur Person: Professor Frank Brunkhorst, Jahrgang 1955, ist Professor für Klinische Sepsisforschung an der Universität Jena. Er gilt als einer der angesehensten Experten der klinischen und wissenschaftlichen Forschungstätigkeit auf dem Gebiet von schweren Infektionskrankheiten und Sepsis.

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