Finanzbeamte versteigerten jüdischen Besitz

Wolfgang Dreßen dokumentiert die Enteignung der Juden durch die Nazis. Historiker trug Akten zur Ausstellung "Deutsche verwerten jüdische Nachbarn" zusammen. Tarnname "Aktion 3"

Finanzbeamte versteigerten jüdischen Besitz
Foto: Ingo Eisner

Sankt Augustin. In diesen Tagen rücken die Schrecken des Naziregimes ganz besonders ins Bewusstsein. Mit Schweigemärschen und in stillen Gedenkstunden erinnern sich die Menschen an die grausamen Ereignisse während der Reichspogromnacht am 9. November 1938. Brennende Synagogen, gewalttätige Ausschreitungen und Anschläge sind die eine Seite der systematischen Ermordung der jüdischen Bevölkerung durch die Nazis.

Auf einen weniger bekannten Aspekt der nationalsozialistischen Barbarei gegenüber Juden macht derzeit die Ausstellung "Betrifft: Aktion 3 - Deutsche verwerten jüdische Nachbarn. Dokumente zur Arisierung" in der Augustiner Stadtbücherei aufmerksam. Zahlreiche Akten dokumentieren die bürokratische, nach damaligem Recht legale Enteignung jüdischer Bürger und die Verwertung des Besitzes durch deren Nachbarn.

Unter dem Tarnnamen "Aktion 3" organisierten Finanzbeamte ab 1941 Massenversteigerungen von jüdischem Eigentum. Betuchte Privatleute, aber auch Behörden, Institutionen und Unternehmen erwarben so Güter der deportierten jüdischen Familien. Die Einnahmen flossen in die Kassen der Finanzämter.

Der Historiker Wolfgang Dreßen hat die Ausstellung vor zehn Jahren konzipiert. Bei der Zusammenstellung des umfangreichen Aktenmaterials für die Arbeitsstelle "Neonazismus" der Fachhochschule Düsseldorf stieß er zunächst auf unerwartete Hindernisse. Die entsprechenden Akten in den Oberfinanzdirektionen Düsseldorf und Köln sowie in den lokalen Finanzämtern standen unter Verschluss. "Es tauchen wohl zu viele bekannte Namen in den Akten auf", erklärt Dreßen sich die 1988 vom Bundestag beschlossene Sperrung.

Ein Gang durch die Ausstellung offenbart die ganze Grausamkeit der "Aktion 3". In aller Öffentlichkeit wurden die Juden erniedrigt. Die Vorbereitungsphase dokumentiert etwa eine Anweisung der NSDAP-Kreisleitung. Die ordnete die Kennzeichnung von Häusern von Juden und das Tragen von Davidsternen an. In Vermögensübersichten hatten die Juden das gesamte Inventar ihrer Wohnungen aufzulisten. "Wenn der Gerichtsvollzieher klingelte, mussten die Vermögenserklärungen abgegeben werden, das Inventar der deportierten Juden wurde später von Spediteuren abgeholt", sagt Dreßen.

In den Großstädten veranstalteten die Finanzämter regelmäßig Massenversteigerungen, bei denen die Herkunft des Hausrates kaum zu ermitteln war. In den Dörfern und in kleineren Städten hingegen gab es Einzelversteigerungen. Sogar vor den Haustüren der ehemaligen jüdischen Nachbarn boten die Finanzbeamten deren Hausrat, von den Möbeln bis zu Einmachgläsern, an.

Auch im Rhein-Sieg-Kreis fanden Versteigerungen statt. Das zeigt etwa ein Schreiben des Hennefer Bürgermeisters aus jener Zeit: "Die Versteigerung von Juden-Vermögen in der hiesigen Gegend brachte einen Gesamtertrag von 3 492,50 Reichsmark." Die Ersteigerer taten laut Dreßen später so, als hätten sie nichts gewusst. Sie hatten gesehen, dass Juden deportiert und enteignet worden waren, und sie zogen ihren Nutzen daraus. Die Juden, die nach Kriegsende wiederkamen, kämpften oft vergeblich um die Rückgabe ihres Eigentums.

Die Ausstellung ist bis Donnerstag, 29. November in der Sankt Augustiner Stadtbücherei, Markt 1, zu sehen.

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